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Editorial DOI: 10.14623/thq.2021.4.433–437
Stephan Winter
Vom 13. bis 16. Mai 2021 hat in Frankfurt am Main der 3. Ökumenische Kirchentag (ÖKT) stattgefunden – pandemiebedingt „digital und dezentral“, wie auf dem Logo auf der Website eigens vermerkt worden ist. Dieser ÖKT stand unter dem Leitwort „schaut hin (Mk 6,38)“. Damit war der Anspruch verbunden, die Orientierung an den „Zeichen der Zeit“ (Pastorale Konstitution „Über die Kirche in der Welt von heute – Gaudium et Spes“ [GS] 3) als Grundauftrag christlich Glaubender in den Fokus zu rücken: „Mit dem Leitwort wollen wir die Botschaft setzen: ‚Wir schauen nicht weg‘. Wir nehmen die Sorgen und Bedrängnisse der Menschen ernst. Wir tun das in der Gewissheit, dass Gott nicht wegschaut“, so der katholische ÖKT-Präsident Thomas Sternberg in seinen Ausführungen zum Leitwort, die auf der ÖKT-Website dokumentiert sind; dort finden sich auch die folgenden Zitate. Demnach war mit dem Leitwort ausdrücklich intendiert, gemeinsam nach möglichen Handlungsoptionen zu suchen: „Die Botschaft des ‚schaut hin‘ beschränkt sich nicht auf das bloße Hinsehen, sondern fordert zum Perspektivwechsel und zum aktiven Handeln auf.“

Vor diesem Hintergrund hat das Präsidium des 3. ÖKT auch ein „Gemeinsames Zeugnis“ formuliert, „in dem das Vertrauen auf die Gegenwart Jesu Christi in der Feier von Abendmahl und Eucharistie bezeugt wird“, eine Gegenwart, die Begegnung schenkt und für die Sendung in die Welt im Geist Jesu Christi verwandelt und stärkt. Das Gemeinsame Zeugnis war Grundlage für die ökumenisch sensibel gestalteten Gottesdienste, die am Samstagabend zeitgleich in vielen Gemeinden und Pfarreien in Frankfurt und ganz Deutschland gefeiert wurden. Für diese Gottesdienste galt, dass Glaubensgeschwister aus anderen Konfessionen eingeladen waren, daran teilzunehmen – in der Form, die sie aus ihrer individuellen Gewissensentscheidung heraus verantworten konnten und wollten.

Die Verantwortlichen haben sich mit diesem Ansatz v. a. auf das Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ berufen, das der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) – auch mit Blick auf den 3. ÖKT – im September 2019 vorgelegt hatte. Darin wird im Blick auf die römisch-katholisch/evangelische Ökumene eine Fülle theologischer Argumente für die Option zusammengetragen, dass bereits auf dem Weg zur vollen Einheit der Kirchen – auf Basis der gemeinsamen Taufe und des geteilten Glaubens an die Gegenwart Jesu Christi in Eucharistie und Abendmahl – wechselseitig Gläubige einer anderen Konfession zur entsprechenden Liturgie (situationsorientiert) eingeladen werden können. Nach Veröffentlichung dieses Votums ist es zu kontroversen Diskussionen über diese Argumentation gekommen, die auch in der Vorbereitung des 3. ÖKT eine wichtige Rolle gespielt und schließlich zu den genannten Samstagabendgottesdiensten geführt haben.

Das vorliegende Heft greift die damit angedeuteten Zusammenhänge noch einmal auf. Dies geschieht angesichts dessen, dass es zu dieser Thematik bereits eine Fülle unterschiedlichster Wortmeldungen und Publikationen gibt, in einer (hoffentlich) originellen und anregenden Form: Im ersten Beitrag legen die evangelische Theologin und Tübinger Promotionsstudentin Julia Meister und der Geistliche Rektor des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Christoph Stender gemeinsam einen Rückblick auf den 3. ÖKT vor. Beide waren hauptamtlich in dessen Vorbereitung und Durchführung eingebunden, was den besonderen Reiz des Textes ausmacht, der sich damit als theologisch reflektierte, teilnehmende Beobachtung einstufen lässt. Meister/Stender beschreiben, welche besonderen Herausforderungen sich für den ÖKT unter anderem aufgrund der Pandemiebedingungen ergeben haben, aber auch aufgrund der Debatten über die Möglichkeit, im Zusammenhang des ÖKT wechselseitig eucharistische Gastfreundschaft zu praktizieren.

