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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/thq.2023.1.25–43
Franz-Josef Bormann
Eine ‚Zeitenwende‘ auch für die katholische Friedenslehre?
Moraltheologische Überlegungen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine
Zusammenfassung
Der aktuelle Ukraine-Krieg zwingt auch die christlichen Kirchen in Deutschland, ihre friedensethischen Positionen der jüngeren Vergangenheit selbstkritisch zu überdenken, wobei insbesondere die Abkehr von der sog. Lehre vom gerechten Krieg und die Reichweite der Hilfspflichten Dritter gegenüber Gewaltopfern im Mittelpunkt der Debatte stehen. Der vorliegende Text versucht in zehn Thesen, zu dieser Debatte Stellung zu beziehen und einige Desiderate einer zeitgemäßen christlichen Friedensethik zu umreißen.

Abstract
The current war in Ukraine is also forcing the Christian churches in Germany to selfcritically reconsider their peace ethics positions from the recent past, focusing in particular on the rejection of the so-called doctrine of just war and the scope of third parties’ obligations to help victims of violence. In ten theses, this text attempts to take position on this debate and to outline some desiderata of a contemporary Christian peace ethic.

Schlüsselwörter/Keywords

Ukraine-Krieg; Lehre vom gerechten Krieg; moralische Hilfspflichten gegenüber Gewaltopfern; Pazifismus; Abschreckungspolitik
Ukraine war; doctrine of just war; moral duty to help victims of violence; pacifism; deterrence policy


Wer die Einlassungen verschiedener gesellschaftlicher Akteure zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in den letzten Monaten aufmerksam verfolgt hat, der konnte sich eines wenigstens dreifachen Eindrucks kaum erwehren: Erstens ließen die unterschiedlichen Beiträge gravierende inhaltliche Differenzen in zentralen Fragen des politischen Umgangs mit dieser Situation erkennen. Zweitens erwies sich die Halbwertszeit vieler Positionierungen aufgrund der überraschenden Dynamik des Kriegsgeschehens als außerordentlich kurz. Und drittens suchte man eine über die Tagespolitik hinausweisende, überzeugende moralische Orientierung gerade durch Vertreter der christlichen Kirchen weithin vergebens. Zwar ist es wenig überraschend, dass innerhalb einer pluralen, zunehmend säkularen Gesellschaft die Protagonisten der öffentlichen Debatte je nach persönlicher Betroffenheit, disziplinärer Verortung, politischer Präferenz, sozio-ökonomischem Status und kultureller Prägung ganz verschiedene Perspektiven auf ein so vielschichtiges Thema einnehmen, doch wäre zu klären, ob der langen Tradition kirchlicher Friedensethik jenseits der diskrepanten Wortmeldungen einzelner Kirchenvertreter nicht doch einige substanziellere Einsichten zu entnehmen sind, die sich für die Bewältigung der aktuellen Problemlage als hilfreich erweisen könnten. In diesem Sinne erheben die folgenden Ausführungen keineswegs den Anspruch, das komplexe Phänomen des gegenwärtigen Krieges in der Ukraine umfassend ethisch zu bewerten. Vielmehr soll aus dem Blickwinkel der katholischen Moraltheologie zu einigen zentralen Streitpunkten kurz in Thesenform Stellung genommen werden, um die weitere Diskussion zu stimulieren.1

These 1

Die Rhetorik der ‚Zeitenwende‘ verdeckt die Kontinuität einer Problemkonstellation, die viel zu lange ignoriert wurde.

Erläuterung
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der nicht erst am 24. Februar 2022 begann, sondern mit der Annexion der Krim bereits 2014 einen ersten Höhepunkt erlebte, ist vielfach als historische ‚Zäsur‘ bezeichnet worden. Während Bundeskanzler Scholz in seiner viel beachteten Rede im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2022 von einer ‚Zeitenwende‘ sprach, glaubte Bundespräsident Steinmeier am 8. Mai 2022, in diesem Ereignis sogar einen veritablen ‚Epochenbruch‘ erkennen zu können2. Derartige Einschätzungen verraten ungeachtet ihrer rhetorischen Prägnanz vermutlich weniger über den objektiven Gang der geschichtlichen Ereignisse als über unsere – von vielfältigen Selbsttäuschungen, Fehleinschätzungen und Verdrängungen geprägte – subjektive Wahrnehmung derselben. Denn tatsächlich neu ist weder die Brutalität der russischen Kriegsführung, die mit der wahllosen Bombardierung ziviler Einrichtungen sowie der gezielten Misshandlung, Vergewaltigung und Folter von Nonkombattanten auf eine vollständige Missachtung des humanitären Kriegsvölkerrechts hinausläuft, noch die bizarre Propaganda, die mit einer Mischung aus dreisten Lügen, gezielter Desinformation und haarsträubender Geschichtsklitterung seit langem ein fester Bestandteil der hybriden Kriegsführung Russlands ist. Wer sich noch an die Spur der Verwüstung erinnert, die Putin in Tschetschenien und in Syrien hinterlassen hat, wird unschwer vielfältige Parallelen zum aktuellen Krieg in der Ukraine entdecken können. Neu ist allein der Umstand, dass sich diese brutalen Vorgänge jetzt innerhalb Europas abspielen und damit zumindest mittelbar auch unsere eigenen vitalen Sicherheitsinteressen berühren. Zwar ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass unter dem Druck der Ereignisse jetzt endlich auch innerhalb der deutschen Politik parteiübergreifend die Bereitschaft wächst, frühere Wahrnehmungsmuster kritisch zu hinterfragen und vor allem jene energie- und verteidigungspolitischen Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte zu korrigieren, die im Ergebnis eine fatale Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energieexporten und eine nachhaltige Schwächung unserer Verteidigungsfähigkeit bewirkt haben. Dieses Umdenken allein ist aber noch keine Garantie dafür, dass die erforderlichen Veränderungen auch tatsächlich zügig vorbereitet und in konkreten Maßnahmen umgesetzt werden.

Es ist jedoch nicht allein die Bundesregierung, die durch den Krieg in der Ukraine nun plötzlich vor dem Scherbenhaufen einer fehlgeleiteten Politik steht und aufgrund der Kumulation gleich mehrerer, sich überlagernder Krisen schwierige politische Abwägungen vorzunehmen hat. Auch die christlichen Kirchen sind – jenseits ihres praktischen Engagements in vielfältigen humanitären Hilfsprojekten – dazu aufgefordert, ihre jüngeren friedensethischen Positionierungen selbstkritisch zu überdenken und so fortzuschreiben, dass sie den gegenwärtigen Herausforderungen gerecht werden. Da es neben gewichtigen Parallelen durchaus auch einige markante Unterschiede zwischen den einschlägigen Verlautbarungen beider Kirchenleitungen gibt, dürfte davon auszugehen sein, dass der Korrekturbedarf in einzelnen Sachfragen ein jeweils konfessionsspezifisches Gepräge aufweist.

These 2
Weder aus den verschiedenen Textschichten der christlichen Bibel noch aus der theologischen Tradition lässt sich eine Verpflichtung zu einem generellen Pazifismus ableiten.

