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Leseprobe 1
Gerardo Cunico
Augenblick und absolute Zeit
Zu Ernst Blochs utopisch-eschatologischer Metaphysik
Zusammenfassung
Der Kerngedanke Ernst Blochs wird im knapp angedeuteten Rahmen der philosophischen Reflexion zur Zeitproblematik als Versuch dargestellt, der aporetischen Herausforderung des gerade gelebten Augenblicks durch ein mehrschichtiges utopisches Denken gerecht zu werden, das in einer praktisch-existentiellen Ontologie zentriert ist, die ihrerseits auf eine die Natur einbeziehende Eschatologie hinausläuft. Dabei wird die Zeit wesentlich als mit einem messianischen Vektor versehen gedacht, der auf eine absolut endgültige Erfüllung in nie garantierter Offenheit dynamisch orientiert ist.

Abstract

Ernst Bloch’s central idea is presented in the briefly indicated context of the philosophical reflection on the problematic nature of time as an attempt to do justice to the aporetic challenge of the just-experienced moment through a multilayered utopian thinking. This thinking is centered in a practical-existential ontology that, for its part, results in an eschatology which includes nature. In the process, time is fundamentally thought of as being provided with a messianic vector that is oriented towards an absolutely final fulfilment in a never guaranteed openness.

Schlüsselwörter – Key-words
Ernst Bloch; Ontologie; Zeitlichkeit; Augenblick Ernst Bloch; ontology; temporality; moment

Im Jahr 1777 stellte Lessing in einem berühmt gewordenen Aufsatz eine These auf, die für alle positiven, auf geschichtlicher Offenbarung basierenden Religionen eine Herausforderung bedeutet: „Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden“.

Lessing konnte nicht ahnen, dass dreißig Jahre danach Hegel die dialektisch aufgefasste Geschichte zum Ort des Sich-Offenbarens der metaphysischen Wahrheit machen würde, obwohl er selbst diese Entwicklung der Philosophie durch seine noch berühmtere Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts veranlasst hatte. Noch weniger konnte er aber ahnen, dass ein Jahrhundert nach Hegel die Erneuerung des metaphysischen Denkens gerade über eine Aufwertung der kontingenten Wahrheit der alltäglichen Zeitlichkeit, der existentiellen Faktizität in ihrer einmaligen Einzelheit geschehen würde.

Das bekannteste Beispiel hierfür ist Martin Heidegger, der etwa schon 1923 seiner Vorlesung zur Ontologie den Untertitel Hermeneutik der Faktizität beigibt. Noch vor ihm aber hatte Ernst Bloch in seiner Dissertation in fast prophetischem Ton programmatisch behauptet, dass „die ganze metaphysische Erneuerung […] noch im Problem der Zeitlichkeit eingeschlossen liegt“ (KER 74; TLU 100). Hier schreibt Bloch unter dem Eindruck der Lektüre von Henri Bergson und vermutlich auch von William James; zu diesen Lektüren wird später die von Husserls Ideen und dessen Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins hinzukommen; dieselben Autoren, die (neben Kierkegaard und Dilthey) in den 1920er Jahren die Reflexion des jungen Heidegger in Richtung auf den Zusammenhang von Sein und Zeit anregen werden.

Bloch setzt aber nicht auf eine bloße Phänomenologie, wenn auch existentiell-ontologischer Prägung. Die „Metaphysik“, die er in den Jahren nach der Dissertation entwirft und vergeblich auszuführen versucht, nimmt die emphatischen Züge eines „Systems des theoretischen Messianismus“ an, worin Philosophie nicht nur konstitutiv „utopisch“ wird, sondern darauf angelegt ist, eine epochale Wende in allen Dimensionen vorzubereiten und anzubahnen.

Der auffälligste Aspekt dieser „Temporalisierung“ der Metaphysik ist der Verzicht auf ein unzeitliches bzw. ewiges oder jedenfalls „gewesenes“ Fundament und die Wendung zu einer Zukunft, die einerseits innergeschichtlich, andererseits übergeschichtlich-absolut ist. Obwohl die in Geist der Utopie umrissene „utopische Philosophie“, die in ihrem Zentrum die derart „futurisierte Metaphysik“ haben sollte, niemals vollständige Ausführung findet, wird sie in Das Prinzip Hoffnung weithin entfaltet, wo die Richtung nach der Zukunft explizit maßgebend wird.

Diese dem Heraufkommen eines genuin Neuen zugewandte Achse ist aber nur eine Seite dieses Denkens, das alle herkömmlichen Bindungen zur Zeitlichkeit in Fragestellt. Das Neudenken der Zeitlichkeit bringt zumindest eine weitere problematische Seite mit sich, deren Erläuterung dazu beitragen kann, einige grundlegende Einwände gegen das utopische Denken zu diskutieren:

– das utopische Denken sei eine Flucht aus der Gegenwart in eine unbestimmbare und unerreichbare Zukunft;

– ihm fehle die Verantwortung gegenüber den gegenwärtigen Herausforderungen und Aufgaben;

– sein unmittelbares Überspringen zum erhofften Ziel hin bedeute Nichtachtung der Leiden der Einzelnen, vornehmlich derjenigen, die aus den im Blick auf die Zukunft eher auf die aktuellen Nöte getroffenen Entscheidungen entstehen;

– sein Aufschieben der Lösung der heutigen Probleme auf die Zukunft gebe vor, man könne aus Aufschub allein leben – ohne feste Maßstäbe, die im Heute orientieren, und ohne Fundamente, die Vertrauen einzuflößen vermögen.

