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Leseprobe 2
Bernd Jochen Hilberath
Versöhnung – Lossprechung – Andachtsbeichte – Bußandacht: Ressourcen eines menschlichen-christlichen-kirchlichen Grundvollzugs

Zusammenfassung
Sowohl hinsichtlich der Praxis wie der Lehre im Bereich des Sakraments der Buße/der Versöhnung lässt sich eine Vielzahl von Formen und theologischen Begründungen feststellen. Der dogmengeschichtliche Rückblick erfasst die wesentlichen Elemente dieses Grundvollzugs im Leben des Christen wie der Kirche, die freilich in je unterschiedlicher Zuordnung und Gewichtung erscheinen. Von daher eröffnen sich Möglichkeiten einer kreativen zeitgemäßen Erneuerung. Die Perspektive des Evangeliums, der frohen Botschaft (!), hat dabei leitend zu sein.

Abstract
With respect to the practice as well as to the doctrine in the area of the sacrament of penance / of reconciliation, a multitude of forms and theological explanations can be ascertained. The review of the history of dogma captures the essential elements of this fundamental act in the life of a Christian as well as in the life of the church, even if these elements admittedly appear in different correlations and emphases in each case. Possibilities for a creative and contemporary renewal are consequently opened up. The perspective of the Gospel, the Good News (!), is to be the guide here.

Schlüsselwörter – Keywords
Sünde/Schuld; Umkehr, Buße, Versöhnung; soziale Dimension von Sünde und Versöhnung; Einzelbeichte und Bußandacht
Sin/guilt; change, penance, reconciliation; social dimension of sin and reconciliation; individual confession and celebrations of reconciliation

1. Sollen Umkehr, Buße und Versöhnung den ihnen entsprechenden Platz als Grundvollzüge christlichen Lebens im Bewusstsein und in der Praxis der Christen zurückgewinnen, ist eine umsichtige Berücksichtigung aller relevanten theologischen und pastoralen Aspekte erforderlich.

Die drei Elemente Umkehr, Buße und Versöhnung gehören in einer ganz spezifischen Weise zusammen. Umkehr steht für das, was traditionellerweise oft Reue genannt wird. Buße wird gelegentlich auch Wiedergutmachung genannt, sie wird in der gegenwärtigen Theologie integriert in den Gedanken der Versöhnung. Theologisch müsste die Reihenfolge umgekehrt werden: Die Versöhnungsbereitschaft Gottes ist die Basis dafür, dass wir jeweils wieder umkehren können und wiedergutzumachen vermögen, wo wir hinter dem zurückgeblieben sind, was der Wille Gottes ist. Versöhnung, Umkehr und Buße sind Grundvollzüge christlichen Lebens. Dass sich Christen als Einzelne wie als Institution so schwer tun, zu ihrer Schuld zu stehen, ist umso erstaunlicher, als sie doch das Evangelium von der Versöhnung Gottes mit den Menschen der ganzen Menschheit auszurichten haben! Das Frohmachende dieses Evangeliums besteht darin, dass Gott den ersten und entscheidenden Schritt auf uns zu längst getan hat, er ist der barmherzige Vater, der uns, den verlorenen Söhnen und Töchtern, entgegenläuft. Unsere Umkehr und Buße ist also nicht Voraussetzung dafür, dass Gott sich uns versöhnend zuwendet – es ist vielmehr umgekehrt: das Auf-uns-Zukommen Gottes gibt uns die Möglichkeit eines neuen Anfangs, indem es unsere Sünde erst in das Licht seiner Liebe stellt und so deutlich erkennbar macht, sie aber zugleich vergibt und den neuen Anfang ermöglicht. Deshalb sollten wir in Theologie und Pastoral vom Sakrament der Versöhnung sprechen und diese Charakterisierung der herkömmlichen Rede vom Bußsakrament vorziehen. Da es sich hierbei um ein emotionsanfälliges Thema handelt, scheint es nicht überflüssig hinzufügen, dass damit diesem Grundvollzug christlicher Existenz nichts von seinem Ernst genommen wird. Allerdings wird dem Vorschub geleistet, dass das, was wir in dieser Hinsicht an Ernsthaftigkeit fordern, nicht den Ernst Gottes überlagert. Gott aber macht ernst mit uns, indem er sich mit uns, die wir Sünder waren und es immer wieder werden, versöhnt.

2. Die Krise des Bußsakraments in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat vielfältige individual- und sozialgeschichtliche Ursachen; zu diesen sind auch herkömmliche Beichtpraxis und Bußkatechese zu rechnen.