Erläuterung
Die verbreitete Vorstellung, der Beitrag der christlichen Religion zu Fragen der Sicherheitspolitik erschöpfe sich in einer pazifistischen Utopie, die zwar gesinnungsethisch achtenswert erscheine, sich für die Bewältigung realer politischer Probleme aber als wenig tauglich erweise, wird weder der Differenziertheit des biblischen Textbefundes noch der Vielschichtigkeit der theologischen Traditionsbestände gerecht. So lässt bereits die Einstellung der unterschiedlichen Textschichten des Alten Testamentes zu Krieg und Frieden je nach den sich stark verändernden Bedingungen der politischen Verfasstheit des alten Israel eine erstaunliche Variabilität möglicher Positionierungen erkennen.3 Diese reicht von der Rechtfertigung von Angriffskriegen und der Überhöhung von kriegerischen Handlungen zu sog. ‚heiligen Kriegen‘ über die prophetische Warnung vor aussichtslosen kriegerischen Aufständen gegen benachbarte Großmächte, denen Israel als Vasallenstaat unterworfen war, bis hin zu ausgesprochen pazifistischen Visionen insbesondere in den jüngsten Textformationen, die unter poststaatlichen Bedingungen entstanden sind und aufgrund ihrer stark eschatologischen Einfärbung keine unmittelbare politische Handlungsanleitung darstellen, sondern Hoffnungsbilder evozieren, die originär religiöse Funktionen erfüllen.

Im Neuen Testament gibt es zwar durch die jesuanischen Aussagen zum Gewaltverzicht und zur Feindesliebe im Rahmen der Bergpredigt eine eindeutig gewaltkritische Spur, die alle Christen zu einer Haltung der Vergebungsbereitschaft und der Überwindung der alltäglichen Gewaltspirale zum glaubwürdigen Zeugnis für den Anbruch des Reiches Gottes verpflichtet, doch dürften diese Weisungen primär auf den persönlichen Bereich im Umgang mit individuellen Gegnern abzielen. Eine direkte Übertragung auf den politischen Bereich – insbesondere auf das Handeln eines modernen säkularen, religiös-weltanschaulich neutralen Staates – dürfte demgegenüber außerhalb des Horizontes dieser Texte liegen.4 Dies schwächt die Verpflichtung der einzelnen Christen, sich über ihr privates Umfeld hinaus auch für ein friedliches Zusammenleben der Völker einzusetzen, jedoch keineswegs ab, sondern erinnert lediglich daran, dass innerhalb eines politischen Gemeinwesens mehrere Verantwortungsebenen voneinander zu unterscheiden sind, die trotz vielfältiger Wechselwirkungen und Interdependenzen funktional differenzierte Zuständigkeiten markieren. Deswegen ist es auch wenig überraschend, dass sich in der langen Geschichte der christlich inspirierten Friedensethik je nach historischer Konstellation und primärem Adressaten eine Vielzahl unterschiedlicher Positionierungen nachweisen lässt.

These 3
Die Tradition der kirchlichen Friedensethik enthält wichtige begriffliche und argumentative Ressourcen, die nicht vorschnell für obsolet erklärt werden sollten, da sie sich für eine Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen als bedeutsam erweisen.

Erläuterung
Kirchliche Einlassungen zu Krieg und Frieden sollten schon aus Gründen der Kohärenz generell stärker darauf achten, dass basale Einsichten der eigenen Tradition angemessen zur Geltung gebracht werden. Auch wenn es ein völliges Missverständnis der tatsächlichen Genese der christlichen Friedensethik wäre, diese als einen starren Kanon unveränderlicher Prinzipien zu konzipieren und damit die historische Dimension der Einsicht in viele thematische und normative Zuwächse ihrer Lehrgehalte auszublenden, bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass es überhaupt keine Kontinuitätslinien gibt. Ganz im Gegenteil bildet die starke natur- und vernunftrechtliche Imprägnierung vieler friedensethischer Denkfiguren nicht nur die Voraussetzung ihrer Rezeption aus vor-christlichen Traditionsbeständen, sondern auch ihrer weiteren Systematisierung im Raum theologischer Theoriebildung, wobei derartigen Inkulturationsprozessen neben vielfältigen Ergänzungen, Begriffstransformationen und Rekontextualisierungen immer auch ein deutliches Bemühen um Bewahrung und Kontinuität der wichtigsten Sinngehalte innewohnt. So wichtig es daher ist, mit hoher Sensibilität die jeweiligen zeitgeschichtlichen Veränderungsprozesse im Umfeld des eigenen historischen Standortes nicht nur wahrzunehmen, sondern auch angemessen zu deuten, so verfehlt wäre ein Denken, das meinte, sich von grundlegenden normativen Orientierungen allein deswegen distanzieren zu können, weil sich bestimmte Bedrohungsparameter zeitweilig oder dauerhaft verschoben haben. Wie schwierig es oftmals ist, die mittel- und langfristigen Folgen selbst gravierender politischer Umbrüche für die Sicherheitsarchitektur einer Region realistisch einzuschätzen, wird sofort deutlich, wenn man sich im Rückblick noch einmal die oft gegenläufigen Interpretationen vergegenwärtigt, die etwa die Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa im Zuge des Zusammenbruchs der UdSSR und der Auflösung des Warschauer Paktes gefunden haben. Während die einen den Wettstreit zwischen dem freiheitlich-demokratischen System des Westens und dem kommunistisch-totalitären Modell des Ostens für endgültig entschieden hielten und sogar schon ein ‚Ende der Geschichte‘5 (i. S. der bislang dominierenden bipolaren Weltordnung im Zeichen der Ost-West-Konfrontation) ausriefen, sahen die anderen bereits gravierende neue Gefahren eines ‚Zusammenpralls der Kulturen‘6 am Horizont aufscheinen, deren sicherheitspolitische Herausforderungen denen des bisherigen Kalten Krieges in nichts nachstehen. Der Umstand, dass die jüngeren friedensethischen Verlautbarungen der beiden christlichen Kirchen7 in Deutschland tendenziell eher der optimistischeren ersten Deutungsrichtung zuneigten, dürfte nicht zuletzt dem kontingenten Umstand geschuldet sein, dass Europa – mit Ausnahme der Jugoslawien-Kriege in den 1990er-Jahren – tatsächlich eine sehr lange Friedensperiode durchlebte, sodass die Vorstellung neuer zwischenstaatlicher kriegerischer Auseinandersetzungen im näheren geografischen Umfeld und einer daraus erwachsenden Bedrohung der eigenen Sicherheit vielen Zeitgenossen offensichtlich zunehmend abwegig erschien.

These 4
Insbesondere die sog. Lehre vom gerechten Krieg mit ihren beiden Kristallisationspunkten eines ius ad bellum und eines ius in bello dürfte sich als aktueller erweisen, als uns viele ihrer (kirchlichen) Kritiker glauben machen wollen.

