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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/thq.2019.1.49-59
Matthias Gronover
Überflüssig und notwendig: Die Themensetzung im Religionsunterricht an der Berufsschule
Von entscheidender Wichtigkeit: Der Anfang im Religionsunterricht

Was beim Malen der erste Strich ist, ist im Religionsunterricht in der Berufsschule das Betreten des Raums durch die Lehrkraft. Schon hier setzt die Lehrerin oder der Lehrer ein Zeichen. Etwas Neues beginnt und entsteht. Darin liegt die „Kunst des Unterrichtens“. Man „geht“ in den Unterricht und installiert damit eine spezielle Gegenwart. Der evangelische Theologe Christian Lehnert schreibt:

„Das Gehen ist das Gebet der Beine und des Blicks. Immer folgt ein allererster Schritt einem allerersten Schritt, wie oft man auch schon die Strecke gegangen ist. Alle Wiederholung, sei’s seit Jahren, alle Routine hilft nichts (es sei denn, man ist ganz abgestumpft): Was folgt, ist noch unbestimmt, ein Anfang, ein Nahen auf Gott zu.“

Man geht in den Unterricht und ist voller Hoffnung, dass es gelingt, dass die kommenden 45 Minuten bei allen Anwesenden zünden und nicht vergebens sein werden. Beim Kunstwerk ist der zweite Strich entscheidend. Der zweite Strich gibt dem Anfang schon den Schatten einer Gestalt, weckt Assoziationen, durchdringt die Oberflächlichkeit, gibt den flüssigen und nahezu beliebigen Akzenten des erstens Strichs Halt. Der zweite Strich, das ist im Religionsunterricht die Stundeneröffnung durch die Benennung eines Themas. Und gerade in der Berufsschule darf der Lehrer oder die Lehrerin wohl oft erleben, dass nicht er oder sie den zweiten Strich macht, sondern die Auszubildenden. Die Gedanken, die ich mir bei der Planung des Unterrichts durch die Themenwahl machte, durchkreuzten die Schülerinnen und Schüler oftmals mit einem einzigen Hinweis, einem Federstrich, mit hinreißender Leichtigkeit.

Den gängigen didaktischen Entwürfen nach hat der Beginn des Unterrichts entscheidende Bedeutung für den Erfolg der Stunde. Es gibt aber tatsächlich sehr wenig Literatur zur Stundeneröffnung.

Eine ethnografische Studie im Gymnasium gibt allerdings wichtige Einblicke in die entscheidende Kraft, die im Stundenbeginn liegt. Die Studie betont, dass die Schulstunde gewissermaßen schon vor Stundenbe ginn anfängt. Manche Schülerinnen und Schüler hätten sich schon in der Pause das erforderliche Material zurechtgelegt, manche die vorangegangene Stunde dieses Faches im Heft nachgearbeitet, andere seien aber einfach im Klassenzimmer umhergelaufen und hätten dann über ein Meldesystem mit Vorposten im Gang außerhalb des Klassenraums angekündigt, dass der Lehrer oder die Lehrerin nun komme. In der Analyse hebt der Ethnograf hervor, dass die Stundeneröffnung eine stark disziplinierende Funktion habe. Die Auszubildenden setzten sich auf ihren Platz und normalerweise würde recht schnell Ruhe einkehren. Dies sei die Regel. Dem Ethnografen wurde in der darauffolgenden Stunde aber oft nicht sofort klar, um welches Thema genau es im aktuellen Unterricht inhaltlich ging.

Erfahrungen in der Berufsschule zeigen, dass es von entscheidender Wichtigkeit für die Themensetzung ist, das Stundenthema prägnant und für alle verständlich zu präsentieren – es also durch Tafelanschrieb, Kurzgeschichte, Bild oder auch Fragestellung plastisch zu vermitteln. Gelingt dies und bietet man dabei die „Möglichkeit der Negation“, wie Luhmann sagen würde, geschieht eine wirkliche Ausrichtung der Kommunikation am Objekt. Von der Zugänglichkeit der Stundeneröffnung hängt der Erfolg der Themensetzung im Klassenzimmer ab. Warum? Auszubildende haben eine eigene Wahrnehmung des Unterrichtsgeschehens. Während die Vorstellung der Lehrerinnen und Lehrer sich religionsdidaktisch professionell am idealen Ablauf einer Stunde orientieren, haben Auszubildende oft ihre ganz eigene Vorstellung von der kleinen Zukunft des kommenden Unterrichts.

