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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/thq.2020.1.21–34
Walter Groß
Alttestamentliche Wissenschaft und hebräische Philologie1
Das richtige Verständnis eines fremdsprachigen Textes zeigt sich in seiner Übersetzung. Ein gewisses Maß an Sinnveränderungen bei der Umsetzung von einem Sprachsystem in ein anderes, von einem Weltbild in ein anderes ist zwar unvermeidbar, aber strenge Anwendung philologischer Regeln hilft in gewissen Grenzen dazu, diese Sinnveränderungen einerseits einzuschränken, sie andererseits zu identifizieren. Bezüglich der Bibel, des am häufigsten übersetzten Textes überhaupt, kam daher der Philologie sowohl bezüglich der Semantik als auch und vor allem bezüglich des Zeitbezugs der verba finita als (nach Möglichkeit) objektiver Instanz stets eine hohe Autorität zu; wegen der Bedeutsamkeit des Sinnes der biblischen Texte war diese Autorität, oft aber auch umstritten und wurde gelegentlich eingeschränkt. In kirchenamtlichen Bibelausgaben begegnen daher gelegentlich, nicht ohne Unterstützung durch manche wissenschaftlichen Kommentare, Übersetzungen, die den Verdacht nähren, dass hier entweder Tradition oder dogmatische Interessen oder beides zusammen über die Philologie gesiegt haben.

Ein durch die gesamte jüdische und christliche Übersetzungstradition prominentes Beispiel ist die grammatisch gänzlich unauffällige Abfolge x-qatal wayyiqtol in Jes 64,4: 2.הֵן־אתָּ֤ה קָצַ֙ פְתָּ֨ וַֽ נֶּ חֱטָא֔ Hieronymus übersetzt in der Vulgata, wie bereits die LXX, exakt: tu iratus es et peccavimus, kritisiert aber in seinem Jesaja-Kommentar die biblische Formulierung: „verkehrte Reihenfolge“ Ordo praeposterus. Non quia tu iratus es, nos peccavimus; sed quia nos peccavimus, tu iratus es.3 Inhaltlich erregte die Tatsache, dass hier die Sünde des Volkes nicht als Anlass, sondern als Folge des göttlichen Zorns erscheint, und sie motivierte erstaunliche, grammatisch nicht rechtfertigbare Wiedergaben. Der Zorn sollte als Folge erscheinen. So die Lutherrevision 1980, im Gefolge Luthers Ausgabe von 1545: „Du zürntest, als wir von alters her gegen dich sündigten und abtrünnig wurden“; die Einheitsübersetzung 1980 (mit der gesamten jüdischen Tradition) kausal: „Du warst zornig; denn wir haben gegen dich gesündigt.“ Sowohl die Lutherrevision 2017 als auch die Einheitsübersetzung 2017 („Du warst zornig und wir sündigten“) haben Korrekturen entsprechend dem hebräischen Wortlaut vorgenommen. Das zweite Beispiel Jes 9,1 entstammt den sogenannten messianischen Verheißungen. Den Abschnitt Jes 9,1–6 bzw. 8,23–9,6 haben die Christen, angefangen mit Matthäus und Lukas, als Verheißung auf Jesus Christus gedeutet. 9,1 hat zweimal x-qatal. Hieronymus in der Vulgata übersetzt der Grammatik entsprechend vergangenheitlich: populus qui ambulabat in tenebris vidit lucem magnam habitantibus in regione umbrae mortis lux orta est eis. Auch Mt 4,16 bringt, obgleich er den Vers auf Jesu Verkündigung in Galiläa bezieht, diesen vergangenheitlichen Wortlaut.4 Die Lutherrevision 2017 gibt dagegen, für eine Gebrauchsübersetzung sehr selten, zwei Versionen. Im Haupttext (der Vers gehört zu den besonders traditionsgeschützten, fett gedruckten Sätzen) setzt sie mit Luther 1545 das leicht zukünftig deutbare Präsens ein: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ Da sie zugleich Mt 4,16 getreu seinem griechischen Wortlaut vergangenheitlich übersetzt, schafft die Lutherrevision 2017 so unnötigerweise eine Differenz zwischen dem alttestamentlichen Satz und seinem Zitat im Neuen Testament. Zu Jes 9,1 im Jesajabuch hingegen gibt sie in einer Anmerkung auch die vergangenheitliche Wiedergabe, eingeführt durch „Andere Übersetzung für die Verse 1–2“. Wieso man so anders übersetzen kann und warum sie sich trotz Mt 4,16 nicht dafür entschieden hat, lässt sie dem Leser unerklärt.5

Diese Fälle gehören eher in den rezeptionsgeschichtlichen kirchengeschichtlichen als in den exegetischen Diskurs. Aber auch in erstaunlich vielen dogmatisch ‚unverdächtigen‘ Stellen des AT und in neueren wissenschaftlichen Kommentaren begegnen unterschiedliche temporale Wiedergaben von verba finita, die unterschiedliche Deutungen verraten:
  • Ps 23,5:
  • „Du salbst mein Haupt mit Öl. Nur Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens.“6
  • „Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt […] Ja, Glück und Gnade folgen mir nach alle Tage meines Lebens.“7
  • Präsens und Futur oder Perfekt und Präsens?
  • Ps 77,17:
  • „Die Wasser sahen dich, bebten, selbst die Urfluten zitterten.“8
  • „Es sahen dich die Wasser, sie beben, ja, in Wallung geraten die Urfluten.“9
  • Imperfekt oder Imperfekt und Präsens?
  • Ps 29,5:
  • Die Lutherrevision 2017 übersetzt mit Luther 1545 und der Mehrheit der Kommentare die Abfolge Partizipialsatz und wayyiqtol präsentisch: „Die Stimme des Herrn zerbricht Zedern, der Herr zerbricht die Zedern des Libanon“; die Einheitsübersetzung 2017 gibt wayyiqtol dagegen entsprechend Klaus Seybold10 vergangenheitlich wieder: „Die Stimme des Herrn bricht Zedern, der Herr hat zerbrochen die Zedern des Libanon.“

Zwar ist mit Problemen und Unsicherheitszonen zu rechnen, wenn Texte einer Sprache mit aspektuellem Verbalsystem wie das Hebräische in eine Sprache mit einem zeitstufenbezogenem Verbalsystem wie das Deutsche übertragen werden. Das rechtfertigt aber nicht die so zahlreichen Abweichungen innerhalb der deutschen Übersetzungen. Offensichtlich ist auch heute bezüglich des biblischen Hebräisch eine neue Reflexion über das Verhältnis von Philologie und Exegese notwendig. Daher wird dieses im folgenden holzschnittartig, in Auswahl und fokussiert auf die Satzsyntax, speziell auf die notorisch schwierige Präfixkonjugation („Imperfekt“) skizziert. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ereigneten sich u. a.in Semitistik und Linguistik drei Neuansätze und Entwicklungen, deren Zusammentreffen erst seit den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Exegese befruchtete.