In der Tat entspringt Blochs utopische Philosophie gerade einer radikalen Verantwortung gegenüber der Gegenwart, nämlich dem Bewusstsein der Notwendigkeit, die Herausforderung reflexiv zu bewältigen, vor welche der gerade gelebte Augenblick mit seinem ihn konstituierenden Dunkel nicht nur das Denken, sondern vor allen Dingen das Bewusstsein und die Existenz des Menschen stellt.

Es handelt sich um eine Herausforderung, die mehrere Niveaus aufweist. Das erste ist die aktuelle Präsenz des Bewusstseins zu sich und seinem Akt selbst, die durch jenes Dunkel in Frage gestellt ist. Die weiteren Niveaus betreffen die Existenz des Menschen und sein Selbstverständnis, das moralische und soziale Handeln, die Haltung gegenüber der Natur, dem Religiösen, dem Schönen. In jeder Dimension und Sphäre bewirkt das Vorbeihuschen des Augenblicks eine Opazität, welche die Orientierung in der Gegenwart und das Treffen ihrer wirklichen Nöte schwierig macht.

Im Vorwort zum Prinzip Hoffnung macht Bloch selbst darauf aufmerksam, dass die utopische Biegung des menschlichen Bewusstseins zuletzt keinen anderen Zweck als den hat, dasjenige zu treffen, herauszustellen und zu verwirklichen, was in der nächsten Nähe zu uns, in der unmittelbarsten Aktualität verborgen liegt:

Das utopische Bewusstsein will weit hinaussehen, aber letzthin doch nur dazu, um das ganz nahe Dunkel des gerade gelebten Augenblicks zu durchdringen, worin alles Seiende so treibt wie sich verborgen ist. Mit anderen Worten: man braucht das stärkste Fernrohr, das des geschliffensten utopischen Bewusstseins, um gerade die nächste Nähe zu durchdringen (PH 11).

Das ist kein momentaner Einfall, sondern der Ausdruck eines, ja vielleicht des Grundmotivs seines Denkens, das im Kern bereits in der Dissertation formuliert worden war, wo Bloch die Frage nach der „Dunkelheit der gelebten Augenblicke“ als den Ansatz einer phänomenologischen Erkenntnistheorie darstellt, wobei er aber eine tiefere Bedeutung durchscheinen lässt, welche die ganze Dimension des Seins betrifft:

Dass der gerade gehörte Ton oder die gerade gesehene Farbe, ja die gesamte Augenblicklichkeit des gewussten Daseins niemals bewusst werden kann, deutet auf die Notwendigkeit hin, nach der die Stelle des Prozesses, in der wir uns selbst befinden und nach der ganzen Ausdehnung unserer Existenz aktuell sind, in keiner Wissenschaft wiederkehrt. Was darin als gegeben erscheint, ist lediglich die Wirklichkeit, in der wir jederzeit sind: und die gesamte Irrationalität des Seins enthüllt sich dadurch in der nächsten Nähe, ja in der gerade durchlebten Sekunde, deren Reichtum noch durch keine Fragekategorie eingefasst wurde (KER 74; TLU 99).

Im Geist der Utopie (1918) wird zunächst die „existentielle“ Bedeutung der wunderlichen Unwirklichkeit des Lebens in der unmittelbaren Gegenwart betont:

Es ist nicht zu sagen, wie wenig wir ganz eigentlich zu besitzen und zu erleben imstande sind. Alles gleitet und ist augenblicklich, gleitet in das nicht Erreichen, in Erinnern und Hoffen hinein. Also ist das zu leben? […] Wann lebt man eigentlich, wann ist man selber in der Gegend seiner Augenblicke oder Verwirklichungen, Wirklichkeiten bewusst anwesend? (GU1 363 f.; vgl. GU2 230 f.; GU3 237).

Das Thema des Dunkels des gerade gelebten Augenblicks kehrt aber auch im Bezug auf das unmögliche Erleben seiner und der Dinge im aktuellen Moment des Existierens explizit wieder:

Wir haben nichts, weder außen noch innen etwas, das jeweils festzuhalten wäre. Darum bleibt alles so unendlich schattenhaft, nichts zu erleben, bei nichts zu sein, höchstens uneigentlich im Erinnern und, uns weniger preisgebend, im Hoffen. […] nichts erleben zu können als das, was bereits vergangen ist oder erst heraufkommt; […] indes das Leben selber, gleich dem zenonischen Pfeil als Summe seiner Augenblicke gefasst, ins Unwirkliche dieser Augenblicke zerfließt (GU1 369 f.; vgl. GU2 243; GU3 251).

