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Leseprobe 2 DOI: 10.14623/thq.2020.4.375–387
Matthias Gronover
Berufsorientierte Religionspädagogik
Konturierung eines Forschungsfeldes. Über konstitutive Unschärfen, Unbestimmtheiten und Vagheiten
Einleitung

Die berufsorientierte Religionspädagogik beforscht den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, erarbeitet empirisch geprüfte Empfehlungen für die Praxis des Unterrichtens und kommuniziert wissenschaftliche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit. Dabei ist – neben der wissenschaftlichen Expertise – der Dialog zwischen den behördlicher- und kirchlicherseits Verantwortlichen für den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen auf der einen Seite und den Religionslehrerinnen- und -lehrern auf der anderen entscheidend, ebenso aber die aufmerksame Wahrnehmung gesellschaftlicher Entwicklungen, die die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den berufsbildenden Schulen prägen.

Obwohl es schon früh eigenständige, religionsdidaktische Entwicklungen gab – genannt seien für den katholischen Bereich die Impulse von Prälat Vospohl1 –, wurde die berufsorientierte Religionspädagogik wesentlich durch die Bildung des katholischen Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik (KIBOR, gegründet 2001), des evangelischen Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik (EIBOR, gegründet 2008) und des Bonner Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik (bibor, gegründet 2010) einer breiteren schulischen und akademischen Öffentlichkeit bekannt. Alle Institute kooperieren in Projekten und sind universitär angebunden.2 Dabei wird auch die Kooperation mit der islamischen Theologie intensiviert.

Berufsorientierte Religionspädagogik lässt sich aber keinesfalls auf die Institute engführen. Ihre frühen Anfänge legen nahe, dass es mindestens zwei zu unterscheidende Interessenlagen waren, die sie als Spezialdisziplin der Religionspädagogik ausmachten: Zum einen stellte sich im katechismusorientierten Unterricht nach dem Zweiten Weltkrieg heraus, dass die Auszubildenden die Sprache der Kirchen oft nicht mehr sprachen und es deswegen besonderer didaktischer Bemühungen bedurfte, Auszubildende in der eigentümlichen Spannung von religiöser Bildung und Berufsausbildung zu erreichen. Zum anderen markiert der Lernort Berufsschule eine gewisse Entgrenzung dessen, was die allgemeine Religionspädagogik für allgemeinbildende Schulen als religiöse Bildung konturierte. Denn durch das Ausgreifen der religionspädagogischen Reflexion nicht mehr nur auf bildungstheoretisch begründbare Kompetenzen, sondern auch auf die berufliche Relevanz solcher Kompetenzen wird und wurde das Feld der Religionspädagogik entscheidend geweitet.

Wenn im Folgenden also vom Forschungsfeld der berufsorientierten Religionspädagogik die Rede ist, dann bezieht sich das auf konkrete Menschen, die sich in einer Ausbildung befinden. Die Reflexion religiöser Bildung in dieser Ausbildung fällt der berufsorientierten Religionspädagogik zu. Bewusst ist im Titel vom Forschungsfeld die Rede, nicht vom Forschungsgegenstand. Ein Feld ist lebendig, es unterliegt einem Wandel und man muss es längere Zeit beobachten, um zu verstehen, wie es genutzt wird.3 Berufsorientierte religionspädagogische Forschung besteht in der Beobachtung religiöser Bildung in der Berufsschule, nachdem sie dieses Feld für sich geöffnet hat. Dieses Forschungsfeld, so wird in diesem Artikel behauptet, entzieht sich seiner Verobjektivierung in dem Maße, in dem die Unbestimmtheiten und Vagheiten des Feldes nicht erkannt und benannt werden. Darauf wird in den Unterkapiteln zurückzukommen sein. Es scheint aber wichtig zu betonen, dass solche Unschärfen zum einen die Praxis bestimmen, und sie eben auch gelingen lassen.4 Dort, wo Forschungsergebnisse solche konstitutiven Vagheiten nicht transportieren oder verdecken, besteht die Gefahr, dass das gewonnene Wirklichkeitsmodell zur Norm der Wirklichkeitsmodellierung wird und damit das Zentrum auch der religionspädagogisch-forschenden Bemühungen – die Subjekte religiöser Bildung – überformt werden.5