Damit wird ein praktischer Handlungskontext als Folie für die drei nachfolgenden Texte geliefert: Diese Texte sind systematisch-theologische Auseinandersetzungen mit dem genannten ÖAK-Votum. Im ersten dieser Aufsätze hebt die lutherische Theologin Friederike Nüssel, Heidelberg, die „Polyzentrik und das Fragmentarische sichtbarer Einheit“ hervor. Sie rekonstruiert eine entsprechende Perspektivierung als eine zentrale Einsicht aus den ökumenischen Dialogen der vergangenen Jahrzehnte und ordnet von daher das Votum auch im historischen Längsschnitt als bedeutenden Impuls speziell zur Überwindung der Trennung zwischen evangelischen und römisch-katholischen Christen ein. Nüssel hält aber zugleich fest, dass zwei Grundfragen, die über das Verständnis des Herrenmahls hinausgehen, im katholisch-evangelisch(-lutherischen) Dialog nach wie vor ungeklärt sind: Die eine Frage betrifft das Verhältnis von Kirchengemeinschaft und Abendmahlsgemeinschaft, die andere das Verständnis des Amtes. Gerade bezüglich dieser offenen Fragen müsse die wissenschaftliche Theologie sich verstärkt „in Bezug auf Wort Gottes, Offenbarung, Heilige Schrift und Überlieferung (Tradition)“ als „Bezeugungsinstanz“ sui generis verstehen. Die weiteren Diskussionen dürften sich von daher nicht auf den bilateralen Dialog beschränken. Wie auch die Glaubenskongregation in ihrer Reaktion auf das ÖAK-Votum mehrfach betone, sei v. a. die Orthodoxie einzubeziehen. Insgesamt gelte, dass ökumenische Theologie als Bezeugungsinstanz sensibel für die Polyzentrik ökumenischer Prozesse sein müsse.

Der katholische Fundamentaltheologe Magnus Striet, Freiburg, konzentriert sich auf eine der Grundfragen, die Nüssel als offen benannt hat: die Frage nach einem konsensfähigen Verständnis des Amtes. Striet ordnet v. a. in dieser Hinsicht das Antwortschreiben des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre und deren lehrmäßige Anmerkungen pointiert negativ ein: Darin würden zwar weitere theologische Reflexionen ausdrücklich als möglich und notwendig eingestuft, aber letztlich kein Weg zu einem echten Konsens eröffnet, der faktisch nicht einer reinen Rückkehrökumene gleichkäme, denn: Letztlich laufe die römische Argumentation darauf hinaus, die eigene Position Position in der Beauftragung Christi mit dem sakramentalen Mittlerdienst zu verankern. Daraus ergebe sich die göttliche Legitimation der römischen Kirche bzw. ihrer entscheidenden Instanzen und letztlich der Instanz des Bischofs von Rom (vgl. LG 22,2), die bestimmen, „wie Kirche ausgestaltet zu sein hat, und mehr noch: was überhaupt theologisch zu denken ist.“ Demgegenüber sei mit „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ jedwede Rezeption des jesuanisch begründeten Ursprungsgeschehens als „‚ Interpretation‘“ zu verstehen, die immer in einem historischen Kontext stehe. – Von diesen beiden fundamental unterschiedlichen Herangehensweisen her greift es aus der Sicht Striets zu kurz, darauf zu setzen, dass sich die ausstehende kirchenoffizielle Rezeption der Ergebnisse entsprechender ökumenischer Konsensgespräche auf katholischer Seite durch eine weitere Klärung des Amtsverständnisses erreichen ließe. Eine solche Strategie könne deshalb nicht weiterführen, weil seitens des Lehramtes das zentrale Problem im Abbruch der kausal gedachten apostolischen Sukzession im Zeitalter der Reformation lokalisiert werde. Striet plädiert alternativ dafür, faktisch längst praktizierte Formen der Eucharistie-/Abendmahlsgemeinschaft als authentischen Ausdruck des „ökumenisch geteilte[n] Spürsinn[s] des Gottesvolkes“ zu interpretieren, was letztlich zu einer neuen Denkform der Sakramentalität des Amtes führen müsse: eine Form, die wohl wegführe von einem sazerdotalen Verständnis, und die wieder v. a. am prophetischen und gesellschaftstransformierenden Potenzial der Sendung des Juden Jesus aus Nazareth anzuknüpfen hätte.