Bereits in der zweiten Ausgabe vom Geist der Utopie (1923) taucht die phänomenologische Differenz auf zwischen dem gerade gelebten Augenblick, der dem Bewusstsein nie gegeben und aktuell gegenwärtig ist, und der erscheinenden Gegenwart, die in Wirklichkeit eine erste Retention soeben verflossener Momente ist:

Nun aber kann ich mich nicht selber erleben und innehaben. Nicht einmal dieses eben, dass ich jetzt rauche, schreibe, gerade dieses nicht will, als zu nah, vor mir stehen.
Erst unmittelbar danach kann ich mich entspannt solches vor mich hinhalten, es gleichsam vor mich drehen. So ist mir nur das gerade Vergangene gegenwärtig, deckt sich mit dem, was wir als scheinbar daseiend erfahren (GU2 230; GU3 237).

Es handelt sich um Bemerkungen, die einer langen und ehrwürdigen philosophischen Tradition zu widersprechen scheinen. Marcus Aurelius hatte behauptet: „jedermann lebt nur die Gegenwart (tò parón), das ist den Augenblick (tò akariaîon)“ und „besitzt“ nur dies. Augustinus, obwohl er bemerkt hatte, dass „das Vergangene nicht mehr und das Zukünftige noch nicht“ ist, dass aber selbst der nicht weiter teilbare Teil der Zeit, der Gegenwart heißt, „so rasch aus der Zukunft in die Vergangenheit hinüberfliegt, dass er sich auf keine Dauer erstreckt“ und also „keinen Raum hat“, hatte das Dasein eines „praesens de praesentibus cointuitus“ nicht bezweifelt. Descartes hatte nicht bezweifelt, dass wir wir zumindest vom Zweifeln als aktuellem cogitare unmittelbares Bewusstsein haben: „Cogitationis nomine complector illud omne quod sic in nobis est, ut immediate conscii simus“.

Allerdings war Blochs These für sich allein nicht völlig originell. Die psychologischphilosophische Forschung seiner Jugendjahre hatte schon bestätigt, was die Alltagserfahrung längst wahrgenommen und die Dichtung mehrmals festgehalten hatte, wie etwa in einem Vers des Klassizisten Nicolas Boileau: „Le moment où je parle est déjà loin de moi“. William James, den Bloch im Zehlendorfer Manuskript von 1923 zitiert, hatte beobachtet:

Man lasse jemand versuchen den gegenwärtigen Moment […] zu beachten […]. Wo ist sie, diese Gegenwart? Sie ist uns unter der Hand zerronnen, entflogen bevor wir sie berühren konnten, vergangen im Augenblick ihres Werdens. […] das, was gerade gegenwärtig ist, kann überhaupt nur erfasst werden, wenn es in die lebendige und bewegliche Bildung einer viel größeren Zeitstrecke aufgenommen wird. Die Gegenwart im strengen Sinn ist tatsächlich […] eine ganz ideale Abstraktion, die […] niemals sinnliche Wirklichkeit hat […]. Durch Reflexion kommen wir zu dem Schluss, dass sie existieren muss, aber dass sie tatsächlich existiert, kann niemals eine Tatsache unserer unmittelbarer Erfahrung sein. Die einzige Tatsache unserer unmittelbarer Erfahrung ist das, was man glücklich als ‚die scheinbare Gegenwart‘ bezeichnet hat, eine Art Zeitsattel von gewisser Ausdehnung, in dem wir sitzen und von dem aus wir nach zwei Richtungen in die Zeit blicken.

Kurz nach ihm hatte Henri Bergson ähnliche Begriffe bekräftigt:

Zweifellos gibt es eine ideale Gegenwart, rein begrifflich als unteilbare Grenze zwischen der Vergangenheit und Zukunft genommen. Aber die wirkliche, konkrete und erlebte Gegenwart, diejenige, welche ich meine, wenn ich von meinen gegenwärtigen Wahrnehmungen spreche, beansprucht notwendigerweise eine gewisse Dauer. […] Es ist ganz klar, […] dass das, was ich „meine“ Gegenwart nenne, zugleich in meine Vergangenheit und meine Zukunft eingreift.

Man definiert willkürlich die Gegenwart als das, was ist, während sie einfach nur das ist, was geschieht. Nichts ist so wenig als der gegenwärtige Augenblick, wenn man darunter jene unteilbare Grenze versteht, welche die Vergangenheit von der Zukunft trennt. […] Wenn wir im Gegenteil die konkrete und vom Bewusstsein wirklich erlebte Gegenwart betrachten, kann man sagen, dass diese Gegenwart zum großen Teil in der unmittelbaren Vergangenheit besteht.