Erläuterung
Gegen die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg werden gewöhnlich drei Einwände ins Feld geführt: Erstens entstamme sie einer Zeit, in der noch kein umfassendes völkerrechtliches Gewaltverbot existierte und Krieg grundsätzlich noch als legitimes Mittel der Politik betrachtet wurde, was derzeit nicht mehr der Fall sei. Zweitens hätten technologische Innovationen – insbesondere die Entwicklung moderner ABC-Waffen – mittlerweile dazu geführt, dass eine strikte Trennung zwischen Kombattanten und Nonkombattanten gar nicht mehr möglich sei und die einschlägigen Erlaubnis- bzw. Verbotskriterien daher nicht mehr angewendet werden könnten. Drittens werde diese Lehre den neuen Herausforderungen durch hybride Formen der Kriegsführung, bürgerkriegsähnliche Unruhen im Kontext von sog. failing states und terroristische Bedrohungen nicht gerecht, da sie konzeptionell dem Modell zwischenstaatlicher Kriegsszenarien verhaftet sei.

Obwohl alle diese Bedenken gewiss sehr ernst zu nehmen sind, vermögen sie aus zwei Gründen weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit eine generelle Verabschiedung des Lehrstücks vom gerechten Krieg zu rechtfertigen8. Zum einen beruhen die Versuche, einen Gegensatz zwischen dem vermeintlich neuen Leitbild eines ‚gerechten Friedens’ und der traditionellen bellum iustum-Lehre zu konstruieren, auf der falschen Annahme eines normativen Dissenses in der Zielperspektive, der sich bei näherer Betrachtung als inexistent erweist. Da es der Lehre vom gerechten Krieg „in erster Linie nicht darum geht, den Einsatz militärischer Mittel zu rechtfertigen, sondern darum, den Frieden zu sichern und den Krieg zu verhindern, bzw. ihn da, wo er nicht zu verhindern ist, zu begrenzen“9, kann von einer teleologischen Grunddifferenz zwischen beiden Konzepten keine Rede sein. Zum anderen erweisen sich die von der Tradition bereitgestellten Kriterien zur Prüfung der Legitimität einer militärischen Gewaltanwendung auch heute noch als hoch aktuell und unverzichtbar. Unabhängig davon, ob diese Kriterien dabei wie bei Thomas von Aquin auf die klassische Trias der formalen Autorität der politischen Führung eines Gemeinwesens (i. S. der auctoritas principis), des in gravierendem Unrecht bestehenden gerechten Grundes (i. S. der causa iusta) und der auf die Friedenssicherung ausgerichteten rechten Absicht (i. S. der recta intentio) konzentriert werden10, oder ob sie – wie im aktuellen Weltkatechismus – zusätzlich noch die ultima ratio-Bedingung, die realistische Erfolgsaussicht und die Proportionalitätsforderung im Rahmen einer Schaden-Nutzen-Abwägung miteinbeziehen11, stets geht es darum, anspruchsvolle Voraussetzungen dafür zu formulieren, dass der Einsatz von Waffengewalt überhaupt gerechtfertigt werden kann. Solcher Kriterien bedarf es im Kontext der Debatte um sog. humanitäre Interventionen (i. S. einer responsibility to protect)12 ebenso wie im Rahmen klassischer zwischenstaatlicher Konflikte, mit deren Auftreten auch zukünftig realistischerweise zu rechnen ist. Wendet man diese Kriterien auf den aktuellen Krieg in der Ukraine an, dann muss man sagen, dass der russische Angriff auf den seit 1991 souveränen Staat der Ukraine alle Kriterien eines ungerechten Krieges erfüllt, während die Ukraine ihrerseits jedes moralische Recht hat, sich gegen den Angreifer zu verteidigen, um das Leben und das Selbstbestimmungsrecht der eigenen Bevölkerung sowie die staatliche Integrität zu schützen.

Die ethische Bedeutung dieser Einsicht wird nicht dadurch geschmälert, dass sich die kirchliche Position in den letzten Jahren in Richtung eines umfassenderen Konzeptes vom ‚gerechten Frieden‘ weiterentwickelt hat, das vor allem der Gewaltprävention in ihren sozialen, wirtschaftlichen, menschenrechtlichen und ökologischen Dimensionen deutlich mehr Beachtung schenkt.13 So wichtig es ist, mögliche Kriegsursachen vorausschauend zu bekämpfen und alles Erforderliche dafür zu tun, dass kriegerische Auseinandersetzungen erst gar nicht ausbrechen, so notwendig bleibt es auch im 21. Jahrhundert, die bewährte Kriteriologie zur Identifikation gerechtfertigter Formen der Gewaltanwendung überall dort konsequent zur Anwendung zu bringen, wo basalste Grundrechte von Gewaltopfern – entweder durch die Invasion einer auswärtigen Macht oder infolge eines Funktionsversagens staatlicher Institutionen in sog. failing states – bedroht sind. Es ist daher verfehlt, einen Gegensatz zwischen der Lehre vom gerechten Krieg und dem Konzept des gerechten Friedens aufzubauen und die beiden Ansätze gegeneinander auszuspielen, wie das bedauerlicherweise nicht nur in einigen markanten Positionierungen der evangelischen Kirche14, sondern auch in einzelnen Äußerungen von Papst Franziskus15 in jüngster Zeit geschehen ist. Das Leitbild vom gerechten Frieden stellt recht verstanden weder einen Gegensatz noch eine Alternative zur traditionellen Lehre vom gerechten Krieg dar, sondern umschreibt vielmehr eine komplementäre Sichtweise, die die bewährte bellum iustum-Konzeption durch die Einbeziehung wichtiger Elemente einer gewaltpräventiven Politik inhaltlich ergänzt. Demgegenüber läuft die Beschwörung eines vermeintlich christlichen Pazifismus, der sich grundsätzlich weigert, von ‚gerecht(fertigt)en Kriegen‘ zu sprechen und die wahren Ursachen eines realen kriegerischen Konflikts beim Namen zu nennen, nicht nur Gefahr, hinter der Differenziertheit traditioneller begrifflicher Unterscheidungen zurückzufallen, sie führt auch in logische und konzeptionelle Widersprüche16, die letztlich ungewollt den Aggressoren in die Hände spielen.

These 5
Sowohl im Blick auf die ‚Notwehr‘ als auch auf die ‚Nothilfe‘ sind der moraltheologischen Tradition wichtige Denkfiguren zu entnehmen, die jedoch im aktuellen Diskurs um den Krieg in der Ukraine oft übersehen werden.