Hebraistik: die beiden Präfixkonjugationen

Bis in das 19. Jahrhundert war vor allem das klassische Arabisch der Bezugspunkt, von dem her man die Grammatik des Hebräischen – gemeint ist im folgenden stets: des biblischen Hebräisch – analysierte. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden die umfangreichen akkadischen Textfunde einer viel älteren ostsemitischen Sprache bekannt. Zusammen mit zahlreicher werdenden Funden kanaanäischer und hebräischer Inschriften und dann seit 1928 mit der Entdeckung ugaritischer Texte, die, soweit sie in Keilschrift geschrieben waren, auch die Vokale dieses nordsyrischen nordwestsemitischen Idioms vom Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. erkennen ließen, führte das in der Semitistik zu intensiven, vor allem sprachgeschichtlichen Theoriebildungen. Einem breiteren Kreis von Exegeten des Alten Testaments wurde die Grammatik des Akkadischen allerdings erst 1952 durch Wolfram von Soden leicht zugänglich.11 Die ugaritischen Texte fanden zu Beginn vornehmlich religionsgeschichtliches Interesse, zunehmend wurde aber auch ihre Grammatik beachtet. Einflussreich wurde Cyrus H. Gordon 1965 mit Ugaritic Textbook. Grammar. Texts in Translation.12 Er weist drei Präfixkonjugationen nach: yaqtul, yaqtulu und yaqtula. Eine ausführliche Grammatik bietet erst Josef Tropper.13 In Semitistik und Hebraistik wurde seit dem Fund der akkadischen Texte mit erheblichen Folgen für das hebräische Verbalsystem diskutiert, ob das Hebräische über eine oder zwei Präfixkonjugationen verfüge.

Bis dahin hatte man für das Hebräische überwiegend nur zwei Konjugationen bzw. finite Verbformen angenommen: das „Perfekt“ (Suffixkonjugation/SK) für Vergangenheit (und Stativ) und das „Imperfekt“ (Präfixkonjugation/PK) für Präsens-Futur. Die PK besaß allerdings, vor allem bei den „unregelmäßigen“ verba tertiae und mediae vocalis, neben einer längeren Form yiglä, yaqūm in der 1. Person Singular und Plural, 2. Person Singular Maskulinum und 3. Person Singular eine kürzere Form yigl, yaqom. Man nannte die längere Form (PKLF) einfachhin Präfixkonjugation, die kürzere Form dagegen „verkürzte“ Präfixkonjugation (PKKF). Warum sie verkürzt wurde, blieb undeutlich. Man kannte sie aus dem Arabischen als „apocopatus“ mit modaler Funktion (entsprechend im Hebräischen: „Jussiv“), dort auch – ohne Entsprechung im Hebräischen – zur Verneinung des Perfekts. Daneben gab es im Hebräischen die vor allem in der Prosa häufige Verbindung der PKKF mit wa= (wayyiqtol), für individuelle vergangene Sachverhalte, parallel zur SK. Diese erschien als isolierte Bildung des Hebräischen. Solange man von nur einer PK im Hebräischen ausging, erklärte man seit den mittelalterlichen jüdischen Grammatikern die vergangenheitliche Funktion des wayyiqtol mit der (in Richtung SK) „umdrehenden“ Funktion des wa=, genannt w=conversivum oder „starkes w“ (im Unterschied „zum „schwachen w“ in einfach koordinierender Funktion ohne „umdrehende“ Wirkung).14

Das Akkadische bezeugt nun aber zwei Präfixkonjugationen, die sich morphologisch und funktional deutlich unterscheiden: das Präsens iparras und das Präteritum iprus.15

Das verhalf der Erkenntnis zum Durchbruch, dass auch das Hebräische nicht nur eine PK mit verkürzten Nebenformen, sondern zwei voll ausgeformte PK besitzt: die Langform PKLF und die Kurzform PKKF.16 Allerdings erzeugte dies anfänglich neue Verwirrung, da nun einige Autoren, angeführt von Otto Rössler17, zusätzlich zur innerhebräischen Differenzierung in PKLF und PKKF eine morphologische Entsprechung zu iparras auch im Hebräischen nachzuweisen suchten. Das ist inzwischen aufgegeben Die Annahme zweier PK im Hebräischen aber wurde weiterhin befördert durch die entdeckten ugaritischen Texte.

Mit der Annahme zweier PK wurde es einfacher, die Vielfalt dessen, was im Hebräischen durch PK ausgedrückt werden kann, einsichtig zu ordnen und zuzuordnen.18

Ferdinand de Saussure: Synchronie, Sprachsystem19


Nachdem im 19. Jahrhundert in der Sprachwissenschaft sprachgeschichtliche, d. h. diachrone Fragestellungen vorgeherrscht hatten (und weitgehend weiterhin vorherrschen), stellte der Pionier der modernen Linguistik, Ferdinand de Saussure, in seinem posthum erschienen Cours de linguistique générale20 die Forderung auf, bei Sprachen deren abstraktes System von Regeln („langue“) von den individuellen Realisierungen derselben im speziellen Sprachgebrauch („parole“) zu unterscheiden und das Regelsystem jeweils synchron zu erheben. Unter diesen Voraussetzungen genügte es nicht mehr, in Grammatiken verschiedene Ausdrucksweisen zu katalogisieren, sondern diese Ausdrucksweisen sollten zugleich als Realisierungen des Regelsystems dieser Sprache zu einem bestimmten Stand ihrer Ausformung verständlich werden. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Exegese von dieser Forderung Kenntnis nahm.