Bloch beschränkt sich aber nicht darauf, diesen Autoren zu folgen, die durch solche Bemerkungen dazu tendieren, den Augenblick, die unmittelbare Gegenwart als ursprüngliches Phänomen, als „unmittelbare Gegebenheit des Bewusstseins“ aufzuheben; wobei James das Jetzt immerhin als „wirkliche Gegenwart“, und zwar als geschlossene Tatsache, Bergson nur als fiktiven Scheinbegriff annimmt; beide wollen damit der herkömmlichen Assoziationspsychologie entgegenwirken, indem sie die Zeit mit dem ununterbrochenen Kontinuum des Bewusstseins eng verbinden. Bloch fasst dagegen gerade das Nichtgegebensein, das Sich-Entziehen, die Unfeststellbarkeit der unmittelbaren Gegenwart als eine Gegebenheit, ja als die ursprüngliche Gegebenheit auf, ohne welche es die anderen Gegebenheiten nicht gäbe. Es ist eine paradoxe „Tatsache“, die nur dadurch zu verstehen ist, dass man ihre Wurzeln und Entwicklungen an den Tag bringt.

Gegen Bergson und James verbindet Bloch die Unerlebbarkeit des Jetzt mit der Diskontinuität des Bewusstseins, die er als systematisch ansieht, weil er sie von der Unterbrechung jedes gerade gelebten, doch weder miterlebten noch gewussten Augenblicks ableitet. Das Dunkel, Ungesehensein, Nichtgesehenwerdenkönnen des gelebten Augenblicks zerreißt das Kontinuum des seelischen Stroms, so dass es unmöglich wird, daraus die Selbstfundierung und -konsistenz des Ich sowohl als empirisches Selbstbewusstsein (cogito) wie auch als transzendentales Subjekt (ich denke überhaupt) herzuleiten.

Die Unfassbarkeit der Gegenwart wird damit nicht in eine Gleichsetzung alles Wahrnehmens mit einem ununterbrochenen Gedächtnisfluss aufgelöst, sondern mit einem anderen von Bergson hervorgehobenen Phänomen systematisch verbunden: dem des Sich-Vorantreibens jedes Seelen- und Lebensaktes zu einer Zukunft hin, die das Interessenfeld des Handelns und Tuns darstellt.

Bloch übernimmt von diesen Autoren die Unterscheidung zwischen dem unmittelbaren, aktuellen, punktuellen Jetzt und der „gewöhnlichen Gegenwart“ (Präsens) als gemischtem und abgeleitetem Zeitmodus. Er geht aber darüber hinaus und nimmt die Herausforderung des Augenblicks an, indem er das Jetzt als unzeitlichen Ursprung der Zeit auffasst, die Zeitlichkeit stiftet. Er deutet das Dunkel des Jetzt als diejenige Negativität und Unhaltbarkeit, die immer wieder aus sich hinaustreibt und dadurch die Vielheit der Jetzt und das Fließen der Zeit erzeugt. Er erläutert diese Auffassung in einer Reihe von Schriften, die zuletzt in den Text von Experimentum Mundi eingegangen sind.

In seinem Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung spielt Bloch auf diese Zeittheorie immer wieder an, wobei er aber auf andere Aspekte der Augenblicksthematik aufmerksam macht. Hier wird die Lehre des Dunkels des gelebten Augenblicks zunächst im Zusammenhang der leiblichen Selbstempfindung formuliert und danach in einem breiteren existentiellen und ontologischen Rahmen als tieferes Vereinigungs- und Fundierungsmoment von utopischer Anthropologie und Kosmologie dargestellt. Die Herausforderung des Augenblicks wird hier zum Ausgangspunkt für das Verständnis unseres eigenen Existierens und zugleich des Seins alles Seienden.

Es handelt sich dabei weder um Ontologisierung, d. h. eine unzulässige Erweiterung bzw. Generalisierung eines subjektiven Erlebnisses, noch um Anthropologisierung, d. h. eine illegitime psychologistische bzw. subjektivistische Fundierung der Ontologie.

Denn einerseits ist für Bloch (wie für Heidegger) die ontologische Frage nur dann sinnvoll, wenn sie auf das seinskonstitutive Interesse des Menschen am Verstehen seines eigenen Existierens zurückgeführt wird: es ist nämlich das Interesse eines Seienden, dem das Sein Anfrage und Aufgabe, nicht bloße Gegebenheit ist. Andererseits erschließt sich das Verständnis des Existierens erst im zeitlichen Horizont des Sich-Entwerfens des Menschen auf seine Existenz hin, seiner Suche und tätigen Erwartung des eigentlichen Selbst in der Auseinandersetzung mit den Traditionen und den Herausforderungen der Aktualität. Außerdem ist die Zeit für Bloch zwar Horizont des Verstehens von Dasein und Sein, nicht aber bloße „apriorische Form der Subjektivität“, sondern ein Begriff, der nur zugänglich und bestimmbar ist über eine methodische Untersuchung der damit gemeinten Erscheinung in unserer Wahrnehmung des Vor- und Nach-, des Jetzt- und Zugleichseins, also über die von Husserl so genannte Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins.

