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Editorial DOI: 10.14623/thq.2019.4.293-295
Bernd Jochen Hilberath
Den 70. Geburtstag der emeritierten Direktoren Bernd Jochen Hilberath und Karl-Josef Kuschel nahm die amtierende Direktorin Johanna Rahner zum Anlass einer Momentaufnahme des interreligiösen Dialogs zwischen Juden, Christen und Muslimen: Am 24. Januar 2019 veranstaltete das Institut für Ökumenische und Interreligiöse Forschung der Universität Tübingen ein Symposion zum Thema Dialog der Religionen – worauf es uns ankommt. Die Intention war weniger ein Rückblick als vielmehr ein Vorausblick auf der Basis der bisherigen Arbeit des Instituts. Dank der souveränen Moderation von Christian Henkel, der federführend für die Planung und Durchführung verantwortlich zeichnete, wurde das Symposion zu einer gelungenen, ebenso informativen wie anregenden universitären Veranstaltung.

In ihrem Impuls zur Eröffnung des Symposions erinnert Johanna Rahner an die Herkunft des Instituts, seine theoretischen Grundlagen und die daraus sich ergebende ökumenische und interreligiöse Hermeneutik. Was im Bereich der Ökumene vorangebracht wurde, beförderte auch die Theologie der Religionen, die zunehmend an Bedeutung gewann. Die Direktorin verdeutlichte dies durch vier „Schlaglichter“. Die ökumenische wie die interreligiöse Begegnung und ihre jeweilige theologische Aufarbeitung, Begleitung und Inspiration erfordere vier Kompetenzen: Ambiguitätstoleranz (Pluralismuskompetenz), Alteritätstoleranz (Differenzkompetenz), Dialogfähigkeit und schließlich die Kompetenz, die religiösen Transformationsprozesse der Moderne reflexiv zu begleiten.

Zum Stand der jüdisch-christlichen theologischen Begegnung referierten Karl-Josef Kuschel und der Darmstädter Rabbiner Jehoschua Ahrens. Im aktuellen Kontext, der von erneuten Ausbrüchen eines Antisemitismus gekennzeichnet ist, interpretiert Kuschel drei einschlägige Dokumente zum Verhältnis von Judentum und Christentum. Am 10. September 2000 wurde unter dem Titel Dabru Emet („Redet Wahrheit“) ein Dokument veröffentlicht, das sich aus jüdischer Perspektive mit dem Christentum beschäftigt und von etwa 200 Rabbinerinnen und Rabbinern sowie Intellektuellen aus der reformjüdischen Tradition unterzeichnet ist. Darin verzichten jedenfalls die Unterzeichnenden auf einen jüdischen Alleinvertretungsanspruch hinsichtlich der göttlichen Offenbarung. In gewissem Sinn eine theologische Vertiefung dazu bedeutet die 2015 veröffentlichte Erklärung Den Willen unseres Vaters im Himmel tun, ein „Orthodox Rabbinic Statement on Christianity“. Darin wird die Existenz des Christentums als „gottgewollt“ beurteilt. In vier Sätzen fasst Kuschel die Substanz des Dokuments zusammen: 1. Die Existenz des Christentums sei Gottes Willen als „Geschenk an die Völker“. 2. Gott wolle eine Trennung zwischen Partnern, nicht jedoch eine Trennung zwischen Feinden. 3. Gott habe Juden und Christen zu liebevoller Partnerschaft bestimmt. 4. Gott nutze viele Boten, um seine Wahrheit zu offenbaren. Da Rabbi Ahrens Initiator und einer der Hauptautoren dieser Erklärung war, konnte Kuschel seine Anfrage direkt an diesen adressieren: Wenn Christen also mittlerweile bekräftigt haben, dass Gottes Bund mit dem Volk Israel fortbesteht, könnten Juden Christen die Teilnahme an diesem Bund Gottes ebenso bekräftigen? Angeschärft wird diese Rückfrage indirekt durch das dritte vorgestellte Dokument Zwischen Jerusalem und Rom der Europäischen Rabbinerkonferenz und des Rabbinischen Rates von Amerika, ein Produkt des seit 2002 bestehenden Austausches zwischen dem Oberrabbinat Israels und der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden. In diesem Text wird einseitig nur die positive Einschätzung des Judentums betont. Dazu passt, dass aufs Ganze gesehen in diesem „Dialog“ theologische Grundfragen unberücksichtigt blieben.