Die Religionsdidaktik schlägt in der Regel den idealtypischen Ablauf von Einstieg, Erarbeitung, Festigung und Transfer vor. Der sogenannte Einstieg, der das Thema klar benennt und gleichzeitig alle im Raum Anwesenden herausfordert und motiviert, sich damit auseinanderzusetzen, mündet demnach in eine Erarbeitungsphase, in der alle fleißig arbeiten und neue Welten erschlossen werden. Das Erlernte wird sodann ausgetauscht und verfestigt, um schließlich und endlich in die letzte Frage der Lehrerin oder des Lehrers zu münden, die als Transfer die Bedeutung des Gelernten für das Leben oder den Beruf oder die Gesellschaft hervorhebt. Auszubildende unterlaufen diese Planung mehr oder weniger unbewusst.

Ein Lehrer, der einmal das Thema „Bewahrung der Schöpfung“ bei einem angehenden Gebäudetechniker bearbeiten wollte, wurde noch vor Beginn der Stunde vor der Tür begrüßt von Valentin, einem bulgarischstämmigen Auszubildenden, der sehr aufgewühlt und aufgebracht war, weil sein Ruf ruiniert sei. Er hatte einen Freund um einen Autotransport für einen Dritten gebeten, der dann allerdings nie zustande kam. Das Thema Ehre und Ruf stand im Raum und der Lehrer musste sich dem aussetzen, zuhören und kommentieren. So tauchte er ein in eine fremde Welt. Aus seiner Sicht war die Stunde misslungen, aus Valentins Sicht half sie ihm über den Berg. Er fand Resonanz für sein Anliegen.

Themen sich setzen zu lassen ist also notwendig – zuweilen auch, damit die Auszubildenden von der Themenwahl abweichen können und Freiheit erfahren. Damit dies geschieht, braucht es Zutrauen und eine Unbefangenheit der Religionslehrkraft, vom eigenen Plan abzuweichen. Rudolf Englert, Elisabeth Hennecke und Markus Kämmerling stellen vorsichtig fest, dass Unterrichtsvorlagen für die Lehrerinnen und Lehrer derart bedeutsam sein können, dass eine wirkliche Themensetzung, ein Einpendeln der subjektiven Bedeutsamkeiten auf einen thematischen Kern hin, oft nicht zustande kommt.

Ein weiteres Beispiel soll die Dynamik der Themensetzung illustrieren. An die Tafel malt der Lehrer das Bild einer sitzenden Frau, den Kopf geneigt. Eine Sprechblase kommt vom Himmel: „Fürchte dich nicht!“ Die Stunde fand in der Adventszeit statt. Die Erwartung war, zu dieser Zeit ein Zeichen für Frieden und Toleranz zu setzen und zu zeigen, dass der Mensch dazu allein nicht fähig ist, dass es Gott braucht, um Frieden zu stiften. Oder genauer: den Vorschuss an Vertrauen an etwas, dass man nicht sehen kann, dass man nicht immer spüren kann, von dem man aber glaubt, dass es da ist. „Fürchte dich nicht!“ ist ein Zitat aus dem Anfang des Lukasevangeliums. Dort kündet der Engel Gabriel Maria die Geburt ihres Sohnes Jesus an. Sie habe Gnade gefunden bei Gott. Die Vorstellung der Lehrkraft war, zu fragen, wovor sich Maria denn zu fürchten habe?

Die Vorstellung der Schülerinnen und Schüler war keine Vorstellung, sondern eine Erfahrung: Die Stunde ging tatsächlich darum, dass sich Menschen fürchten. Die Auszubildenden erkannten sofort die Frau, die gebeugte Haltung, den Zuspruch von oben. Und sie teilten ihre Erfahrungen mit, von häuslicher Gewalt, von der Angst, die sich schon einstellt, lange bevor der Gewalttäter oder die Gewalttäterin das Haus betritt, von der stillen Duldung der Gewalt, ihrer Leugnung, der Hoffnung auf Frieden in der Familie, wenn der Gewaltrausch vorbei ist. Es war eine erdrückende Stunde. Auch nach dieser Stunde war der Lehrer nicht mehr derselbe.

Wie überflüssig, ein Thema gewählt zu haben, wie notwendig, das Thema sich setzen zu lassen. Oder nochmals anders pointiert: Durch eine gelungene Themensetzung wird ein Thema tatsächlich über-flüssig, es verflüssigt sich und weckt Assoziationen und Bedeutungen, die zuvor nicht sichtbar waren. So bringt sich das Thema selbst hervor und das Lern- und Unterrichtsgespräch nimmt seinen Lauf. [...]


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