Von Vorgeschichte und Gattungsstruktur zum Einzeltext


Die Exegese analysiert allerdings die biblischen Texte nicht in erster Linie als grammatisches Exerzitium, sondern als Literatur. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herrschten – nach der vorhergegangenen Phase der Literarkritik und der Suche nach isolierbaren literarischen Quellen und neben ihr – in der exegetischen Forschung Fragestellungen vor, die vom konkreten vorliegenden Text wegführten. Man fragte im Gefolge Hermann Gunkels nach der Gattungsstruktur eines Textes und seinem Sitz im Leben. Man suchte überlieferungsgeschichtlich hinter den schriftlichen Wortlaut zu mündlichen Vorformen vorzudringen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts öffnete sich die Exegese, vor allem im Bereich von Prosaerzählungen, Fragestellungen der Literaturwissenschaft. Das bedeutete Hinwendung zur synchronen Analyse des Einzeltextes und seiner Stilistik. Einflussreich waren ein Aufsatz Erich Auerbachs, in dem er die Erzählweise Homers mit der des Alten Testamentes (am Beispiel von Gen 22) vergleicht,21 vor allem die Werke der Germanisten Emil Staiger22 und Wolfgang Kayser23, deren Methode als „werkimmanente Interpretation“ charakterisiert wurde. Luis Alonso Schökel machte sie sogleich für die Exegese fruchtbar.24 Aufgenommen wurden auch Elemente der stilistischen Analyse der Islandsagas und der Erforschung mündlich tradierter Literatur. Viel beachtet wurde Norbert Lohfinks Dissertation, die er dem deuteronomischen Formelgebrauch und dessen Funktion im Gesamttext des Dtn widmete und mit deren neuartigem Ansatz er das Fundament für seine langjährigen Forschungen zum Deuteronomium und der deuteronomistischen Literatur legte.25 Nur zögerlich wurden dagegen zunächst Anregungen strukturalistischer Ansätze angenommen.26

In diesem wissenschaftlichen Umfeld setzte Wolfgang Richter durch seine Dissertation mit dem Programm Der neue Ansatz: Syntax und Stilistik27 und seiner radikalen Methodenkritik einen sofort wahr- und in Teilen aufgenommenen, auf längere Sicht höchst ausbaufähigen neuen Akzent.

Wolfgang Richter und die Folgen

Wolfgang Richter systematisierte in Exegese als Literaturwissenschaft28 die bisher gebräuchlichen Methodenschritte, versuchte, sie schärfer zu definieren und brachte sie – vor allem in Ablehnung einer vorschnellen Quellenkritik – in eine obligatorische Reihenfolge.29 Einflussreich wurde die bereits in seiner Dissertation30 aufgestellte und realisierte Forderung, jeder durch diachrone Methoden erschlossene Zustand eines Textes müsse anschließend synchron, d. h. nach seiner literarkritischen Konstituierung genauestens grammatisch auf seine individuelle Form hin analysiert werden.31 Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Verbalsyntax nach Konjugationsart und Position im Satz, wobei sich Satz- und Textsyntax nicht trennen ließen. Zunächst standen Prosatexte im Vordergrund. Er etablierte, indem er unter Bezugnahme auf Karl Oberhuber32 Konjugationsart und Position im Satz berücksichtigte, die beiden je „sinngleich(en)“ Inversionspaare „im nicht-modalen Verbalsatz“: „yiqtol-x = x-qatal“ einerseits und „qatal-x = x-yiqtol“ andererseits, wobei die PK im ersten Inversionspaar akkadisch iprus, im zweiten akkadisch iparras entspreche. Beide Verbformen eines Inversionspaares bezeichnen denselben „Verbalaspekt“.33 Nur die je unterschiedliche Position des Verbs zeitigt unterschiedliche Konsequenzen. „Es kann angenommen werden, dass die zwei jeweils möglichen Stellungen nicht vollkommen identisch sind, sondern Nuancen für den Fluss der geschilderten Handlung bringen. Dabei scheint der mit dem Verb beginnende Fall die Abfolge der Handlung zu bezeichnen, während der mit „‘x‘ beginnende Fall eine im Bereich der Haupthandlung erfolgende Handlung bezeichnet“.34 In Recht und Ethos etablierte er als syntaktische Spezialfälle der Funktionen der PKKF und PKLF den situations- und persongebundenen Vetitiv אל mit PKKF und den generalisierenden Prohibitiv לא mit PKLF.35 Im positiven Gebot bestimmt er (in der Formulierung der Akkadischgrammatik von Sodens) für das zweite Inversionspaar qatal-x = x-yiqtol als Funktion „heischendes Präsens“.36

Wie seine Formalisierung der Inversionspaare und ihre Beschreibung zeigen, wurde – u. a. wohl aus sprachgeschichtlichen Vermutungen über eine ältere PKKF, die auch ohne wa= (und ohne positionelle Bindung an den Satzanfang) individuelle Sachverhalte der Vergangenheit bezeichnen konnte – nicht angezeigt und, obwohl in den konkreten Belegen registriert, wohl auch noch nicht beachtet, dass in den beiden Inversionspaaren das je erste Glied nicht nur an den Satzanfang positionsgebunden, sondern auch stets mit wa=/w= verbunden ist. So konnte auch noch nicht in den Blick kommen, dass das je zweite Glied der Inversionspaare in gleicher Funktion auch an erster Position im Satz vorkommen kann, allerdings unter der zwingenden Einschränkung, dass es dann nicht mit w= syndetisch angebunden sein darf.