Jehoschua Ahrens präsentiert die in der interreligiösen Begegnung und der Beurteilung der jüdischen Einstellung bislang kaum wahrgenommenen traditionell-jüdischen Quellen sowie jüdisch-orthodoxe Positionen. Sie stehen aber im Hintergrund der Erklärung von 2015, ebenso wie die selten gewürdigten Initiativen seitens der jüdischen Orthodoxie. Die Konzilserklärung Nostra Aetate ermöglichte es jüdischen Gelehrten, den durch die Shoah nochmals mörderisch vertieften Graben zu überspringen und auch bezüglich des Christentums von Gottes Willen zu sprechen. Das sei inhaltlich nicht revolutionär, könne aber (erst) jetzt deutlich ausgesprochen werden und damit einen echten Dialog eröffnen. Darin blieben fundamentale theologische Differenzen; es gehe also nicht um einen „netten“ Austausch zwischen den Religionen. Dass das Judentum einen Pluralismus innerhalb der monotheistischen Religionen erkennen könne, ist eine Position, welche die unterschiedlichen jüdischen Reaktionen und ebenso den Kompromisscharakter des dritten Dokuments erklärt. Indirekt beantwortet Ahrens die Hälfte der Anfragen Kuschels.

Mahmoud Abdallah und ich arbeiten seit Jahren in Publikationen und (Lehr-)Veranstaltungen zusammen; entsprechende Erfahrungen flossen in unsere Vorträge ein. Die ausführliche Fassung des muslimischen Beitrags bietet reichhaltige Informationen zum Vertrag von Medina, dessen Kern so zusammengefasst wird: Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit, Religionsfreiheit, Einheit und Kooperation unter den Anwohnern von Medina, strikte Einhaltung der eingegangenen Bündnisse, Zusammenarbeit für das Gute und gemeinsames Bekämpfen des Bösen, Ermutigung für hohes moralisches Verhalten und Beratung als eine Methode der Regierung. Nach Abdallahs Auffassung, die er in Auseinandersetzung auch mit gegensätzlichen Interpretationen behauptet, zeigt der Vertrag von Medina, dass mit dem Propheten Muhammad der Islam von Anfang an für Frieden und Gerechtigkeit in einer Gemeinschaft eintrete, die dem Individuum Schutz, aber eben auch (Glaubens-)Freiheit gewähre. Das gelte insbesondere für die in der Umma Versammelten, die den Glauben an denselben Gott teilen, also die Monotheisten. Vor allem die Nichtbeachtung des Vertrags bestätigt unsere gemeinsame Erkenntnis, dass ohne entsprechende Erfahrungen die humanistischen Theorien in der Luft hängen. Eben dies verorte ich in meinem Beitrag im aktuellen Kontext abgrenzender Sicherung der eigenen Identität. Dies gilt, wie die Geschichte des Christentums zeigt, gerade auch für religiöse Gemeinschaften. Hinter der Erklärung Nostra Aetate, ein Durchbruch auf römisch-katholischer Seite, steht eine in der Tübinger Theologie besonders betonte Unterscheidung von Kirche und Reich Gottes. Damit verbindet sich die Einladung an alle in der Gemeinschaft der Menschen, sich für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung – in einer vom heiligen Gottesgeist inspirierten Haltung – einzusetzen.

Erik Müller-Zähringer, Anna Knorreck und Christian Henkel, Nachwuchswissenschaftler des Instituts, gehen der Frage nach, wohin sich die Ökumenische Bewegung bewegen müsste, um ihrem eigenen „Stand“ gerecht zu werden. Gefordert sei ein Diversitätsmanagement, wobei die Ökumene selbst ein Quell- und Lernort für entsprechende Haltungen und (Divergenz-)Kompetenzen bieten könne. Was zu tun wäre und was wir, die Autorinnen und Autoren, in unseren jeweiligen Projekten tun, wird in einer „Richtungsanzeige“ präsentiert. Zusammenfassend heißt es: „Es bedarf einer für das Individuelle und Differente sensiblen ökumenischen Stilkunde auf dem Weg zu einer Ökumene mit Stil, die es ermöglicht, achtsam, kompetent und konstruktiv damit umzugehen, dass Menschen in ökumenischen Prozessen im Angesicht des Anderen, Divergenten, ihre eigene Identität in die Waagschale werfen und – nicht nur virtuell – aufs Spiel setzen.“

Auf die Leser*innen wartet eine spannende Lektüre!

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