Erläuterung
Die katholische Kirche verteidigt bekanntlich seit jeher das Lebensrecht jedes unschuldigen Menschen in allen Stadien seiner Existenz als basales Gut, das sich allen rein utilitaristischen Nützlichkeitskalkülen entzieht und eine unbedingte deontologische Grenze für alle Abwägungsprozesse markiert. Aus dem basalen Grundrecht auf Leben folgt ein moralisches Recht auf Selbstverteidigung gegenüber ungerechten Angreifern, das sich mutatis mutandis auch auf kollektive Akteure übertragen lässt. Obwohl im Falle des Ukraine-Krieges kaum jemand dem ukrainischen Volk das grundsätzliche moralische Recht abgesprochen hat, sich gegen den russischen Angriff mit Waffengewalt zur Wehr setzen zu dürfen17, gab es insbesondere zu Kriegsbeginn immer wieder Stimmen, die sich angesichts des militärischen Machtgefälles zwischen dem Aggressor und dem Gewaltopfer dafür aussprachen, durch schnelle Verhandlungen das Blutvergießen zu beenden – auch wenn dies nicht nur die Abtretung erheblicher Teile des ukrainischen Staatsgebietes, sondern auch die faktische Kapitulation vor dem offensichtlichen Bruch elementarer völkerrechtlicher Bestimmungen bedeuten würde. Die Problematik dieser Position bestand vor allem darin, dass sie den Entscheidungsraum unzulässig auf zwei gleichermaßen unbefriedigende Alternativen – sc. das Führen eines aussichtlosen Krieges mit hohen Opferzahlen oder die Akzeptanz eines russischen Diktatfriedens – verkürzte. Der Versuch einzelner deutscher Intellektueller, den Ukrainern aus der scheinbar unbeteiligten Beobachterperspektive die zweite Option als das nüchtern kalkulierte minus malum anzuempfehlen, stand jedoch nicht nur in der Gefahr, als anmaßende Geste (miss-)verstanden zu werden, hinter der sich nur allzu leicht partikulare eigene Interessen verbergen könnten. Noch viel wichtiger war der Umstand, dass eine derartige Strategie von vornherein die Frage ausblendete, ob die Selbststilisierung zum scheinbar unbeteiligten Beobachter nicht um den Preis einer völligen Ausblendung irreduzibler eigener Verantwortlichkeiten erkauft war. Tatsächlich brechen hier nämlich für die westlichen Demokratien schwierige Fragen nach der Existenz und Reichweite spezifischer Hilfspflichten Dritter auf, da sie selbst zwar nicht direkt angegriffen wurden, aber durchaus in der Lage sind, dem Gewaltopfer wirksame Hilfe zu leisten.18 Zur Vermeidung einer Verantwortungsdiffusion in solchen Konstellationen hat die moraltheologische Tradition zwei Denkfiguren entwickelt, die ursprünglich dem individualethischen Bereich entstammen, mutatis mutandis aber auch auf dem Gebiet des kollektiven Handelns anwendbar sind.

Die eine Denkfigur betrifft den sog. ordo caritatis, demzufolge Art und Ausmaß unserer jeweiligen positiven Pflichten maßgeblich von den sozialen Beziehungen sowie geografischen Näheverhältnissen zwischen den einschlägigen Akteuren abhängen. Ungeachtet der Universalität basaler Grund- und Menschenrechte, die zu achten jede:r immer und überall strikt ausnahmslos verpflichtet ist, gibt es eine gestufte Verantwortlichkeit, die mit wachsender Nähe ansteigt. Auch wenn es zu kurz greift, die erforderliche Unterstützung für die Ukraine, die gegenwärtig weder der NATO noch der EU angehört, direkt gegen die verschiedenen out of area-Einsätze der deutschen Streitkräfte in entlegenen Weltregionen im Rahmen der Bündnisverpflichtungen in Stellung zu bringen, berührt der russische Angriff auf ein osteuropäisches Nachbarland doch in hohem Maße die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur. Es wäre daher eigenartig, wollten wir die deutschen Interessen zwar am Hindukusch verteidigen, unsere ungleich größere Verantwortung gegenüber unseren europäischen Nachbarn aber weiter gedanklich marginalisieren.

Die andere einschlägige Denkfigur besteht in der sog. Lehre von der Mitwirkung am Bösen (cooperatio ad malum), die neben der aktiven Unterstützung unzulässiger Handlungen auch das schuldhafte Unterlassen umfasst. Wer einem Gewaltopfer helfen kann, sich aber entweder dazu entschließt, keine Hilfe zu leisten, oder sich nicht (rechtzeitig) dazu entschließt, die gebotene Hilfe zu gewähren, der macht sich mitschuldig am verbrecherischen Handeln Dritter. Da der traditionellen MitwirkungsLehre bisweilen vorgeworfen wird, sie fokussiere sich zu sehr auf die Kooperationsformen natürlicher Personen und klammere demgegenüber die ungleich komplexeren Beziehungen zwischen kollektiven Akteuren aus19, bietet der Ukraine-Krieg eine gute Gelegenheit, diese Einseitigkeit zu korrigieren und ausdrücklich auch die kollektive Ebene der Verantwortung ganzer Staaten zu reflektieren. Obwohl Deutschland – wie andere EU-Mitglieder auch – bereits in einem bislang beispiellosen Ausmaß durch mehrere Sanktionspakete erheblichen politischen und wirtschaftlichen Druck auf Russland ausübt, entfalten die getroffenen Maßnahmen ihre Wirkung naturgemäß nicht schnell genug, um den Kriegsverlauf zeitnah direkt zu beeinflussen. Daher haben sich mehrere westliche Länder unter der Führung der USA inzwischen dazu entschlossen, verschiedene Waffensysteme direkt an die Ukraine zu liefern, um deren Selbstverteidigungsfähigkeit gegenüber einem übermächtigen Angreifer zu stärken. Vor allem in den ersten Kriegsmonaten stand das zögerliche und von wachsenden internen Dissonanzen geprägte Verhalten der Bundesregierung in der Frage der Waffenlieferungen nicht nur in der Gefahr, zu einem internationalen Reputationsverlust Deutschlands bei den westlichen Verbündeten zu führen, es drohte zusehends auch genau diejenigen sicherheitspolitischen Ziele zu verfehlen, die nach eigenem Bekunden mit der Vereitelung der russischen Annexionspläne eigentlich erreicht werden sollten. Zwar dürfen NATO-Staaten nicht zur direkten Kriegspartei in dem Sinne werden, dass sie selbst mit eigenen personellen Mitteln auf dem Staatsgebiet der Ukraine operieren, doch besteht unabhängig von bündnisbezogenen Beistandsregeln eine moralische Verpflichtung, alles Mögliche zu tun, um das Gewaltopfer in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit zur wirksamen Gegenwehr zu ertüchtigen. Das schließt auch die Lieferung sämtlicher Arten sogenannter ‚schwerer Waffen‘ ein, wenn nur diese geeignet sind, die legitimen Ziele der Landesverteidigung des Aggressionsopfers zu erreichen. Daher war nicht nur die mit den NATO-Verbündeten abgestimmte und von weiten Teilen des Parlaments am 28. April unterstütze Entscheidung zu begrüßen, den Umfang der militärischen Hilfslieferungen an die Ukraine deutlich auszuweiten. Es sind im Blick auf den zukünftig zu erwartenden Kriegsverlauf – insbesondere die bereits begonnene Frühjahrsoffensive des russischen Militärs – noch weitergehende militärtechnische Unterstützungsmaßnahmen erforderlich, um einerseits die ukrainische Zivilbevölkerung durch geeignete Flugabwehrsysteme vor dem dauerhaften völkerrechtswidrigen Beschuss insbesondere der kritischen Infrastruktur zur Wasserund Energieversorgung zu schützen, und andererseits die ukrainischen Truppen durch schweres Kriegsgerät (wie moderne Panzer verschiedener Bauart und Funktion)zu einer schrittweisen Zurückdrängung der russischen Besatzungstruppen möglichst bis an die Staatsgrenze zu befähigen. Sollte es nicht gelingen, Putin durch massive militärische Gegenwehr zur dauerhaften Aufgabe seiner Annexionspläne zu bewegen und die russisch besetzten Gebiete zeitnah zurückzuerobern, hätte das nicht nur fatale Folgen für die Option, die aktuelle militärische Konfrontation möglichst rasch auf dem Verhandlungsweg mit einem auch völkerrechtlich akzeptablen Ergebnis zu beenden. Es würde Russland auch zu weiteren militärischen Abenteuern in anderen ‚abtrünnigen Sowjetrepubliken‘ motivieren und damit die globale Sicherheitslage insgesamt weiter destabilisieren.