Die Inversionspaare erwiesen sich durchweg als sehr fruchtbar für die syntaktische Textanalyse. Ihre Beschreibung und Funktionsbestimmung entwickelten daher er und sein Schülerkreis nach Form wie Funktion weiter, z. B. Walter Groß:37

wayyiqtol
                    >>>    // (w=)x-qatal: u. a. individueller Sachverhalt der Vergangenheit
qatal-x


w=qatal-x
                    >>>    // (w=)x-yiqtol LF: u. a. genereller Sachverhalt
yiqtol LF-x38

Angeregt durch Erwin Koschmieders Untersuchungen zum Verbalaspekt39 und vor allem durch die allgemeine Tempus- und Aspektlehre von Adolf Denz,40 wurde als Funktion des ersten Inversionspaares perfektiver Aspekt, als Funktion des zweiten Inversionspaares imperfektiver Aspekt erkannt.41

Damit waren erste und entscheidende Schritte zur Analyse der Systematik („langue“) der hebräischen Verbalformen getan. Angeregt durch Wolfgang Richter, aber ganz unabhängig vom Münchner Kreis hat Erhard Blum den Systemcharakter der hebräischen Verbformen und -funktionen und der Inversionspaare in seiner Heidelberger Examensarbeit 1974 präzisierend und ausweitend herausgearbeitet. Bekannt wurde sie erst durch ihre Publikation in überarbeiteter Fassung 2008.42 Er schließt aus den Inversionspaaren, dass es, solange dieses Verbalsystem in lebendigem Gebrauch ist, ein systemwidriges w=yiqtol LF ebenso wenig geben kann wie w=qatal mit kopulativem w= (d. h. für perfektiven Aspekt). Außerdem stellt er neben die beiden Inversionspaare ein „suppletorisches Paradigma“ für modale (voluntative) Aussagen, dessen Glieder im Gegensatz zu den Verbformen der Inversionspaare unempfindlich gegen Verbindung mit w= und Positionswechsel im Satz sind: 1. Person: Kohortativ; 2. Person: Imperativ (Verneinung: Vetitiv); 3. Person: Jussiv (PKKF).43 Da für den positiven Wunsch in der 2. Person der Imperativ vorgesehen ist, schließt Blum, dass eine konkurrierende PKKF in der 2. Person – außer in der Verneinung des Imperativs, im Vetitiv: אל mit PKKF – ausgeschlossen ist.44

Wolfgang Richter seinerseits hat nach 197045 keine Textanalysen mehr vorgelegt. Um diese überhaupt in seinem Sinn zu ermöglichen, widmete er sich seitdem der grammatischen Grundlagenforschung. Er verfasste eine Grammatik46, initiierte Valenzuntersuchungen zu Verben und Verbgruppen47 und erstellte als Arbeitsinstrument die Gliederung des gesamten AT im hebräischen Wortlaut und in Transkription nach Sätzen.48 Auf dieser Datenbasis versuchte Richter schließlich, alle im AT bezeugten Satzbaupläne der Verbal- und Nominalsätze zu erfassen und ihnen Aussagefunktionen zuzuweisen. Ein Satzbauplan zählt bei Verbalsätzen außer dem Verb alle durch das Verb valenzgebundenen Satzteile ohne Rücksicht auf ihre Reihenfolge und ohne Berücksichtigung ihrer morphologischen Gestaltung auf.49

Als unerlässliche Vorarbeiten zu einer Syntaxdarstellung wurden Korpusuntersuchungen zu syntaktischen Phänomenen vorgelegt.50

Anstehende Arbeiten

Fernziel, nur in Kooperation erreichbar, ist eine zusammenfassende Darstellung der hebräischen Syntax. Aber der dazu erforderliche Wissensstand ist noch lange nicht erreicht. Es sind noch zahlreiche Detailuntersuchungen, vor allem zu den poetischen Texten, notwendig. Die Sammlungen der alten Grammatiken sind zwar wertvoll, aber in aller Regel sind sie entweder unvollständig oder für abweichende Fragestellungen zusammengestellt. Vor allem aber steht die Bewährung des oben geschilderten Systems der Verbfunktionen in flächigen Analysen poetischer Texte noch aus. Die Durchsicht von wissenschaftlichen Kommentaren und Übersetzungen zeigt, dass in Poesie vor allem die Unterscheidung der beiden Präfixkonjugationen und die Regeln ihrer Verwendung große Probleme bereiten und dass daraus nicht selten sehr unterschiedliche Textdeutungen erwachsen.51 Allzu oft wird Gotthelf Bergsträßer zugestimmt, „daß […] in der Dichtung, vor allem der jüngeren, Perf. und Imperf. ebenso unterschiedslos für die Vergangenheit gebraucht werden, wie […] für Gegenwart und Zukunft“.52 Wie soll aber ein Zeichensystem funktionieren, dessen Zeichen sämtlich dasselbe und sein Gegenteil bezeichnen können? Einige Beispiele:

  • In Ps 22,28 deuten einige Autoren die Abfolge PK w=PK w=PK als Abfolge von drei PKKF. Klaus Seybold53: „Es sollen daran denken und zu JHWH umkehren alle Enden der Erde; und es sollen sich vor dir niederwerfen alle Geschlechter der Erde.“ Andere deuten sie als Abfolge von drei PKLF (also zweimal w=PKLF!), so Franz Delitzsch:54 „Erinnern und bekehren werden sich zu Jahve alle Enden der Erde. Und sich niederwerfen angesichts deiner alle Sippen der Nationen.“; Rudolf Kittel:55 „Daran denkend bekehren sich zu Jahwe alle Enden der Erde, vor ihm werden sich beugen alle Geschlechter der Heiden.“
  • In Ps 35,13c wird PKLF teils als vergangene, teils als zukünftige Aussage, teils als Wunsch (trotz LF!) wiedergegeben, so Klaus Seybold: „Und mein Gebet kehrte in meine Brust zurück.“56; Hieronymus, Psalterium iuxta Hebraeos (mit LXX): et oratio mea ad sinum meum revertetur; die neue Einheitsübersetzung 2016 (mit Martin Buber): „Nun kehre mein Gebet zurück in meine Brust.“
  • Ps 52,9: x=yiqtol Langform: Präsens (generelle Gegenwart) oder Perfekt oder Imperfekt (für generelle Vergangenheit?), so Klaus Seybold:57 „Sieh, der Mann! Er hat nicht gemacht Gott zu seiner Zuflucht“; Frank-Lothar Hossfeld:58 „Seht den Mann, der nicht zu Gott seine Zuflucht nahm“; Zürcher Bibel 2007 (mit neuer Einheitsübersetzung 2016): „Seht, das ist der Mann, der nicht Gott zu seiner Zuflucht macht.“
  • Ps 94,23 mit Abfolge wayyiqtol w=PK PK: Frank Lothar Hossfeld und Frantz Delitzsch geben den Wechsel von wayyiqtol zu w=PK wieder, wobei aber Delitzsch wayyiqtol präsentisch und PK zukünftig, Hossfeld dagegen (mit Klaus Seybold) wayyiqtol präterital und PK präsentisch übersetzt. Franz Delitzsch: „Er macht zurückkehren auf sie ihr Unheil Und für ihre Bosheit wird er sie vertilgen, Vertilgen wird sie Jahve, unser Gott.“59; Frank Lothar Hossfeld: „Er ließ über sie ihr Verbrechen zurückfallen, und in ihrer Bosheit vernichtet er sie, vernichtet sie, JHWH, unser Gott.“60; Hermann Gunkel dagegen gleicht wayyiqtol an w=PK an und gibt alle drei Verben präsentisch wieder61: „Er vergilt ihnen ihren Frevel und rottet sie aus ob ihrer Bosheit, es rottet sie aus Jahve, unser Gott!“62; die Lutherrevision 2017 dagegen (mit der LXX – wohl unter Annahme abweichender Vokalisierung –, der Vetus Latina in der Vulgata, Hieronymus im Psalterium iuxta Hebraeos und Luther 1545) fasst alle drei Verben zukünftig: „Und er wird ihnen ihr Unrecht vergelten / und sie um ihrer Bosheit willen vertilgen; der HERR, unser Gott, wird sie vertilgen.“; Bernhard Duhm wiederum deutet sie als Wünsche: „Und er wende auf sie ihr Unheil Und vernichte sie in ihrer Bosheit!“63