Deswegen geht Bloch von der menschlichen Erfahrung der Zeit aus, die er aber mit der paradoxen Aporie des Augenblicks verbindet, der sich in seiner unmittelbaren Aktualität dem Erlebt- und Bewusstwerden entzieht, obwohl er die Quelle des Zeiterlebnisses ist. Deswegen reduziert der phänomenologische Ansatz die Erfahrung des Dunkels nicht auf anthropologische oder psychologische Erscheinung; diese wird dagegen zum Schlüssel, der die fundamentale Aporie des unmittelbaren Seins alles Seienden aufschließt.

Im Vordergrund steht allerdings im Prinzip Hoffnung das Dunkel des gelebten Augenblicks als existentielle und existentiale Frage (um Heideggers Wortschatz zu übernehmen). Die Antwort besteht in der Treue zur Aufgabe des „Sich-selbst-in-Existenz-Verstehens“ (wie Bloch mit Rekurs auf Kierkegaard oft sagt). Das Dunkel des Augenblicks ist hier der Ausgangspunkt für das Bewusstwerden unseres eigenen Inkognito und der Inkonsistenz und Schattenhaftigkeit unseres unmittelbaren Daseins. Die Herausforderung wird hier zur existentiellen Frage: wer bin ich? wo komme ich her? wo gehe ich hin? Sie wird dann zur existentialen Frage: wieso bin ich da? wozu bin ich da? was ist der Sinn meines Daseins?

Im Licht solcher Fragen wird zum Thema und zur Aufgabe unseres Existierens das echte Dabei-Sein, Sich-selbst-gegenwärtig-Sein mitten im Vollzug des Daseins selbst; es geht also darum, das eigene Sein zu „haben“, sich selbst eigentlich zu sein, sich zu verwirklichen, die eigene Identität als echtes Selbstsein zu entdecken und zu bestimmen. Zum Symbol dieser Auffassung der Existenz wird Fausts Wette: „Werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! …“. Bloch übernimmt Fausts Reise durch die Welt als maßgebendes Modell der aktiven Suche nach einem genuinen carpe diem, nach der Erfahrung des erfüllten Augenblicks, der wert wäre, angehalten zu werden. Die stets spürbare Präsenz von Goethe in Blochs Hauptwerk ist wie ein Leitfaden, ein Signal der Suche nach einem nicht illusorischen und nicht nur metaphorischen Gleichgewicht zwischen dem endlosen Streben und den Erfordernissen der Gegenwart, ja des Lebens zwar in der Gegenwart, aber im Licht der Utopie; sie ist Figur der mit der Aktualität und ihren realen Möglichkeiten vermittelten, oder wenigstens eine Vermittlung suchenden Utopie.

Der schwierigste Punkt ist zweifellos die ontologische Auffassung des Dunkels des gelebten Augenblicks als Ausgangspunkt für das Verstehen des Seins alles Seienden, und zwar gerade als intensiver Ursprung des Werdens überhaupt. Denn Bloch fasst dies Dunkel als konstitutive Negativität (Nicht) alles unmittelbaren Seins, genauer des bloßen unableitbaren, zufälligen und geradezu unerlebbaren, faktischen Dass des Seins auf, das durch seine Unfassbarkeit und Unhaltbarkeit stets aus sich hinaustreibt – zu einem Versuchsprozess positiver Bestimmung hin, der darauf aus zu sein scheint, in einem dem Uranstoss adäquaten (Was-)Inhalt seine Vollendung zu finden, der zugleich die verborgene Identität alles Seienden offenbaren würde.

Das Dunkel ist dabei nicht nur Ursprung des Werdens, sondern zugleich von Vielheit und Andersheit, weil jeder Augenblick, indem er aus sich hinaustreibt, andere Augenblicke erzeugt oder entstehen lässt. Bloch entwickelt dieses Thema erst im Spätwerk Experimentum mundi, legt es aber fest bereits am Anfang seiner Reflexionen in der „Urzelle“ seines Denkens, nämlich in dem kurzen Text, womit die erste Aufgabe von Spuren (1930) unter dem Titel „Zu wenig“ anhob, und der dann in der letzten Ausgabe von 1969 noch vor der Titelseite als Motto oder besser Auftakt und Kern der ganzen Gesamtausgabe seiner Werke vorkommt:

Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.

Das bedeutet: wenn das Dass des Daseins unerklärbarer Ausgangspunkt von allem ist, so sind die Identität des Daseienden und die Bedeutung des Daseins für es nicht in der Unmittelbarkeit des Daseins selbst mit gegeben; diese können erst aus dem Sich-Öffnen und Eintauchen in die Dimension des Pluralen und Differenten hervorgehen, die dieselbe des Werdens ist.