These 6

Es sollten nach dem Ende der Kampfhandlungen alle Möglichkeiten genutzt werden, um einerseits die schrittweise Integration der Ukraine in die EU voranzutreiben und andererseits die Verantwortlichen für die massiven Kriegsverbrechen in der Ukraine mit allen vorhandenen Rechtsmitteln zu verfolgen und die Machtbasis des Putin-Regimes durch die Aufrechterhaltung der politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland dauerhaft zu schwächen.

Erläuterung
Auch wenn es gegenwärtig noch zu früh ist, über die Modalitäten eines möglichen Kriegsendes zu spekulieren, dürften sich bereits jetzt zwei Desiderate abzeichnen: Zum einen sollte die Ukraine seitens der EU darin unterstützt werden, den nötigen Wiederaufbau des Landes mit konkreten Reformen zu verbinden, die mittelfristig eine Integration in die EU ermöglichen. Zum anderen sollte im Blick auf die verheerenden Folgen der russischen Aggression schon von Gerechtigkeits wegen alles dafür getan werden, um insbesondere die Verantwortlichen für die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine zur Rechenschaft zu ziehen. Da die Möglichkeiten hierfür jedoch schon allein dadurch außerordentlich begrenzt sind, dass Russland das Römische Statut zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) nicht ratifiziert hat20, sollten zumindest die politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Putin-Regime auch nach der Beendigung der unmittelbaren Kampfhandlungen aufrechterhalten werden. Obwohl es allein in der Verantwortung des russischen Volkes liegt, über die politische Zukunft seiner derzeitigen Regierung zu befinden, weshalb sich alle Gedankenspiele eines Regime-Wechsels von außen verbieten, sollten die westlichen Staaten auch um den Preis kurzfristiger wirtschaftlicher Nachteile alles Mögliche tun, um die schwachen demokratischen Kräfte innerhalb Russlands zu unterstützen. Statt die Parameter der eigenen Außenpolitik weiterhin an den psychischen Befindlichkeiten eines despotischen Präsidenten oder an den Geschäftsinteressen einzelner inländischer Firmen auszurichten, sollten sich die außenpolitischen Entscheidungen der westlichen Demokratien schon aus Gründen der eigenen Glaubwürdigkeit künftig stärker an den grundlegenden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, den globalen Notwendigkeiten der Zusammenarbeit (z. B. im Bereich des Klimaschutzes) und legitimen eigenen Sicherheitsinteressen orientieren.

These 7
Die kirchliche Friedenslehre sollte sich stärker mit den sicherheitspolitischen Voraussetzungen unseres freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens befassen, um einen Beitrag zur Überwindung bestehender Defizite zu leisten.

Erläuterung
Die Kirche sollte künftig stärker als bisher all jene Initiativen unterstützen, die die sicherheitspolitischen Grundlagen unseres Gemeinwesens stärken. Die freiheitlich-demokratische Ordnung ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder neu gegen innere und äußere Feinde verteidigt werden. Von daher schließen sich Freiheit und Wehrhaftigkeit nicht nur nicht aus, sie bedingen vielmehr einander. Das Konzept einer ‚wehrhaften Demokratie‘ verlangt für Deutschland ein politisches Handeln, das wenigstens drei verschiedene Komponenten umfasst, die eng miteinander verbunden sind und stets neu in eine angemessene Balance gebracht werden müssen: Das erste Element besteht in dem ehrlichen Bemühen, der viel zu lange verdrängten Verantwortung für die eigene Landesverteidigung und die Erfüllung bestehender Bündnisverpflichtungen endlich wieder gerecht zu werden. Die Zeiten, in denen wir uns auf die militärischen Vorleistungen unserer Verbündeten verlassen haben, ohne selbst unsere eigenen Vertragspflichten vollumfänglich zu erfüllen, müssen der Vergangenheit angehören. Eine solche im Grunde parasitäre free rider-Mentalität ist nicht nur unsolidarisch und ungerecht, sie ist auch gefährlich. Dabei geht es jedoch nicht nur um finanzielle Ressourcen wie die Einhaltung des von der NATO vorgegebenen Zwei- Prozent-Zieles, sondern auch um die generelle Verankerung der Themen Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung. Die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 hat einen Prozess beschleunigt, der die Bundeswehr in eine aufmerksamkeitsökonomische Randlage abgedrängt hat. Die jetzt wieder zaghaft aufkeimende Debatte um die Einführung einer ‚allgemeinen Dienstpflicht‘ für junge Männer und Frauen, die unter anderem auch durch einen Wehrdienst erfüllt werden kann21, ist daher sehr zu begrüßen und könnte diese verhängnisvolle Entwicklung zumindest teilweise korrigieren.

Ein zweites Element des Konzepts ‚wehrhafter Demokratie‘ besteht darin, auf europäischer Ebene noch enger als bisher mit unseren Nachbarn und Verbündeten bei der Entwicklung und Beschaffung komplexer Waffensysteme zu kooperieren. Dies ist angesichts der in diesem Bereich anfallenden enormen Kosten nicht nur ökonomisch geboten. Es ist im Blick auf Ausbildung, Einsatzbereitschaft, Logistik und Wartung auch aus praktischen Gründen sinnvoll. Zudem ist eine Intensivierung der Zusammenarbeit insofern auch politisch wünschenswert, als sie den nationalistischen Fliehkräften innerhalb der EU entgegenwirken und den europäischen Integrationsprozess weiter vertiefen würde. Angesichts der veränderten geopolitischen Weltlage könnte der aktuelle Ukraine-Krieg ein Anlass dafür sein, die seit den 1950er-Jahren diskutierten Pläne für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft aufzugreifen und die Weichen dafür zu stellen, dass dieses ebenso anspruchsvolle wie schwierige Projekt sukzessive realisiert werden kann.