Viele der hier verhandelten Fragen bewegen sich nicht nur an der Schnittstelle zwischen Satz- und Textsyntax, sondern betreffen auch das wenig klare Verhältnis von Syntax und Stilistik in poetischen Texten. Es gibt eben doch zahlreiche Fälle von Verbformationen, die es nach der Systematik nicht geben ‚dürfte‘. Folgende Lösungen sind denkbar:

(1) Es liegt ein Schreibfehler der Kopisten vor.
(2) Ein Schreiber hat die Verbform im Sinn seines jüngeren Hebräisch abweichend
vokalisiert.
(3) Der Text selbst ist jung und in nachklassischem Hebräisch verfasst.
(4) Es liegt eine poetische Stilform vor, die zwar die Regeln des Sprachsystems, unter Umständen bis aus äußerste, strapaziert, sich jedoch durch geschickte Ausnutzung von Sonderregeln doch noch innerhalb des Systems hält.64

So lange wie möglich ist natürlich eine Lösung im Sinne von (4) zu suchen. Der Psalter wäre ein ebenso lohnender wie schwieriger Kandidat für derartige breitflächige Textanalysen.


Anmerkungen

1 | Ich konnte diesen Text mit Kollegen Prof. Erhard Blum diskutieren und danke ihm für wichtige Anregungen.
2 | Vgl. Walter Groß, Jes 64,4: „Siehe, du hast gezürnt, und dann haben wir gesündigt“. – Zu 2000 Jahren problematischer Rezeption zweier brisanter Sätze, in: Reinhard G. Kratz/Thomas Krüger/Konrad Schmid (Hg.), Schriftauslegung in der Schrift. FS Odil Hannes Steck (BZAW 300), Berlin/New York 2000, 163–173.
3 | Hieronymus, Commentaria in Isaiam prophetam (PL 24, 17–762, S. 647).
4 | Während LXX hier Imperativ und Futur einsetzt und zwar dies, obgleich der Passus im Judentum nicht messianisch gedeutet wurde.
5 | Christoph Levin, Die Durchsicht 2017 des Alten Testaments der Lutherbibel, in: Melanie Lange/Martin Rösel (Hg.), „Was Dolmetschen für Kunst und Arbeit sei“ – Die Lutherbibel und andere deutsche Bibelübersetzungen, Freiburg 2014, 189–211, 202f., erhebt gegen die präsentische Wiedergabe Einspruch. Hermann Spieckermann, Antwort auf die ersten Ergebnisse der Durchsicht des Alten Testaments, in: Melanie Lange/Martin Rösel (Hg.), „Was Dolmetschen für Kunst und Arbeit sei“ – Die Lutherbibel und andere deutsche Bibelübersetzungen, Freiburg 2014, 213– 219, 214–217, verteidigt sie hingegen. Er behauptet, mir unverständlich, ein „modale[s] Verhältnis“ des attributiven Partizips („in der Finsternis Wandelnde“) zum Verb „sie sahen“, dessen Form qatal er als resultatives Perfekt erklärt (ebenso die Belege von qatal in 9,2; wie jedoch können „du hast zahlreich gemacht, du hast groß gemacht“ resultative Perfekta sein?), gibt aber offen die inhaltsbezogenen Ziele dieser Deutung zu: „Es gibt auch noch andere grammatische Deutungsmöglichkeiten. Welche auch immer man bevorzugt, wird man der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass die in Jes 9,1 intendierte Logik der Handlungsfolge im Deutschen das Präsens erfordert“ (S. 216). Hier wird die Grammatik zur ancilla theologiae.
6 | Hans-Joachim Kraus, Psalmen. 1. Teilband: Psalmen 1–59 (BK XV/1), Neukirchen-Vluyn 51978.
7 | Klaus Seybold, Die Psalmen (HAT I/15), Tübingen 1996.
8 | Seybold, Psalmen (wie Anm. 7).
9 | Frank-Lothar Hossfeld, in: Frank-Lothar Hossfeld/Erich Zenger (Hg.), Psalmen II. 51–100 (HThKAT), Freiburg im Breisgau 2000.
10 | Seybold, Psalmen (wie Anm. 7). Vgl. auch Walter Groß, Verbform und Funktion. wayyiqtol für die Gegenwart? Ein Beitrag zur Syntax poetischer alttestamentlicher Sätze (ATSAT 1), St. Ottilien 1976,97–99. Eigenartigerweise übersetzen die LXX und in ihrem Gefolge die Vetus Latina und sogar Hieronymus im Psalterium iuxta Hebraeos dieses wayyiqtol futurisch.
11 | Wolfram von Soden, Grundriss der Akkadischen Grammatik (AnOr 33), Rom 1952.
12 | Cyrus H. Gordon, Ugaritic Textbook. Grammar. Texts in Translation. Cuneiform Selections. Glossary. Indices (AnOr 38), Rom 1965.
13 | Josef Tropper, Ugaritische Grammatik (AOAT 273), Münster 22012.
14 | Eine einzige PK nehmen auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch an Diethelm Michel, Tempora und Satzstellung in den Psalmen (AET 1), Bonn 1960, 12. 132. 176; Carl Brockelmann, Hebräische Syntax, Glückstadt 1956 (Neukirchen-Vluyn 22004), 37 § 44a.
15 | Von Soden, Grammatik (wie Anm. 11) 102f. Zusätzlich führt er 104f. eine weitere, nur dem Akkadischen eigene PK mit ta-Infix als „Perfekt“ auf.
16 | Die Tatsache, daß beide PK sich morphologisch nur in manchen Fällen voneinander unterscheiden, tut dem keinen Abbruch, da diese Fälle regelhaft auftreten.