Diese Auffassung des Augenblicks impliziert, wie angedeutet, auch einen eschatologischen Horizont: der Augenblick wird von Bloch sowohl als Ursprung wie auch als antizipierte Vollendung des Prozesses verstanden. Diese Vollendung, wenn auch als Zurückführung des Vielen zur Einheit und des Verschiedenen zur Identität positiv vorweggenommen, wird weder als restitutio ad integrum noch als Homologisierung und reductio ad unum simpliciter gedacht. Das utopische Totum, das in der realen Möglichkeit erschlossen und erhofft ist, wird nicht zufällig durch das Wort Alles (im Sinn von omnia oder panta) statt durch All (im Sinn vom Ganzen oder hèn kaì pân) bezeichnet, weil mit diesem Kollektiv-Singular eine Vielheit und Vielfalt von zur Einheit versammelten Subjekten-Objekten gemeint ist. Bloch verwendet (wenn auch nur an wenigen Stellen und meist in ungedruckten Manuskripten) als Chiffre des letzten Ziels des Prozesses auch den Ausdruck omnia ubique als räumlich-plurale Entsprechung zur zeitlich-singularen (aus Boethius via Thomas übernommene) Formel des nunc stans. Solcher Ausdruck entspricht der Identifizierung des Alles (und der Identität) mit der Heimat, die am Anfang wie am Schluss von Prinzip Hoffnung vorkommt (PH 11, 15, 1628). Analog spielt das Wort Identität, das dem fünften Teil des Buchs als Überschrift dient, auf einen Abschluss des Prozesses als Ende der Fremdheiten und Entfremdungen, nicht der Differenzen, als Ende der Trennungen, nicht der Vielheiten und Selbständigkeiten, als Ende der ausschließenden, nicht der unterscheidenden und ergänzenden Oppositionen an.

Das im Werden begriffene Sein wird (mit Hegelschen Ausdrücken) als Prozess der Bestimmung, Objektivierung, Vermittlung und Identifizierung ontologisch verstanden. Dieser Prozess kann das Andere nicht zu bloßem Mittel oder Gegenstand reduzieren, ohne dazu auch das Selbst zu machen. Das ist auch die Bewegung des Bewusstwerdens und Erkennens: man fängt von sich an, aber das Selbst ist sich selbst noch nicht als solches gegeben, muss also sich selbst suchen über die Auseinandersetzung mit dem Anderen, das es aktiv und mitproduktiv rezipiert und doch auch innerhalb seiner selbst als Anderes sein lassen soll, um gerade als Selbst befreit zu werden. Erkenntnis ist genau dieses aus dem matten und leeren Innen Herausgehen, um sich dem Anderen zu öffnen und „in sich bleibend zum Anderen zu werden“; das sind dieselben Worte, die im Geist der Utopie (GU1 358) „das summum bonum der Sittlichkeit“, den sittlichen Akt der Liebe bezeichnen.

Daraus ersieht man, dass die ontologische Antwort zur Herausforderung des Augenblicks, die das Dunkel als Ursprung von Vielheit und Vielfalt sowie des Werdens auffasst, auch dazu wichtig ist, auf die ethische Verantwortung auszurichten. Ich kann hier aber nicht auf dieses Thema eingehen, auch nicht auf das der politischen Verantwortung und sozialen Solidarität, das damit verbunden ist. Ich beschränke mich auf ein Zitat, das den Zusammenhang des sittlichen mit dem ontologischen Weg und Ziel nennt:

Es ist das utopisch-inhaltliche Ziel, das solcherart belebt; und dieses Ziel, im Beisichsein wie im Gemeinsamsein, heißt Lichtung des menschlichen Inkognito, Identifizierung unseres Selbst und Wir. Solidarität ist nur dazu unterwegs, und nur wegen einer Probe auf dieses Exempel kann die Solidarität nicht vielstimmig genug sein, das Kollektiv nicht reich genug (PH 1142).

Um die eschatologische Dimension der utopischen Philosophie zu verstehen, die in der Formel des erfüllten Augenblicks als der wirklich „absoluten Zeit“ (GU1 332) am prägnantesten zusammengefasst ist, muss man aber ihre kosmische und religiöse Seite und deren Zusammenhang berücksichtigen. Hierbei ist das Religiöse nicht als besondere Sphäre (als selbständiger „Modus“ des Bewusstseins in dem von meinem philosophischen Lehrer Alberto Caracciolo unterschiedenen Sinn27) zu begreifen, sondern als Frage nach dem letzten Sinn des Seins und Werdens unserer selbst und der Welt im Ganzen, die sich „strukturell“ mit allen intentionalen Richtungen der menschlichen Existenz verbindet.

Dieser Punkt lässt sich durch einen philosophiegeschichtlichen Hinweis erläutern, der übrigens für Blochs Ansatz unerlässlich ist. Gerade in der strukturellen Andersheit und sogar Fremdheit der Natur (deren immanente Gesetzmäßigkeit keine Zusammenstimmung mit unseren sittlich-existentiellen Erwartungen garantieren kann) hatte Kant es für notwendig gefunden, auf die Postulierung eines moralischen Autors der Welt zu rekurrieren, der die Realisierbarkeit des Höchsten Guts zu garantieren vermöchte; wobei er in der Zweckmäßigkeit der Naturwesen eine Basis (bzw. ein Verständnisschema oder wenigstens eine Bestätigung) zur Möglichkeit einer letzthinnigen Einstimmung zwischen Natur- und Sittenordnung gesehen hatte.