Das dritte Element des Konzeptes ‚wehrhafter Demokratie‘ besteht im grundsätzlichen Primat diplomatischer Konfliktbearbeitung, deren bleibende Bedeutung gegenwärtig infolge der aktuellen Kriegsereignisse allzu leicht aus dem Blick gerät. Die erforderliche Ertüchtigung der eigenen Streitkräfte ist kein Ersatz für Diplomatie. Sie ist vielmehr integraler Bestandteil eines Verständnisses politischer Handlungsfähigkeit, das realistischerweise damit rechnet, dass sich längst nicht alle internationalen Akteure an die Spielregeln der Gewaltfreiheit halten. Ein überzeugendes Verständnis wehrhafter Demokratie redet daher keiner eindimensionalen Aufrüstungspolitik das Wort, die militärische Stärke als Selbstzweck betrachtet. Es beruht vielmehr auf einem komplexeren Ansatz, in dem sich die verschiedenen Komponenten einer an den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit ausgerichteten Diplomatie so mit primär defensiv ausgerichteten militärischen Fähigkeiten verbinden, dass gefährliche Konflikteskalationen möglichst auf dem Verhandlungsweg vermieden und eklatante Rechtsbrüche notfalls mit Gewaltmitteln geahndet werden können. Auch wenn die konkrete Umsetzung aller drei Komponenten dieses Konzeptes in die originäre Zuständigkeit der politischen Entscheidungsträger fällt, können kirchliche Akteure im öffentlichen Diskursraum einen Beitrag dazu leisten, die Plausibilität einschlägiger Vorschläge zu dessen Operationalisierung kritisch zu prüfen und eigene Vorschläge für eine überzeugende Balance der Einzelkomponenten zu unterbreiten.

These 8
Trotz der Wünschbarkeit neuer Initiativen zur Rüstungskontrolle bleibt die nukleare Abschreckung zumindest mittelfristig ein integraler Bestandteil der internationalen Sicherheitsarchitektur, sodass sich kirchliche Forderungen an realistischerweise erreichbaren Zielen orientieren sollten.

Erläuterung
Angesichts verschiedener globaler Herausforderungen – vom Klimawandel über die Demografie bis hin zur desolaten Welternährungssituation und einem sich verschärfenden Migrationsdruck – ist es nur allzu verständlich, dass immer wieder gefordert wird, nicht nur generell verstärkte Anstrengungen zur Abrüstung zu unternehmen, sondern insbesondere die extrem hohen Kosten für die nukleare Abschreckungspolitik durch die periodisch erforderliche Modernisierung der Nuklearwaffen zu begrenzen. Obwohl nicht nur finanzielle Erwägungen, sondern auch veritable Sicherheitsüberlegungen verstärkte Anstrengungen im Bereich der Rüstungskontrolle ethisch dringend geboten erscheinen lassen, ist in diesem Bereich insofern kaum mit einfachen Lösungen zu rechnen, als die Entwicklung der letzten Jahrzehnte mindestens zweierlei lehrt: Erstens sind reale Fortschritte im Bereich der Abrüstung durchaus immer dann möglich, wenn ein entsprechender politischer Wille auf allen Seiten tatsächlich vorhanden ist. So konnten gerade in Zeiten des Kalten Krieges eine ganze Reihe verschiedener Vereinbarungen getroffen werden, die im Ergebnis zu einer substanziellen Verringerung der Waffenarsenale geführt haben.22 Zweitens gibt es weder einen Determinismus i. S. einer linearen Entwicklung noch irgendwelche Indizien dafür, dass Radikalforderungen i. S. einer Alles-oder-nichts-Strategie gerade im Bereich der nuklearen Abschreckung irgendeine realistische Aussicht auf Erfolg haben könnten.

Es scheint daher wenig überzeugend, einfach pauschal die Abschreckungspolitik als solche für moralisch unzulässig zu erklären, wie das seitens der EKD in jüngster Zeit geschehen ist.23 Eine solche Position ist angesichts realer Bedrohungen nicht nur unbegründet, sie nährt auch den Verdacht, kirchliche Einlassungen erschöpften sich in reinen Utopien, die wenig zur Bewältigung realer Konflikte beizutragen vermögen. Zwar hat die katholische Kirche bislang die nukleare Abschreckungspolitik unter den gegenwärtigen Umständen für legitim erklärt24, doch scheint Papst Franziskus diese Argumentationslinie in einigen Äußerungen aufgegeben zu haben25. Gerade mit Blick auf die Situation im freien Europa dürfte jedoch die nukleare Abschreckung derzeit die einzige wirksame Sicherheitsgarantie darzustellen, an deren Aufrechterhaltung nicht nur Deutschland, sondern insbesondere auch die osteuropäischen Länder zu Recht ein vitales Interesse haben. Angesichts der unverhohlenen Drohung Putins, in der Ukraine notfalls auch taktische Atomwaffen einzusetzen, kann an der prinzipiellen Berechtigung eines nuklearen Schutzschirms der NATO zur Abschreckung potenzieller Aggressoren kein vernünftiger Zweifel bestehen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass auch in Krisenzeiten alles dafür getan werden sollte, um die Abrüstungsgespräche überall da wieder aufzunehmen, wo in der Vergangenheit bereits erzielte Vereinbarungen auszulaufen drohen oder infolge militärtechnischer Innovationen erstmalig Absprachen getroffen werden müssen.

These 9

Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine unterminiert nicht nur die Glaubwürdigkeit der russisch-orthodoxen Kirche, sondern stellt mittel- und langfristig zugleich eine schwere Belastung für die Reputation des Christentums insgesamt dar. Es bedarf daher einer deutlichen Intensivierung insbesondere der ökumenischen Kontakte mit der Orthodoxie, um der fortschreitenden Instrumentalisierung der Religion durch politische Interessen entgegenwirken zu können.