17 | Vgl. Otto Rössler, Eine bisher unerkannte Tempusform im Althebräischen, in: ZDMG 111 (1961), 445–451; Ders., Zum althebräischen Tempussystem. Eine morpho-syntaktische Untersuchung, in: Ders. (Hg.), Hebraica (MSAA.As 4), Berlin 1977, 37–57. Zu einer Rekonstruktion der windungsreichen Entwicklungen von Rösslers Thesen und deren Weiterentwicklung durch seinen Schüler Hartmut Bobzin vgl. Walter Groß, Otto Rössler und die Diskussion um das althebräische Verbalsystem, in: BN 18 (1982), 28–78. Anfänglich war auch Wolfgang Richter durch Otto Rössler beeinflußt.
18 | Zwei PK nehmen z. B. an: Hartmut Bobzin, Die ‚Tempora‘ im Hiobdialog, Marburg a. d. Lahn 1974, 25f.; Josef Tropper, Althebräisches und semitisches Aspektsystem, in: ZAH 11 (1998), 153–190; Bruce K. Waltke/M. O‘Connor, An Introduction to Biblical Hebrew Syntax, Winona Lake, Indiana 1990, 501 § 31.1.1.h; Rüdiger Bartelmus, Einführung in das Biblische Hebräisch, Zürich 1994, 81f.; Jan Joosten, The Verbal System of Biblical Hebrew. A new synthesis elaborated on the basis of classical prose (JBS 10), Jerusalem 2012,13–15. 21. Vgl. bereits Gotthelf Bergsträßer, Hebräische Grammatik II. Teil: Verbum, Leipzig 1929, 10 § 3b. Das zunehmende Interesse an hebräischer Syntax führte neben zahlreichen verstreut publizierten Aufsätzen zur Gründung der „Zeitschrift für Althebraistik“, ab 1988, und der Zeitschrift „KUSATU – Kleine Untersuchungen zur Sprache des Alten Testaments und seiner Umwelt“, ab 2000.
19 | Vgl. dazu und zu den Konsequenzen für die Exegese Erhard Blum, Vom Sinn und Nutzen der Kategorie „Synchronie“, in: Ders., Grundfragen der historischen Exegese (Hg. Wolfgang Oswald/Kristin Weingart, FAT 95), Tübingen 2015, 55–68.
20 | Ferdinand de Saussure, Cours de linguistique générale, Paris 1916; deutsche Übersetzung: Ders., Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 21967.
21 | Erich Auerbach, Die Narbe des Odysseus, in: Ders., Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern 1946, 5–27.
22 | Emil Staiger, Die Kunst der Interpretation. Studien zur deutschen Literaturgeschichte, Zürich 51967.
23 | Wolfgang Kayser, Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft, Bern 1948.
24 | Vgl. Luis Alonso Schökel, Erzählkunst im Buche der Richter, in: Bib 42 (1961), 143–172. Ders., Das Alte Testament als literarisches Kunstwerk, Köln 1971.
25 | Norbert Lohfink, Das Hauptgebot. Eine Untersuchung literarischer Einleitungsfragen zu Dtn 5–11 (AnBib 20), Rom 1963. Vgl. auch Georg Braulik, Die Mittel deuteronomischer Rhetorik (AnBib 68), Rom 1978.
26 | Vgl. z. B. Algirdas Julien Greimas, Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen (Wissenschaftstheorie, Wissenschaft und Philosophie 4), Braunschweig 1971; Michael Riffaterre, Strukturale Stilistik (List Taschenbücher der Wissenschaft 1422), München 1973. Vgl. aber die breite Aufnahme dieser und vielfältiger weiterer linguistischer Analysen bei Harald Schweizer, Metaphorische Grammatik. Wege zur Integration von Grammatik und Textinterpretation in der Exegese (ATSAT 15), St. Ottilien 1981.
27 | Wolfgang Richter, Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Richterbuch (BBB 18), Bonn 21966, 353. Die Bedeutung der Syntax für die Stilistik ist noch keineswegs allgemein anerkannt. So kommt z. B. Klaus Seybold, Poetik der erzählenden Literatur im Alten Testament (Poetologische Studien zum Alten Testament 2), Stuttgart 2006, noch ganz ohne Syntax aus.
28 | Wolfgang Richter, Exegese als Literaturwissenschaft. Entwurf einer alttestamentlichen Literaturtheorie und Methodologie, Göttingen 1971.
29 | Seine Forderung allerdings, diese Schritte nicht nur nach je eigenen Kriterien, sondern auch jeweils ohne Kenntnisnahme von Ergebnissen der folgenden Schritte durchzuführen, wurde zu Recht kaum akzeptiert. Auch seine schroffe Trennung von Form und Inhalt wurde nicht übernommen. Freilich gesteht er allen Methodenschritten ein undefiniertes Inhaltswissen zu.
30 | Richter, Richterbuch (wie Anm. 27), 351–375.
31 | Richter, Exegese (wie Anm. 28), 79–103, unterschied die „ornamentale Form“ (Allitteration, Vokal-oder Konsonantenhäufungen, Parallelismus membrorum, Chiasmus etc.) und die „strukturale Form“, die er in „äußere Form“ (Syntax und Stilistik) und „innere Form“ (Verteilung und Bezüge von Rede und Handlung, Verbal- und Nominalsatz, Personenführung, mehrfach vorkommende Wortgruppen, geprägte Wendungen und deren Horizont etc.) unterteilte. Nach diesen Vorgaben wurden von Mitgliedern seines Schülerkreises (‚Münchner Kreis‘) zahlreiche Texte analysiert (publiziert in ATSAT). Viele Analysen wurden freilich als zu formalistisch beurteilt.
32 | Karl Oberhuber, Zur Syntax des Richterbuches. Der einfache Nominalsatz und die sog. nominale Apposition, in: Vetus Testamentum 3 (1953), 41 § 80.