Die Diskussion um Buße und Bußsakrament ist ein Paradebeispiel dafür, dass es in der gegenwärtigen gesellschaftlichen und auch innerkirchlichen Diskussion nicht leicht ist, auf eine differenzierende Diagnose und dann eine entsprechend differenzierte Therapie zu drängen. Zu den Ursachen gehören auch die herkömmliche Beichtpraxis und Bußkatechese. Wer den Rückgang der Beichte beklagt, muss sich vor Augen halten, dass nie so viel gebeichtet wurde wie im 20. Jahrhundert. Mit der Einführung der Frühkommunion und der häufigen Kommunion wurde auch die häufige Beichte gefordert und gefördert. Einseitigkeiten bei der Gewissenserforschung, vor allem die Fixierung auf das 6. Gebot, haben häufig dazu beigetragen, dass die Bußerziehung nicht befreiend, sondern versklavend auf Menschen gewirkt hat. Selbstverständlich gibt es das, was die Würzburger Synode mit dem Stichwort von dem „heimlichen Unschuldswahn“ beklagt. Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass gerade die jungen Menschen der nachwachsenden Generation eine ganz neue Sensibilität für schuldhaftes Verhalten entwickelt haben. Dies liegt freilich nicht auf den klassischen Feldern der herkömmlichen Beichtpastoral, sondern zeigt sich in einer neuen Sensibilität gegenüber der Bedrohung des Lebens etwa in der Ökologie wie auch in Formen der Solidarität. In eindringlichen Wort hat das Glaubensbekenntnis der Würzburger Synode formuliert: „Hat die Praxis unserer Kirche nicht zumal den Eindruck gelehrt, dass man die kirchliche Schuldpredigt bekämpfen müsse, wenn man der realen Freiheit der Menschen dienen wolle? Und war so die kirchliche Praxis nicht ihrerseits am Entstehen dieses verhängnisvollen Unschuldswahns in unserer Gesellschaft beteiligt? Unsere christliche Predigt der Umkehr muss jedenfalls immer der Versuchung widerstehen, Menschen durch Angst zu entmündigen. … Sie muss aber auch den Mut haben, das Bewusstsein von Schuld zu wecken und wach zu halten gerade auch im Blick auf die immer mehr zunehmende gesellschaftliche Verflechtung unseres Handelns und unserer Verantwortung, die heute über den nachbarlichen Bereich hinausreicht. Die christliche Rede von Schuld und Umkehr muss jene geradezu strukturelle Schuldverstrickung ansprechen …“.

Auch der Verlust der vielfältigen Formen von Buße und Versöhnung bzw. das mangelnde Bewusstsein für diese Möglichkeiten in Alltag und Liturgie beeinträchtigten eine ebenso zentrale wie integrale Sicht des Sakraments der Versöhnung Gottes mit den Menschen. Dadurch wurde zugleich eine Kluft markiert zwischen der Versöhnung im Alltag und der symbolischen Versöhnung im gottesdienstlichen Handeln (Feiern). Auch von daher konnte das Bußsakrament als billiger Ausweg für Katholiken apostrophiert werden. Verengend wirkte sich schließlich die in der Sakramentenpraxis, zum Teil auch im Sakramentenrecht und hier und da auch in der Sakramentenlehre zu beobachtende Individualisierung des sakramentalen Geschehens als eines zwischen „Spender“ und „Empfänger“ aus. Demgegenüber gilt es nicht nur, die Vielfalt der Subjekte und darin die soziale Dimension von Schuld und Versöhnung wiederzuentdecken, sondern auch die „Monopolisierung“ der Vergebungsvollmacht zu überdenken. Die Geschichte des Sakraments selbst bietet dafür Beispiele. Nicht zuletzt wurde, zwar nicht durchweg, aber doch häufig durch diese Art der Buße und der Beichtübung ein eher problematisches Gottesbild weitergegeben, nämlich das Bild Gottes als eines Buchhalters, der in seinem goldenen bzw. schwarzen Buch die Vergehen oder guten Taten der Menschen notiert.

3. Umkehr als Lebenswende stellt den entscheidenden und bleibenden Anfang im Leben des Christen dar.


Dieser Zusammenhang kam in der altkirchlichen Taufe deutlich zum Ausdruck. Ein erwachsener Mensch trifft die Lebensoption für Jesus Christus, entscheidet sich, in die Nachfolge Jesu einzutreten. Dies bedeutet Abkehr von seinem bisherigen Lebensprojekt, so dass die Umkehr des betreffenden Menschen vor den Augen der Gemeinde deutlich wurde. Das Sakrament der Buße ist vom Neuen Testament und der altkirchlichen Praxis her die Taufe. Erst seit der iroschottischen Mission im 6. und 7. Jahrhundert kam es dann zur häufigen, wiederholbaren Form des Bußsakraments in der Form der Einzelbeichte.