Erläuterung
Insbesondere die katholische, aber auch die evangelische Kirche in Deutschland sollte sich stärker als bisher darum bemühen, im Rahmen ihrer vielfältigen ökumenischen Aktivitäten den Kontakt zur Orthodoxie deutlich zu intensivieren. Zwar ist aufgrund der langen Entfremdung zwischen der lateinischen Westkirche und dem orthodoxen Patriachat Russlands kaum mit einfachen Lösungen für die vielfältigen tiefgreifenden Differenzen zu rechnen, doch führt aus zwei Gründen kein Weg daran vorbei, die ökumenischen Beziehungen in diesem vernachlässigten Segment der Ökumene zu vertiefen: Zum einen hat die fortschreitende Instrumentalisierung der orthodoxen Hierarchie durch Putin bei der Rechtfertigung seines Angriffskrieges eine Situation geschaffen, die nicht nur die inner-orthodoxen Beziehungen schwer belastet, sondern mittel- und langfristig auch das Christentum insgesamt in negativer Weise affiziert.26 Dabei geht es nicht nur um den bizarren Versuch des Moskauer Patriarchen Kyrill, den gegenwärtigen russischen Angriffskrieg rhetorisch auf die Ebene eines ‚metaphysischen Kampfes zwischen Gut und Böse‘ zu transponieren, sondern um grundlegende Fragen des Staats-Kirchen-Verhältnisses und der Beziehung des christlichen Glaubens zu Grundpositionen einer freiheitlichen Gesellschaft, die sich stereotypen Kennzeichnungen von ‚westlicher Dekadenz‘ und ‚östlichem Totalitarismus‘ entziehen. Da viele dieser Fragen letztlich – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – in Ost und West nach wie vor ungelöst sind, steht der ökumenische Dialog hier tatsächlich vor epochalen Herausforderungen, die nicht länger verdrängt werden dürfen und deren Bearbeitung in zeitlicher Hinsicht weit über den aktuellen Krieg hinausweist. Eng damit verbunden ist zum anderen aber auch das Potenzial der Religion für die notwendige Versöhnungsarbeit, die spätestens dann beginnen muss, wenn die unmittelbaren Kampfhandlungen des gegenwärtigen Krieges eingestellt worden sind. Die christlichen Kirchen sind wichtige zivilgesellschaftliche Akteure, um Prozesse der Aussöhnung zu initiieren, zu strukturieren und zu begleiten. Vielfältige Erfahrungen kirchlichen Engagements nach dem Zweiten Weltkrieg zur Normalisierung des deutsch- französischen sowie des deutsch-polnischen Verhältnisses können dabei helfen, die tiefen Wunden des gegenwärtigen orthodoxen Bruderkrieges schrittweise zu heilen und ein gemeinsames zukünftiges Engagement aller Christen für den Frieden in die Wege zu leiten.

These 10
Die kirchliche Friedenslehre sollte stärker als bisher den globalen Kontext und die imperialen Strukturen im Hintergrund der Entstehung moderner kriegerischer Auseinandersetzungen berücksichtigen.

Erläuterung
Schließlich sollte die Kirche sowohl in ihren friedensethischen Reflexionen als auch in ihrer konkreten Friedensarbeit den Blick verstärkt über einzelne regionale Konflikte hinaus auf jene globalen Zusammenhänge richten, die moderne Kriege etwa in technologischer, ökonomischer, politischer und kommunikativer Hinsicht charakterisieren. Sowohl für die Präventionsarbeit als auch für die Eindämmung und Beendigung militärischer Konflikte wird es immer wichtiger, die globalen Voraussetzungen und Folgen von Kriegen genau zu analysieren. Dies gilt umso mehr, als es bislang auf globaler Ebene angesichts der Dysfunktionalität des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen keine ausreichende institutionelle Infrastruktur gibt, um den aus normativer Perspektive gebotenen Schutz des ‚Weltgemeinwohls‘ effektiv zu sichern. Der aktuelle Ukraine-Krieg zeigt eindrücklich, welche weitreichenden Konsequenzen auch regional begrenzte militärische Auseinandersetzungen unter den Bedingungen einer globalisierten Moderne haben können. Obwohl Vernetzung insofern kein völlig neuartiges Phänomen ist, als kriegerische Auseinandersetzungen auch früher schon häufig durch ihre Verquickung mit imperialen Strukturen auf zahlreiche Akteure ausstrahlten und mit der neuzeitlichen Idee eines rein zwischenstaatlichen Konflikts nur sehr unzureichend beschrieben worden sind, ist deren Komplexität in der Moderne aufgrund der vielfältigen neuen Interdependenzen noch einmal deutlich gestiegen. Von daher dürften auch Versuche zu kurz greifen, den Ukraine-Krieg als eher nostalgischen Versuch Putins zu verstehen, das zu Beginn der 1990er-Jahre zusehends zerfallene Sowjetreich durch die Rückeroberung ehemaliger Puffer- und Einflusszonen sukzessive wiederherzustellen. Solche rein historisch ausgerichteten Erklärungsversuche übersehen, dass es neben dem Verfall des russischen Imperiums, der durch den Ukraine-Krieg mittel- und langfristig noch deutlich beschleunigt werden könnte, auch einen Aufstieg neuer Imperien etwa in der Gestalt Chinas gibt, dessen zunehmend aggressives Auftreten nicht nur gegenüber Taiwan eine erhebliche Randbedingung für den gegenwärtigen Krieg Putins gegen die Ukraine darstellt. Viele der nicht mehr endenden kriegerischen Auseinandersetzungen der Gegenwart bleiben so lange unverständlich, wie es nicht gelingt, die vielfältigen Einflussfaktoren imperialer Systeme auf ihre Entstehung und ihren Verlauf in die Betrachtung einzubeziehen und in ihren oftmals überraschenden Querverbindungen zu analysieren. Da der Einfluss globaler Veränderungen etwa im Bereich der Demografie, des Klimas oder technologischer Innovationen auf die Politik in Zukunft eher noch wachsen dürfte, sollte sich nicht nur die friedensethische Forschung, sondern auch die kirchliche Verkündigung zur Friedens- und Sicherheitspolitik stärker mit den Folgen derartiger Phänomene für den Aufbau, Erhalt und Verfall imperialer Strukturen auseinandersetzen, um zu einer einigermaßen realitätsnahen Einschätzung von Sicherheitsrisiken in einer polyzentrischen Weltordnung zu gelangen.

Da vor allem die katholische Kirche eine der wenigen globalen Institutionen ist, die sich uneingeschränkt nicht nur für die Stärkung des Weltfriedens, sondern auch für die schrittweise Entwicklung eines umfassenden Weltgemeinwohls einsetzt, ist ihr ein Denken in derart umfassenden Kategorien eigentlich konnatural. Dies gilt umso mehr, als sie ein Menschenbild vertritt, das nicht nur die Moralfähigkeit und den möglichen Heroismus des Menschen kennt, sondern auch um seine Verstrickung in Sünde und Schuld weiß, aus der die Notwendigkeit resultiert, das Böse notfalls mit den Mitteln der Gewalt einzudämmen. Gerade dieser Realismus des christlichen Glaubens, der seinen Niederschlag auch in der eschatologischen Spannung zwischen dem schon Erreichten und einer noch ausstehenden Vollendung findet, kann die Kirche davor bewahren, in einen realitätsfernen Utopismus abzugleiten, der vor den konkreten Verantwortlichkeiten der unmittelbaren Gegenwart kapituliert.