33 | Ähnlich, aber ohne den Terminus Inversion: Bobzin, Tempora (wie Anm. 18), 31.
34 | Richter, Richterbuch (wie Anm. 27), 355.
35 | Wolfgang Richter, Recht und Ethos. Versuch einer Ortung des weisheitlichen Mahnspruchs (StANT 15), München 1966, 71f. 77f.
36 | Richter, Recht (wie Anm. 35), 89f.
37 | Walter Groß, Verbform und Funktion (wie Anm. 10), 37f. 41–43.
38 | Hier, Walter Groß, Verbform und Funktion (wie Anm. 10), 41, steht noch: (w=)yiqtol LF-x. Dies habe ich unter Berücksichtigung von Erhard Blum (siehe unten) berichtigt. Eine Form w=yiqtol LF ist im System nicht vorgesehen. Die Notwendigkeit von wa=/w= für die je ersten Glieder der Inversionspaare: wayyiqtol und w=qatal hat Wolfgang Richter, Grundlagen einer althebräischen Grammatik. B. Beschreibungsebenen. III. Der Satz (Satztheorie) (ATSAT 13), St. Ottilien 1980, 211–222, besonders 220 hervorgehoben (in allerdings sehr gedrängter und schwer verständlicher Formulierung). Vgl. auch Hubert Irsigler, Einführung in das Biblische Hebräisch. I. Ausgewählte Abschnitte der althebräischen Grammatik (ATSAT 9), St. Ottilien 1978, 160.
39 | Erwin Koschmieder (Hg.), Gesammelte Abhandlungen zur Phonetik, Phonologie und Morphologie der slavischen Sprachen (Selecta slavica 2), Neuried 1979,168. 186–189. 191–104. 282–302. 341–354.
40 | Adolf Denz, Die Verbalsyntax des neuarabischen Dialektes von Kwayriš (Irak). Mit einer einleitenden allgemeinen Tempus- und Aspektlehre (AKM XL,1), Wiesbaden 1971, 22–51.
41 | Vgl. Walter Groß, Zur Funktion von qatal. Die Verbfunktionen in neueren Veröffentlichungen, in: BN 4 (1977), 25–38, 29. Die Funktion „perfektiver Aspekt“ bzw. „imperfektiver Aspekt“ wird hier somit nicht einzelnen Verbformationen, sondern jeweils einem ganzen Inversionspaar zugesprochen. Die aspektuelle Deutung der hebräischen Verbformen (aber ohne Einsicht in die Inversionspaare) wurde auch zuvor mehrfach vertreten, blieb aber umstritten. Ausdrücklich lehnt sie z. B. Paul Joüon, der ansonsten durch sehr präzise Beobachtungen hervorsticht, ab: Paul Joüon, Grammaire de l‘Hébreu biblique, Rom 1923 (Neudruck Rom 1965), 292 § 111f.
42 | Erhard Blum, Das althebräische Verbalsystem – eine synchrone Analyse, in: Oliver Dyma/Andreas Michel (Hg.), Sprachliche Tiefe – theologische Weite. Neukirchen-Vluyn 2008, 91–142. Wieder veröffentlicht in: Ders., Grundfragen der historischen Exegese (Hg. Wolfgang Oswald/Kristin Weingart, FAT 95), Tübingen 2015, 155–193.
43 | Blum, Verbalsystem (wie Anm. 42), 97f.
44 | Blum, Verbalsystem (wie Anm. 42), 95–97. 100. Sie ist auch laut Konkordanzbefund tatsächlich nicht belegt: ebd., 110. Schon Joüon, Grammaire (wie Anm. 41), 310, § 114g, notiert, sie sei „tres rare“ und versieht zwei seiner vier Belege mit Fragezeichen. Er konnte aber noch nicht erkennen, daß dies systemische Gründe hat. Unter diesen von Blum benannten Voraussetzungen vermehren sich die Möglichkeiten bedeutend, formal zwischen PKKF und PKLF auch in Fällen, in denen die Morphologie keine Auskunft gibt, zu unterscheiden: Da w=PKLF aus systemischen Gründen ausgeschlossen ist, ist jedes wyqtl, das nicht wayyiqtol ist, eine PKKF in modaler Bedeutung. Freilich findet diese Betonung des Systemcharakters des hebräischen Verbalsystems, der in den Inversionspaaren hevortritt, keineswegs schon generelle Akzeptanz. So wertet Holger Gzella, Probleme der Vermittlung hebräischer Verbalsyntax am Beispiel von 2 Sam 11–12, in: KUSATU 12.13 (2011), 7–39. 8, PKLF, PKKF als Jussiv, PKKF als wayyiqtol sowie SK und w=qatal als je „eigenständige Konjugationen“ und beschreibt ihre Funktionen nach Art der älteren Grammatiken je getrennt.
45 | Wolfgang Richter, Die sogenannten vorprophetischen Berufungsberichte. Eine literaturwissenschaftliche Studie zu 1 Sam 9,1–10, Ex 3f. und Ri 6,11b–17 (FRLANT 101), Göttingen 1970.
46 | Wolfgang Richter, Grundlagen einer sprachwissenschaftlichen Grammatik, ATSAT Bände 8, 10 und 13, St. Ottilien 1978, 1979, 1980. Die Grammatik enthält keinen Syntax-Teil.
47 | Wolfgang Richter, Untersuchungen zur Valenz althebräischer Verben. 1. יRK (ATSAT 23), St. Ottilien 1985; Ders. Untersuchungen zur Valenz althebräischer Verben. 2. GBH, cMQ, QṢR II (ATSAT 25), St. Ottilien 1986. Weitere Analysen von Mitgliedern des Münchner Kreises: Theodor Seidl, Untersuchungen zur Valenz althebräischer Verben 3. ṬHR – „Rein sein“ (ATSAT 57), St. Ottilien 1997; Maria Häusl, Bedecken, Verdecken, Verstecken. Studie zur Valenz althebräischer Verben (ATSAT 59), St. Ottilien 1997.