Dabei ist im Auge zu behalten, dass es bei Sünde, Umkehr und Vergebung um existentielle Grundvollzüge des Menschen handelt. Nicht das, was wir mit einer Tradition die lässliche Sünde nennen, steht hier im Blick, sondern das, was von alters her schwere Sünde oder Todsünde genannt wird in dem Sinn, dass sie den Menschen, der Christ geworden ist, vom Weg des Lebens abbringt und in den Tod führt. Diese Konzentration auf solche existentiellen Grundsituationen bedeutet keineswegs eine nachlässige Aufmerksamkeit gegenüber den vielen kleinen Gelegenheiten, gegen seine Lebensausrichtung sich zu verfehlen. Aber wir erhalten so die Möglichkeit, über Gewissenserforschungskataloge hinaus bzw. in ihnen selbst zu erkennen, worum es denn eigentlich bei Umkehr, Buße und Versöhnung geht.

4. Die Umkehr selbst ist eine von Gott geschenkte Lebensmöglichkeit; insofern ist der Bußruf Jesu ein Evangelium, eine frohe Botschaft.

Die wesentlichen theologischen Aspekte zu dieser These sind bereits genannt: unsere Umkehr, unsere Reue und Buße sind Konsequenzen des versöhnenden Handeln Gottes, der wie ein barmherziger Vater auf uns, die verlorenen Söhne und Töchter, zukommt. Schon das AT bezeugt die gläubige Erfahrung, dass es letztlich Gott selbst ist, der Versöhnung schafft. Auf verschiedene Weise und immer wieder konnte die Vergebung Gottes erbeten und erreicht werden. Gleichzeitig war bleibend in Frage gestellt, ob es eine endgültige Versöhnung Gottes mit dem Sünder bzw. dem der Schuld verfallenen Volk geben wird.

Der Täufer Johannes ruft angesichts des drohenden Endgerichts zur letzten Chance auf: Wer dem eschatologischen Zorn Gottes entgehen will, muss jetzt umkehren. Jesus von Nazareth, vielleicht anfänglich ein Jünger des Täufers, spricht auch von der Einmaligkeit der augenblicklichen Situation. Freilich geht es nicht darum, sich durch Umkehr darauf vorzubereiten, im Endgericht vielleicht bestehen zu können. In erster Linie geht es ihm nicht um die Umkehr des Menschen, sondern um die Frohe Botschaft von der Hinkehr Gottes zu dem Sünder.

Jesus greift die prophetische Kritik an einem veräußerlichten Bußvollzug auf und lädt zur Umkehr der Herzen ein. Das Johannesevangelium verstärkt den Akzent auf der Gegenwart des Heils, jetzt schon ereignet sich das Entscheidende. „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“ (Joh 3,18). Die Begründung dafür gibt der johanneische Christus im nächtlichen Gespräch mit Nikodemus: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (3,16). Wie Paulus nennt Johannes die Taufe eine Wiedergeburt: Wer getauft ist, ist „von oben/von neuem“ (3,3) wiedergeboren, der „alte Mensch“ ist tot (Röm 6,6), wir sind eine „neue Schöpfung“ (2 Kor 5,17f).

Für die konkrete Gestalt des Sakraments der Versöhnung ist es ganz entscheidend, dass es sich hier nicht um eine Überanstrengung des Menschen handelt, der sich Gott gnädig stimmen will. Vielmehr geht es darum, die Versöhnung Gottes mit uns zu feiern. Nur so ist deutlich zu machen und auf die Dauer auch wieder existentiell zu erleben, dass es sich bei Buße und Bußsakrament um froh machende Vollzüge bzw. um Feiern des Glaubens handelt.

5. Schuld, Sühne und Versöhnung können nur im sozialen bzw. ekklesialen Kontext angemessen begriffen werden.

Diese These ist formuliert vor dem Hintergrund der privatistischen und individualistischen Engführungen in Bußerziehung und im Vollzug des Sakraments. Vom Alten Testament her ist völlig klar, dass der Sünde eine soziale Dimension innewohnt. Dies gilt einerseits für die Verführung zur Sünde und andererseits für die Auswirkungen des sündhaften Verhaltens. Noch grundsätzlicher können wir im Blick auf die Urgeschichte formulieren: Sünde ist die Zerstörung der von Gott den Menschen gegebenen Lebensordnung. Das Verständnis der Sünde darf also nicht verkürzt werden auf ein Fehlverhalten des Menschen gegenüber einem isolierten, abstrakt betrachteten Gebot Gottes. Vielmehr ist Sünde ein Fehlverhalten des Menschen gegen die Gebote als Lebensordnung Gottes. Insofern bedeutet Sühne und Wiedergutmachung die Wiederherstellung dieser vom Menschen zerstörten Lebensordnung.