Diese Feststellung ist wichtig, weil sie die berufsorientierte Religionspädagogik in zweierlei Hinsicht öffnet. Zum einen wird die berufsorientierte Religionspädagogik, wie die Religionspädagogik überhaupt, sich um empirisch-exakte Forschung bemühen müssen, um im oben umrissenen Dialog zwischen Ministerien und Verantwortlichen für den Religionsunterricht gehört zu werden. Die Umsetzung von Forschung in die Praxis hängt entscheidend von der Plausibilität der Forschungsergebnisse gegenüber nichtwissenschaftlichen Institutionen ab. Zum anderen ist das Forschungsfeld belebt von den Subjekten religiöser Bildung, deren Erforschung „notwendig unexakt“ ist.6 Diese Unbestimmtheit lässt sich nicht ganz auflösen, was bedeutet, dass religionspädagogische Forschung mit konstitutiven Unschärfen zu tun hat und es ein wichtiges Erkenntnisinteresse sein sollte, diese Unschärfen zu erfassen.

Der Artikel beschreibt zunächst die Jugendlichen in berufsbildenden Schulen anhand empirischer Studien (1). Dann werden die Religionslehrerinnen und -lehrer in ihrem Arbeitsumfeld charakterisiert (2), um daran anschließend religiöse Bildung im Spannungsfeld von Ausbildung und allgemeiner Bildung zu verorten (3). Abschließend wird aufgezeigt, dass auch wissenschaftstheoretisch Unbestimmtheiten zum Geschäft berufsorientierter Religionspädagogik gehören müssen (4).

Anmerkungen


1 | Vgl. Hermann-Josef Stratomeier, Religionsunterricht an der Berufsschule – im Spiegel seiner Lehrplanentwicklung. Von der katechetischen Unterweisung zum adressaten- und berufsbezogenen Religionsunterricht, Münster 2009, 104.
2 | Vgl. Reinhold Boschki/Matthias Gronover/Christoph Knoblauch/Hanne Schnabel-Henke/Friedrich Schweitzer, The Tübingen Institutes of Vocation-Orientated Religious Education. An Overview of Empirical Studies, in: Friedrich Schweitzer/Reinhold Boschki (Hg.), Researching Religious Education. Classroom Processes and Outcomes, Münster/ New York 2018, 385–393.
3 | Dieses nachhaltige Bemühen um ein Verständnis dieses Feldes macht deutlich, dass es immer eine Verfahrensfrageist, wie man sich dieses Feld eröffnet und sich in ihm bewegt, es aber auch eine Frage der „epistemischen Tugend“ ist, die Subjekte religiöser Bildung nicht mit Vorstellungen von Objektivität im Sinne ihrer Vermessung zu verwechseln (vgl. Lorraine Daston/Peter Galison, Objektivität, Frankfurt a. M. 2007).
4 | Matthias Gronover, Religiöse Indifferenz als Chance religiöser Bildung, in: Engagement 37 (2019), 163–170.
5 | Das ist die Sorge, die Steffen Mau im Blick auf die freiwillige Selbstmetrisierung durch Smartwatches etc. formuliert:„Wer sich dem Diktat der Parametrisierung des Selbst unterwirft, kommt nicht umhin, die Daten ernst zu nehmen und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Oft verdrängt die objektivierte Berichterstattung subjektive Körpergefühle, und viele Nutzer berichten davon, dass sie erst angesichts nicht zufriedenstellender Körperdaten angefangen haben, sich schlecht zu fühlen“ (Steffen Mau, Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen, Frankfurt am Main 2017, 173). Im Moment erfolgt die Parametrisierung des Bildungssystems, was zu einer Standardisierung der Kriterien guten Religionsunterrichts führen soll, nicht aber zu einer Homogenisierung subjektiver religiöser Bildung (vgl. Friedrich Schweitzer, Religion noch besser unterrichten. Qualität und Qualitätsentwicklung im RU, Göttingen 2020).
6 | Martin Heidegger, Die Zeit des Weltbildes, in: Ders., Holzwege. Gesamtausgabe I. 5, Frankfurt a. M. 22003 [1938], 75–113, hier 79. Beim Verweis auf Heidegger ist zweierlei zu bedenken: zum einen seine Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus sowie seine Agitation als Rektor in Freiburg in dieser Zeit (vgl. Hans-Peter Kunisch, Todtnauberg. Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung, München 2020) und zum anderen sein „seinsgeschichtlicher Antisemitismus“, der sein Werk durchzieht (Jean-Luc Nancy, Banalität Heideggers, Zürich/Berlin 2017). Dennoch wird er dort zitiert, „wo er die richtigen Sachen zu sagen scheint“ (Hans-Jörg Rheinberger, Die Farben des Tastens, Frankfurt a. M. 2015, 27). [...]


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