Der letzte Beitrag zum Thema stammt vom schwedischen Theologen David Heith-Stade, Wien, der das ÖAK-Votum aus einer „Eastern Orthodox perspective“ kommentiert – und der damit eine Sichtweise einspielt, die in den bisherigen Diskussionen über das Papier noch zu wenig einbezogen worden ist. Heith-Stade geht dabei von zwei Fragen aus: Erstens, ob es überhaupt möglich sei, die im ÖAK-Votum formulierten Schlussfolgerungen bzgl. der wechselseitigen, gewissensbasierten Teilnahme an Eucharistie-/Abendmahlsfeiern der jeweils anderen Tradition „with the principles of Eastern Orthodox ecumenism“ zu harmonisieren; und zweitens, ob die in Deutschland zwischen römisch-katholischen Gesprächspartner:innen und „main-line Protestant[s]“ festgestellten Konvergenzen hinsichtlich ekklesiologischer, eucharistie- und ordinationstheologischer Fragen die Konvergenzen reflektieren, wie sie in bilateralen Dialogen mit Beteiligung orthodoxer Kirchen bereits erreicht worden sind. Die Antworten des Aufsatzes fallen einerseits klar, andererseits durchaus differenziert aus. Von den von ihm rekapitulierten verschiedenen Konsensdokumenten her konstatiert Heith-Stade, dass die Antwort auf die erste Frage „Nein“ lauten müsse, die Antwort auf die zweite genau wahrzunehmen habe, welche Aspekte jeweils genau im Fokus stehen. Gerade im Zusammenhang der Bearbeitung der zweiten Fragestellung werden (vielleicht für manchen) überraschende Übereinstimmungen zwischen Konfessionen offenkundig, etwa dort, wo Heith-Stade belegt, dass bezüglich Opferverständnis und Realpräsenz der „bilateral dialogue with the Lutherans […] shows a high degree of convergence on the topic of the Eucharist“. Doch auch hier bleibe deshalb eine grundlegende Spannung, weil – analog zur lehramtlichen römisch-katholischen Position – orthodox an einem bestimmten Verständnis apostolischer Sukzession festgehalten werde. Dies geschehe mit Berufung auf „the Nicaean Church“ als normativer Referenzgröße der ökumenischen Bewegung – ein Ansatz, der nach Heith-Stade nicht zu schnell als unhistorisch verabschiedet werden sollte, basiere doch „the picture of pre-Nicaean Christianity“ vielfach „on pure speculation without any hard evidence“. Wer sich mit Bezug auf diese frühe Phase heute für größere Vielfalt ausspreche, fälle von daher auch ein „ value-judgement“. – Anders als die anderen beiden Beiträge von Nüssel und Striet führt Heith-Stade übrigens – im ausdrücklichen Bewusstsein, dass die orthodoxe Position innerhalb der ökumenischen Dialoge vielfach als sehr sperrig wahrgenommen werde – auch ein pneumatologisches Argument in die Debatte ein: Die Orthodoxie setze insgesamt womöglich stärker als andere Traditionen darauf, dass die Kraft des Heiligen Geistes innergeschichtlich tatsächlich wirksam sei; insofern favorisiere orthodoxe Theologie keineswegs eine utopische Einheitsvorstellung, wenn sie an voller Kirchengemeinschaft als Voraussetzung von Eucharistiegemeinschaft festhalte, und etwa innerorthodoxe Dialoge würden belegen, dass die Orthodoxie durchaus das Instrument des differenzierten Konsenses kenne und anzuwenden bereit sei. – Spätestens nach Lektüre dieses vierten Beitrags zum Thema des Heftes dürfte klar werden, dass Friederike Nüssels Forderung, ökumenische Theologie als Bezeugungsinstanz müsse auch die Polyzentrik ökumenischer Prozesse intensiver als bislang gezielt einbeziehen, äußerst plausibel ist.