Bloch knüpft die Postulierung der teleologischen Konkordanz von menschlicher Erwartung und Naturtendenz an die schwache „Stütze“ der andauernden Fortbewegung des Weltwerdens und an das (ebenso schwache) „Zeichen“ des ästhetischen Vorscheinens, das vornehmlich in den Staunenserlebnissen revelatorisch wirkt; schwächer noch und weniger entscheidend ist der Bezug auf die „Allianztechnik“ – außer im Sinn der utopischen Suche und Erwartung eines neuen kommunikativen und kooperativen (eher als instrumentalen) Verhältnisses mit der Natur (PH 802–817).

Von hier aus wird sichtbar, dass Blochs materialistische Ontologie – mit ihrem kategorialen Schema des Noch-Nicht, mit ihrer Betonung der entscheidenden Rolle der Praxis als Weltveränderung (und zuletzt als Realisierung des Realisierenden selbst) – weder der Gesichtsverzerrung verfällt, die das menschliche Tun als Erzeugen und Erschaffen ad libitum ansehen lässt, noch dem Allmachtswahn des menschlichen Subjekts als letzten oder entscheidenden Faktors des Weltprozesses, und auch nicht der Einseitigkeit des willkürlichen (Macht-)Willens, der auf allseitige technische Verfügung und somit auf die Reduktion von Menschen, Lebewesen und Dingen auf Instrumente unkontrollierbarer Manipulierung und verselbständigter Fabrizierung hinausläuft.

Das bedeutet nicht, dass die von Bloch stets behauptete utopische Perspektive auf die Verantwortlichkeit des Handelns verzichtet, die ein Tun und Erzeugen des Nötigen, ein Treffen und Formen von Bildern des Erwünschten, Erwarteten, Erstrebten erfordert. Vielmehr bedeutet das, dass sie sich wie am Anfang mit der Erfahrung des Dunkels des Augenblicks und mit dem Gedanken des treibenden Ungrunds, so am Ende mit der unheimlichen Andersheit und Fremdheit der Natur auseinandersetzt, in deren rätselhaftem Inkognito zugleich der noch unbekannte Kern unseres Daseins selbst verborgen ist.

Die Forderung des Gelingens, die vor allem im Vorwort zum Prinzip Hoffnung hervorgehoben wird, bezieht sich nicht aufs Tun als (technisches, strategisches bzw. künstliches) Produzieren, sondern betrifft jegliches menschliche Tun, und in erster Linie gerade das sittlich orientierte Handeln, das gegenüber dem Erfolg sowie den vorhersehbaren Folgen der eigenen Absicht nicht gleichgültig sein darf. Es lässt sich gewiss bezweifeln, dass es sinnvoll sei, ein Gelingen moralischer Handlungen, oder gar des letzten Ziels des Handelns, geschweige denn eines letzten Sinns des Tuns und Daseins überhaupt zu „entwerfen“. Und doch ist das Entwerfen ein unaufgebbarer Zug des Existierens, das dem Verstehen (von dessen Sinn, Möglichkeiten und Perspektiven) anvertraut und darauf angewiesen ist. Entwerfen ist nicht auf (ökonomische, technokratische, kulturpolitische, sozialtechnologische) Planung zu reduzieren. Die Aufgabe, die (eigene) „Geschichte“ bewusst, frei und verantwortlich zu „machen“, ohne sich dem gesellschaftlichen oder seinsgeschichtlichen „Geschick“ anzupassen, ist keine altmarxistische oder junghegelianische Grille, wenn man sich nur nicht anmaßt, mit den anderen, den Kulturtraditionen, den persönlichen und kollektiven Identitäten, mit dem eigenen und dem fremden Leib, mit der Umwelt und der Natur alles machen zu können, was man will.

Die Frage der utopischen Begegnung mit der Natur ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit unseres Daseins und Wirkens als Seiender, die in ihrem Leben in die Natur eingeschrieben und auf sie angewiesen sind. Blochs Antwort auf diese äußerste Gestalt der Herausforderung des Augenblicks, die der schwindelhaften Fernsicht einer absoluten Zeit gleichkommt, ist eine Variante des so zu nennenden „Sinnpostulats“, das seinerseits nichts anderes als eine Formel ist, welche eine Hauptbedeutung des „Prinzips Hoffnung“ ausdrückt: worauf es ankommt, ist zu handeln und zu leben, weder als ob es schon jetzt oder immer schon einen letzten Sinn gäbe, noch indem man von einem letzten Sinn absieht oder von dessen Unmöglichkeit überzeugt ist, sondern so, dass auch durch unser Handeln und Leben die Möglichkeit eines letzten Sinns sich aufschließen und zuletzt verwirklichen könnte, obwohl man weiss, dass ohne die objektive Möglichkeit eines im Sein selbst latenten Sinns alles Streben und Versuchen vergeblich bleibt. Solche „letzte“ Möglichkeit kann durch unser Tun aktiviert, stimuliert und befördert, aber nicht „hervorgebracht“ werden, wenn nicht durch eine naturimmanente Praxis, die uns mit einbegreift, doch auch übersteigt.

