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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/thq.2023.1.61–77
Dagmar Heller
Aus dem selben Taufwasser
Die Orthodoxie in der Ukraine und ihre historischen Beziehungen zum Patriarchat von Moskau
Zusammenfassung
Während in der Zeit der Ausbreitung des Christentums auf dem Gebiet der heutigen Ukraine und der Russischen Föderation die verschiedenen orthodoxen Kirchen in dieser Region eine gemeinsame Geschichte haben, gibt es seit dem 12. Jahrhundert unterschiedliche Entwicklungen in den verschiedenen Landesteilen. Dies hängt zusammen mit der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen politischen Machtsphären. Eine Rolle spielt auch die Beziehung des Moskauer Patriarchats zum Patriarchat von Konstantinopel. Dies alles hat Auswirkungen bis in die jüngste Zeit. Während es im 20. Jahrhundert in der ukrainischen Orthodoxie immer eine pro-russische und eine ukrainischnational gesinnte Gruppierung gab, herrscht im Moment eine Absetzbewegung vom Moskauer Patriachat vor.

Abstract
From the 12th century onwards, after common beginnings in the spread of Christianity on the territory of today‘s Ukraine and the Russian Federation, the various Orthodox churches in this region have experienced different developments in the different parts of the country. This is due to the fact that they belonged to different spheres of political power. Another factor is the relationship between the Moscow Patriarchate and the Patriarchate of Constantinople. This all has effects up to the most recent times. While there has always been a pro-Russian and a Ukrainian-national grouping in Ukrainian Orthodoxy in the 20th century, there is currently a movement away from the Moscow Patriarchate.

Schlüsselbegriffe/Keywords
Ukraine; Russische Orthodoxe Kirche; Moskauer Patriarchat; Patriarchat von Konstantinopel; Kiewer Rus‘; Ukrainische Orthodoxe Kirche; Orthodoxe Kirche der Ukraine
Ukraine; Russian Orthodox Church; Patriarchate of Moscow; Patriarchate of Constantinople; Kievan Rus‘; Ukrainian Orthodox Church; Orthodox Church of Ukraine


Die Geschichte der Ukraine erscheint wie die eines Spielballs zwischen verschiedenen Mächten. Jedenfalls ist das so seit dem 12. Jahrhundert, der Zeit, in der auch der Name ‚Ukraine‘ zum ersten Mal auftaucht.1 Dieser bedeutet übersetzt nichts anderes als „Grenzgebiet“ und spiegelt damit etwas von dieser Situation wider. Die verschiedenen Regionen der heutigen Ukraine haben daher eine unterschiedliche Geschichte, aber zu welchem Großreich auch immer sie gehörten, sie lagen immer an der Peripherie. Dies hat auch der Geschichte der Kirchen dort seinen Stempel aufgeprägt.

Während die Russische Orthodoxe Kirche heute ihre Ursprünge in der Ukraine und insbesondere in Kiew sieht und aus dieser Sicht heraus ihre Beziehungen zu den Kirchen in der Ukraine gestaltet, ist die ukrainische Sicht auf das Patriachat von Moskau eine andere. Wie sich diese unterschiedlichen Perspektiven historisch entwickelt haben und die Beziehungen zwischen beiden Seiten beeinflusst haben, soll in diesem Artikel nachgezeichnet werden. Daraus werden manche der jüngsten Entwicklungen in den orthodoxen Kirchen in der Ukraine besser verständlich.

Zu diesem Zweck soll zunächst die Verbreitung des Christentums auf dem Gebiet der heutigen Russischen Föderation und der Ukraine in Erinnerung gerufen werden. Die daraus folgende Entstehung des Moskauer Patriarchats und die Entwicklung der Orthodoxie in den nichtrussischen, heute ukrainischen Regionen wird im zweiten Abschnitt nachgezeichnet werden. In einem weiteren Teil geht es um die Beziehungen zwischen der Kirche in der Ukraine und dem kirchlichen Zentrum in Moskau, wobei die Vorgänge im 17. Jahrhundert im Mittelpunkt stehen, da gerade hier die genannten unterschiedlichen Positionen deutlich werden. Schließlich soll noch ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen dieser Beziehungen geworfen werden.