Die zwei weiteren Texte können vielleicht von daher so rezipiert werden, dass sie auf eigene Weise beleuchten, was für Theologien, insofern sie sich als Bezeugungsinstanz des Glaubens verstehen, global gesehen aktuell unter anderem entscheidend ist, angesichts dessen, dass sie sich innerhalb weit fortgeschrittener, äußerst pluraler Modernisierungsprozesse immer wieder neu verorten und ihre Relevanz beweisen müssen. Thomas Fornet-Ponse, Systematiker mit einem Schwerpunkt innerhalb ökumenischer Theologie und Leiter der Bildungsabteilung von missio, Aachen, geht von Formulierungen der – durchaus kontrovers diskutierten – Apostolischen Konstitution „Veritatis Gaudium. Über die kirchlichen Universitäten und Fakultäten“ von 2018 aus, die Theologie ebenso dem Evangelium wie dem jeweiligen soziokulturellen Kontext verpflichtet sehen. Fornet-Ponse ordnet seine folgende Rekonstruktion der Relecture des Chalkedonense in den Christologien von Jon Sobrino, Aloysius Pieris und Mercy Amba Oduyoye so ein, dass sie dieser Forderung entsprechen: In diesen Christologien werde jeweils das altkirchliche Dogma aufgenommen, aber auch in seinen Grenzen wahrgenommen. Diese Grenzen ergeben sich von einem Ansatz her, der mit dem pastoralen Prinzip des Zweiten Vatikanums konsequent danach strebe, „in und für“ einen konkreten „Kontext nach einer angemessenen Ausdrucksweise der befreienden Realität Jesu Christi und seiner Verkündigung des Reiches Gottes in Wort und Tat“ zu suchen. Fornet-Ponse hebt von daher den regulativen Charakter der chalkedonischen Formel hervor: Sie sei eben gerade nicht als wörtliche Formulierung Kriterium von Identität, sondern ein Metakriterium für kontextuelle Entfaltungen einer angemessen Glaubensrede „von Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Menschen“.

Der Münsteraner katholische Theologe Michael Höffner nimmt schließlich im letzten Beitrag dieses Heftes Impulse aus der Enzyklika „Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ auf und entwickelt daraus „Skizzen zu einer Theologie und Spiritualität der Leiblichkeit“: Die Enzyklika gehe – wenn auch etwas im Hintergrund – von Franziskus von Assisi als paradigmatischer Figur einer ganzheitlich orientierten Humanökologie aus. Dieser Ansatz sei, so Höffner, angesichts der existenziellen Herausforderungen, die durch die globalen Krisen bedingt sind, nicht zuletzt deshalb spirituell-theologisch attraktiv, weil er engstens mit dem Umkehrmotiv gekoppelt werde. So bedurfte es bei Franziskus selbst eines Ringens mit der Ambivalenz der Schöpfungserfahrung und „im Verhältnis zur eigenen Leiblichkeit eines langen und schmerzhaften Entwicklungswegs […], bis es zu der Haltung kommt, die die Enzyklika als Leitbild präsentiert: dass Franziskus in Harmonie mit sich selbst lebte und damit für eine gesunde Beziehung zur Schöpfung steht.“ Auf dieser Folie kann Höffner zeitdiagnostisch sensibel „Problemfelder der Leiblichkeit in der Gegenwartskultur“ theologisch reflektieren und nachzeichnen, wie eine Spiritualität gestaltet sein muss, die umfassend lebensförderlich ist, indem sie Leiblichkeit als göttliche Gabe versteht.

Auch damit wird der Bogen in gewissem Sinne zu den themenorientierten Beiträgen des Heftes zurückgeschlagen: Es ergeben sich, wie eingangs von der Programmatik des 3. ÖKT her angedeutet, nochmals andere Perspektiven auf ökumenische Dialoge, wenn sich die Konfessionen zusammen als dafür verantwortlich begreifen, auf Basis des biblisch begründeten Zeugnisses und in Vernetzung mit anderen Religionen sowie allen Menschen guten Willens die „Sorge für das gemeinsame Haus“ der Schöpfung als zentrales Movens ihrer Sendung immer wieder neu zu entdecken und zu dynamisieren.

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