Anmerkungen

1 | Vgl. für das Folgende auch Franz-Josef Bormann, Wie weiter mit der kirchlichen Friedensethik? Moraltheologische Überlegungen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, in: Internationale Katholische Zeitschrift Communio 51 (2022), 309–316.
2 | Vgl. https://www.bundesregierung.de/resource/blob/992814/2131062/78d39dda6647d7f835bbe76713d30c31/bun deskanzler-olaf-scholz-reden-zur-zeitenwende-download-bpa-data.pdf?download=1 (aufgerufen am 01.02.2023); Frank-Walter Steinmeier, Rede zum 8. Mai 2022 auf dem 22. Ordentlichen DGB-Bundeskongress, https://www.bun despraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2022/05/220508-DGB-Bundeskongress.pdf;jsessionid=04F2E DF067D28B6BC3781C5B2B43C303.1_cid383?__blob=publicationFile (aufgerufen am 28.12.2022).
3 | Vgl. Norbert Lohfink, Krieg und Staat im alten Israel (Beiträge zur Friedensethik 14), Barsbüttel 1992, sowie Daniel Krochmalnik, Krieg und Frieden in der hebräischen Bibel und rabbinischen Tradition, in: Ines-Jacqueline Werkner/ Klaus Ebeling (Hg.), Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, 191–202.
4 | Dieser Befund ist sorgfältig von den verschiedenen standesethischen, interimsethischen oder gesinnungsethischen Interpretationsversuchen abzugrenzen, die im Laufe der Theologiegeschichte entwickelt worden sind und im Ergebnis zu einer Verkürzung des Sinngehalts der hochethischen Weisungen der Bergpredigt geführt haben. Vgl. dazu auch Alfons Fürst, Friedensethik und Gewaltbereitschaft. Zur Ambivalenz des christlichen Monotheismus in seinen Anfängen, in: Ders. (Hg.), Frieden auf Erden? Die Weltreligionen zwischen Gewaltverzicht und Gewaltbereitschaft, Freiburg 2006, 45–81; Martin Hengel, Gewalt und Gewaltlosigkeit. Zur „Politischen Theologie“ in neutestamentlicher Zeit, in: Ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften 5 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 211), Tübingen 2007, 245–288, sowie Ulrich Luz, Feindesliebe und Gewaltverzicht: Zur Struktur und Problematik neutestamentlicher Friedensideen, in: Andreas Holzem (Hg.), Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens, Paderborn 2009, 137–149.
5 | Vgl. Francis Fukuyama, Have we reached the end of history?, Paper-7532, Rand Corporation, Santa Monica 1989; ders., The End of History?, in: The National Interest 16 (1989), 3–18, sowie Ders., The End of History and the Last Man, London 1992.
6 | Vgl. Samuel Peter Huntington, The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York 1996.
7 | Vgl. Die deutschen Bischöfe, Gerechter Friede, Bonn 2000, sowie Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, Gütersloh 2007.
8 | Vgl. hierzu auch Manfred Spieker, Christliche Friedensethik und der Krieg in der Ukraine. Warum die Lehre vom gerechten Krieg nicht überholt ist, in: Internationale Katholische Zeitschrift Communio 51 (2022), 557–569.
9 | Spieker, Christliche Friedensethik (wie Anm. 8), 560.
10 | Vgl. Thomas von Aquin, STh II II q.40 a.1
11 | Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2309, Leipzig 2019.
12 | Vgl. dazu Sebastian Laukötter, Zwischen Einmischung und Nothilfe. Das Problem der „humanitären Intervention“ aus völkerrechtlicher Perspektive (Quellen und Studien zur Philosophie 116), Berlin/Boston 2014.
13 | Die deutschen Bischöfe, Gerechter Friede (wie Anm. 7), besonders Abschnitt II.2.
14 | Vgl. Heinrich Bedford-Strohm, Gerechter Friede und militärische Gewalt. Friedensethische Überlegungen im Lichte des Angriffskrieges gegen die Ukraine, in: Herder-Korrespondenz 76 (2022), 14, sowie etwas vorsichtiger Annette Kurschus, Jenseits von Eden, in: FAZ (07.06.2022), 7.
15 | Vgl. Papst Franziskus, Enzyklika Fratelli tutti, Nr. 258.
16 | Vgl. Uwe Steinhoff, Gerechtigkeit kann schrecklich sein. Friedensethik hilft hier nicht weiter: Prüfkriterien für den gerechten Krieg, in: FAZ (23.04.2022), 9.
17 | Zur näheren völkerrechtlichen Bestimmung dieses Rechts als eines ‚konditionierten Rechts‘ vgl. Heinz-Gerhard Justenhoven, Russlands Krieg gegen die Ukraine. Eine friedensethische Auseinandersetzung, in diesem Heft S. 4–24, 12f.
18 | Es geht also nicht nur um die ‚Erlaubtheit‘ i. S. der moralischen Möglichkeit solcher Hilfeleistungen, sondern um deren ‚Gebotenheit‘ i. S. ihrer moralischen Notwendigkeit.
19 | Vgl. Michael Rosenberger, Systematische Aspekte einer zeitgemäßen Lehre der cooperatio, in: Ders./Walter Schaupp (Hg.), Ein Pakt mit dem Bösen? Die moraltheologische Lehre der „cooperatio ad malum“ und ihre Bedeutung heute, Münster 2015, 81.
20 | Die Chancen, Putin als Hauptverantwortlichen für den Massenmord an den Ukrainern jemals rechtlich zur Verantwortung ziehen zu können, sind daher selbst in dem Fall relativ gering, wenn er aufgrund des für Russland desaströsen Kriegsverlaufs durch eine interne Palastrevolte entmachtet würde.
21 | Vgl. René Schulz, Allgemeiner Gesellschaftsdienst, in: SWP-Aktuell 57 (Juni 2020), 1–4, sowie Norbert Lammert, Wir brauchen die Debatte über eine Dienstpflicht, in: FAZ (24.06.2022), 8.
22 | Vgl. Angela Kane, Abrüstungsverträge in der UNO: Chancen und Erwartungen (KFG Working Paper Series 3), Berlin 2016, 3–12. 23 | Zur kritischen Analyse der innerevangelischen Debatte um die sukzessive Abkehr von der Abschreckungs-Doktrin vgl. Spieker, Christliche Friedensethik (wie Anm. 8), 562–565.
24 | Vgl. Pontificio Consiglio della Giustizia e delle Pace, Compendio della dottrina sociale della Chiesa, Città del Vaticano 2004, 508.
25 | So erklärte er auf einer Pressekonferenz am 26. November 2019: „Die Verwendung von Nuklearwaffen ist gegen die Moral […] und nicht nur die Verwendung, sondern auch der Besitz, denn ein Unfall wegen solchen Besitzes oder die Verrücktheit irgendeines Regierenden, die Verrücktheit von irgendjemandem kann die ganze Menschheit zerstören.“; Papst Franziskus, in: Osservatore Romano (13.12.2019), 11 [deutschsprachige Wochenausgabe]. Natürlich wüsste man aus moraltheologischer Perspektive gerne, welche Argumente genau es sind, die zu diesem extrem weitreichenden Verdikt über so unterschiedliche Handlungen wie den ‚Einsatz‘ und den ‚Besitz‘ von Atomwaffen führen und ob diese Argumente dann auch auf biogische und chemische Waffen anwendbar wären.
26 | Das lange Schweigen von Papst Franziskus, den russischen Präsidenten als den Hauptverantwortlichen für den Ukraine-Krieg beim Namen zu nennen, um nicht die – von Anfang an illusionären – Hoffnungen auf ein Friedenstreffen mit Kyrill zunichte zu machen, ist kaum durch die Verpflichtung zur politischen Neutralität des Vatikanstaates zu entschuldigen und offenbart eine Schwäche der Außenpolitik dieses Pontifikates im Umgang mit despotischen Staatsformen, die das Ansehen der Kirche auf lange Sicht belasten dürfte.

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