Eine unerwartete Zustimmung darüber findet man paradoxerweise gerade bei Hans Jonas, dem Autor, der mit seinem Buch Das Prinzip Verantwortung eine polemische Alternative zu Blochs Prinzip Hoffnung aufgestellt hat. In einem ungedruckten Brief an Bloch vom 19.9.1965 spricht Jonas von einer „unvergesslichen Begegnung“ mit ihm und legt einen kurzen Text bei, worin er den Beitrag des gemeinsamen Freundes Adolph Lowe zur Festschrift zu Blochs 80. Geburtstag kommentiert hatte. Dort kritisiert Jonas Lowes These einer unüberwindbaren Fremdheit und Gleichgültigkeit der „Naturmaterie“ gegenüber dem „einsamen“ sittlichen Engagement der Menschen und stellt die Notwendigkeit in Aussicht, eine Entsprechung zwischen Sittengesetz und Weltgesetz (das für ihn grundsätzlich „die Entscheidung der Materie für das Leben“ ist) zu postulieren:

Ohne in Allianz mit etwas zu sein, muss der Mensch verderben. Seine Utopien sind dann nur die fieberhaften Träume seiner Seele. Ist das moralische Gesetz in mir vom bestirnten Himmel über mir wirklich völlig getrennt?

Es könnte scheinen, als hätte ich nicht eigens erläutert, was Bloch mit „absoluter Zeit“ meint, da ich eher den „Natursinn“ des Eschaton thematisiert habe. Wenn man Jonas Anspielung auf den „Beschluss“ von Kants Kritik der praktischen Vernunft mit der Lehre vom höchsten Gut und den Postulaten, sowie vor allem mit der am Ende der Kritik der Urteilskraft entwickelten Idee des Mensch und Welt vereinigenden Endzwecks der Schöpfung verbindet, so kann man wenigstens ahnen, dass bei Bloch gerade die Naturproblematik in den Bereich der absoluten und allgemeinen, also eigentlich religiösen Eschatologie einführt, ohne freilich einen Bezug zu Gott oder einer göttlichen Kraft zu implizieren.

Die Stelle von Geist der Utopie, wo der bei ihm einmalige Ausdruck „absolute Zeit“ vorkommt, enthält zu viele Anspielungen und Implikationen, auf die ich in Kürze nicht eingehen kann, meint aber – mitten in einer emphatischen Vision einer bevorstehenden, geschichtlich entscheidenden, vereinten Aktion von Juden, Deutschen und Russen – die wesentliche Unterscheidung und Staffelung von messianischer (als endzeitlicher) und eigentlich absoluter Eschatologie:

Nun aber, hier werden sich die Juden und die Deutschen ewig begegnen, die leicht vertrocknenden und nach langem wieder aufblühenden Jerichorosen, als die ebenso motorischen wie vernehmenden, spekulativen Nationen; und so ist es immer noch denkbar und aus der Kurve der bisherigen Geschichte zu begreifen, anders, es muss wieder denkbar werden, es gibt keinen Zweifel daran, dass durch die tausendfachen Energien, durch die äonenweite Optik einer neuen Proklamation das Judentum mit dem Deutschtum nochmals ein Letztes, Gotisches, Barockes zu bedeuten hat, um solchergestalt mit Russland vereint, diesem dritten Rezipienten des Wartens, des Gottesgebärertums und Messianismus, – die absolute Zeit zu bereiten (GU1 332).

Der uns hier interessierende Kernsinn des komplizierten Satzes ist also folgender: die von innergeschichtlicher Utopie und metareligiöser Hoffung intendierte messianische Zeit ist nur die Vorbereitung einer Fülle der Zeit, die in ihrem eschatologischen Gehalt mit dem erfüllten Augenblick, mit ewigem Leben als aeternitas in momento identisch ist. Ebenso einmalig findet dies Ausdruck in einer Passage aus dem Manuskript Daseinsweisen der rahmenhaften Entfaltung (1937, LM 265), wo Bloch eine nirgends sonst zitierte Stelle von Meister Eckhart anführt, die in ungeheuerer Annäherung durch ein prägnantes, wenn auch wie immer vieldeutiges und immer noch ungenügendes Bild erläutern mag, was Bloch selbst als gemeinten Zeitinhalt seiner eschatologischen Perspektive umschreiben will:

Wer die Kunst besäße und die Macht, daß er die Zeit und alles, was in den sechstausend Jahren geschehen ist und noch geschehen wird bis ans Ende, wieder zusammenziehen könnte in ein gegenwärtiges Jetzt, das wäre Erfüllung der Zeit: da ist Weite und Breite, die nicht weit ist noch breit.

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