48 | Wolfgang Richter, Biblia Hebraica transcripta (ATSAT 33.1–16), St. Ottilien 1991–1993. Dieses Werk ist, weiterentwickelt von Wolfgang Richter, Hans Rechenmacher etc., weiterhin betreut von Christian Riepl, im Internet zugänglich: Biblia hebraica transcripta, Forschungsdatenbank 3.0, München 1986–2020 <https://www.bht-alt.gwi.unimuenchen. de> (aufgerufen am 27.01.2020). Es enthält außer der Satzeinteilung Erläuterungen zur Morphologie sowie Bestimmung und Semantik der Satzteile. Die Ebene der Satzverknüpfungen ist noch nicht erreicht. Da Satzgrenzen vor allem in Poesie nicht selten umstritten sind, ist zu bedauern, daß dieses wichtige Hilfsmittel im gegenwärtigen Entwicklungsstadium weder Begründungen zu den getroffenen Entscheidungen gibt noch Alternativen benennt. Eine Plattform, auf der derartige Informationen gesammelt und zugänglich gemacht werden, ist bereits angedacht.
49 | Vgl. Richter, Grundlagen (wie Anm. 38), 94–114; seine erweiterte Liste in letzter Fassung teilt Hans Rechenmacher mit: Hans Rechenmacher, Wolfgang Richters Satzbaupläne, in: Ders. (Hg.), In Memoriam Wolfgang Richter (ATSAT 100), St. Ottilien 2016, 279–294, 280–284. Hubert Irsigler, Großsatzformen im Althebräischen und die syntaktische Struktur der Inschrift des Königs Mescha von Moab, in: Ders. (Hg.), Syntax und Text (ATSAT 40), St. Ottilien 1993, 81–121, 81–96 sammelt dagegen „einzelsatzübergreifende Strukturmuster/Satzmuster“. Sie sind vor allem für die Beschreibung poetischer Texte wertvoll. Inwieweit hier stilistische Verfahren beschrieben oder syntaktische Regeln etabliert werden, ist noch undeutlich.
50 | Vgl. Andreas Disse, Informationsstruktur im Biblischen Hebräisch. Sprachwissenschaftliche Grundlagen und exegetische Konsequenzen einer Korpusuntersuchung zu den Büchern Deuteronomium, Richter und 2 Könige (ATSAT 56, 1. 2), St. Ottilien 1998. Walter Groß, Die Pendenskonstruktion im Biblischen Hebräisch (ATSAT 27), St. Ottilien 1987; Walter Groß/Andreas Diße/Andreas Michel, Die Satzteilfolge im Verbalsatz alttestamentlicher Prosa. Untersucht an den Büchern Dtn, Ri und 2Kön (FAT 17), Tübingen 1996; Walter Groß, Doppelt besetztes Vorfeld. Syntaktische, pragmatische und übersetzungstechnische Studien zum althebräischen Verbalsatz (BZAW 305), Berlin 2001; Christo H. J. van der Merwe, The Old Hebrew particle gam. A syntactic-semantic description of gam in Gn-2K (ATSAT 34), St. Ottilien 1990; Theodor Seidl, יašr als Konjunktion – Überblick und Versuch einer Klassifikation der Belege in Gen–2Kön, in: Walter Groß/Hubert Irsigler/Theodor Seidl (Hg.), Text, Methode und Grammatik. FS Wolfgang Richter, St. Ottilien 1991, 445–469.
51 | Es fehlt auch noch an umfangreichen Sammlungen, die zu beurteilen erlaubten, ob bzw. inwieweit Parallelismus membrorum und Chiasmen nicht nur stilistische Phänomene sind, sondern sich auch auf die Satzsyntax auswirken. Manche Unsicherheit entsteht hier aus dem ungeklärten Status der Stichen und deren z. T. in verschiedenen wissenschaftlichen Ausgaben der hebräischen Bibel abweichenden Abgrenzungen. Wolfgang Richters Biblia hebraica transcripta berücksichtigt derartige Phänomene nicht.
52 | Gotthelf Bergsträßer, Hebräische Grammatik. Mit Benutzung der von E. Kautzsch bearbeiteten 28. Auflage von Wilhelm Gesenius‘ hebräischer Grammatik verfaßt, II. Teil: Verbum, Hildesheim 1962, 34 § 7h.
53 | Seybold, Psalmen (wie Anm. 7).
54 | Franz Delizsch, Die Psalmen (BCAT), Leipzig 1867.
55 | Rudolf Kittel, Die Psalmen übersetzt und erklärt, Leipzig 1/21914.
56 | Seybold, Psalmen (wie Anm. 7). Hermann Gunkel, Die Psalmen, Göttingen 51968: „und mein Gebet kam mir immer wieder auf die Zunge.“ Lutherrevision 2017 mit Zürcher Bibel 2007: „und/ich betete mit gesenktem Haupt.“
57 | Seybold, Psalmen (wie Anm. 7).
58 | Hossfeld (wie Anm. 9).
59 | Franz Delitzsch, Die Psalmen. Neue Ausarbeitung (BC), Leipzig 1867.
60 | Hossfeld (wie Anm. 9). Lutherrevision 2017.
61 | Gunkel, Psalmen (wie Anm. 56).
62 | So auch Martin Buber.
63 | Bernhard Duhm, Die Psalmen erklärt (KHC 14), Tübingen 21922.
64 | Vgl. Ps 20,9: zwei syndetische Verbformen synonymer Verben im selben Stichus x-qatal w=qatal: : הֵ֭מָּה כָּרְע֣וּ וְנָפָ֑לוּ „Sie sind gestürzt und gefallen.“ Auf den ersten Blick liegt hier ein regelwidriges w=qatal für individuellen Sachverhalt der Vergangenheit vor. Der zweite Blick aber zeigt: Das beiden Verben gemeinsame Subjekt geht voraus, es ist vor dem zweiten Verb lediglich kontextgetilgt. Es handelt sich somit syntaktisch um ein w=x-qatal. Zu derartigen und komplizierteren Belegen im Psalter vgl. Walter Groß, Syndetische Verbpaare in Kontaktstellung im selben Stichus. Eine Problemanzeige zur Syntax der Psalmen. Im Druck.

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