1. Die Verbreitung des Christentums in der Kiewer Rus


Insgesamt können in der Ukraine und in Russland heute (mindestens) vier2 Kirchen ihren Ursprung auf die sogenannte Taufe der Kiewer Rus‘ im Jahr 988 zurückführen: die Russische Orthodoxe Kirche (ROK), die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) und die Ukrainische Katholische Kirche. Alle vier haben trotz dieser gemeinsamen Anfänge eine leidvolle Geschichte miteinander, wie im Folgenden deutlich werden wird.
Der sogenannten Taufe der Rus‘ ging „eine lange und verworrene Vorgeschichte voraus“3. Dabei spielte die Völkerwanderung eine entscheidende Rolle, in deren Verlauf die Goten das Christentum in das Gebiet des damaligen Großskythien4 brachten, während auf der Krim griechische Kolonisten den christlichen Glauben verbreiteten. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts bestand offenbar ein Bistum von Cherson, und im 6. Jahrhundert ist die Gründung eines Bistums auf der Halbinsel Taman, östlich der Straße von Kertsch, bezeugt.5 Ab dem 9. Jahrhundert entstand schließlich die Rus’, ein lockerer Verband von Teilfürstentümern, der von Warägern oder Wikingern6 aus Skandinavien an der wichtigen Handelsstraße zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer mit dem Zentrum in Kiew aufgebaut wurde. Durch die daraus entstehenden Handelskontakte weitete sich der Einflussbereich des byzantinischen Reiches nach Norden hin aus, auch in religiöser Hinsicht. Denn die über die eingesessene slawische Bevölkerung dominierenden skandinavischen Einwanderer standen bald völlig unter dem kulturellen Einfluss von Byzanz.7 Seither gab es in der Kiewer Oberschicht Christen, die offenbar eine wachsende Geltung bekamen. Dadurch kam es aber zu Machtkämpfen zwischen Anhängern des alten heidnischen Kultus und der christlichen Gruppe, bis Fürst Vladimir (978–1015), der zunächst der heidnischen Partei zugehörte, sich schließlich für das Christentum entschied. Zu den genaueren historischen Umständen gibt es unter Historikern verschiedene Theorien.8 Legendär und historisch nicht belegt ist jedenfalls die Erzählung von der Massentaufe im Jahr 988, die von Vladimir angeordnet worden sein soll. Fakt ist, dass der Fürst nun die Christianisierung seines Herrschaftsbereichs entschieden in Gang setzte. Es gab – laut Ivanov – bald neun Bistümer9 innerhalb der Metropolie „von Kiew und der ganzen Rus’“, die dem Patriarchat von Konstantinopel10 unterstand. Hilarion Alfeyev spricht von „ungefähr 500 Kirchen allein in Kiew“ am Ende von Fürst Vladimirs Regentschaft.11 Vor allem im 11. Jahrhundert, unter Fürst Jaroslaw, erlebte die Kirche eine Blüte, die sich auswirkte im Bau von Kirchen und der Entstehung von Klöstern, die zu geistlichen Zentren wurden, an vorderster Stelle das Kiewer Höhlenkloster.12



Anmerkungen

1 | Katrin Boeckh, Ukraine, in: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2020, https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/laender/ukraine (aufgerufen am 30.11.2020).
2 | Hier sind die Altgläubigen und andere Splittergruppen nicht berücksichtigt.
3 | Vladimir Ivanov, Rußland, in: TRE 29, 1998, 488–508.
4 | Dies umfasst ungefähr die Steppen nördlich des Schwarzen Meers zwischen der unteren Wolga, dem Kuban und dem Dnister (Tyra).
5 | Vgl. Ivanov, Rußland (wie Anm. 3), 489.
6 | Ivanov spricht von „Normannen“.
7 | So Ivanov, Rußland (wie Anm. 3), 489.
8 | Vgl. Ivanov, Rußland (wie Anm. 3), 490. Auch Thomas Bremer, Kreuz und Kreml. Kleine Geschichte der orthodoxen Kirche in Russland, Freiburg/Basel/Wien 2007, 23f.
9 | Ivanov, Rußland (wie Anm. 3), 490.
10 | Die von vorneherein bestehende Zugehörigkeit zu Konstantinopel wird allerdings von dem russischen Kirchenhistoriker Anton Kartašev bezweifelt (vgl. Ivanov, Rußland [wie Anm. 3], 490), scheint aber sonst allgemein anerkannt zu sein. Jedenfalls stammten die ersten Kiewer Metropoliten fast alle aus dem griechischen Klerus (vgl. Peter Plank, Die geschichtliche Entwicklung der orthodoxen Kirche im Südosten und Osten Europas, in: Wilhelm Nyssen/Hans-Joachim Schulz/ Paul Wiertz [Hg.], Handbuch der Ostkirchenkunde, Bd. 1, Düsseldorf 1984, 133–208, 152).
11 | Hilarion Alfeyev, Christian Orthodoxy. The History and Canonical Structure of the Orthodox Church, Vol. I, New York, 2011, 141.
12 | Bremer, Kreuz und Kreml (wie Anm. 8), 25f. [...]


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