Die alte Kirche hatte diese soziale bzw. kirchliche (ekklesiale) Dimension der Buße ganz klar im Blick und im Vollzug des Bußsakraments zum Ausdruck gebracht. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben vor allem die Theologie der Befreiung und auf ihre Weise auch die Feministische Theologie herausgestellt, wie wichtig die Beachtung der sozialen und strukturellen Dimension der Sünde ist. Die christlichen Kirchen können freilich für eine Bekehrung der falschen (z. B. gesellschaftlichen, ökonomischen, Gender-) Strukturen nur eintreten, wenn sie nicht nur von ihren Mitgliedern als Einzelne Umkehr verlangen, sondern wenn sie auch als Institution zu Strukturreformen bereit sind. Die 1937 von Abbé Paul Couturier, dem Mentor der Gebetswoche für die Einheit der Christen, gegründete Groupe des Dombes hat sich exemplarisch dazu geäußert, indem sie ihren Ausführungen zur „christlichen Umkehr“ die zur „kirchlichen Umkehr“ folgen ließ: „41. Die kirchliche Umkehr ist gleichen Inhalts wie die christliche Umkehr, aber sie betrifft die Glieder der Kirche gemeinsam und als Teile einer Institution: Sie sind Glieder derselben Glaubensgemeinschaft und haben gemeinsame Gewohnheiten, die Sünde sind. Die kirchliche Konversion ist ständiges Streben der Gemeinschaft ‚Kirche‘, sich auf ihre christliche Identität zuzubewegen.“

6. Die Einzelsakramente als Grundvollzüge der Kirche greifen Grundsituationen des menschlichen Lebens auf, deuten und verändern sie im Licht des Evangeliums. Für eine Erneuerung der kirchlichen Bußpraxis ist daher eine Besinnung auf die Zusammenhänge mit dem Selbstverständnis des Menschen unerlässlich.


Die neuere Sakramententheologie hat herausgearbeitet, dass die Sakramente menschliche Lebenssituationen deuten und durch ihre Deutung diese zugleich verändern. Dabei ist Deutung kein rein gedankliches oder sprachliches Geschehen, sondern zugleich das Bezeugen des Handelns Gottes in dieser Situation. Für unsere heutige Situation bedeutet das, dass die für die kirchlichen Grundvollzüge pastoral Verantwortlichen schauen, wie sich die Grundsituationen menschlichen Lebens in der heutigen und in den heutigen Biographien der Menschen ganz konkret darstellen. Dabei ist mit einer Vielfalt und mit gegenläufigen unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Einstellungen zu rechnen, so dass sich ein pauschales pastorales Konzept in jeder Hinsicht verbietet. In einer Metaphernmeditation wurden folgende Bilder zusammengestellt:

Schuld ist für mich
… wie eine Tür, hinter der eine Mauer ist;
… wie eine Fahrt durch düsteren Nebel;
… wie ein Klotz am Bein;
… wie ein Holzwurm im Baum meines Lebens;
… wie Leben auf einer Insel;
… wie eine Nacht ohne Morgen;
… wie ein Umhertreiben auf offenem Meer;
… wie gelähmte Glieder nach einem Schreck;
… wie eine Isolationshaft;
… wie ein Netz, in das ich verstrickt bin;
… wie eine Atemnot;
… wie ein Blinder auf einer blühenden Wiese;
… wie ein „Nicht-auf-die-Füße-Kommen“ bei Glatteis;
… wie ein Schloss, zu dem kein Schlüssel zu finden ist;
… wie ein Marsch unter Wasser;
… wie eine eingestürzte Brücke.
(Paul M. Zulehner, Umkehr: Prinzip und Verwirklichung. Am Beispiel Beichte, Frankfurt/M. 1979, 81 f.)

Das Verhältnis der Seelsorgerinnen und Seelsorger, der geistlichen Begleiterinnen und Begleiter zu Therapeutinnen und Therapeuten sowie anderen „Helferinnen und Helfern zum Leben“ ist gekennzeichnet sowohl von Überschneidungen wie von abzugrenzenden Kompetenzen. Beichtmütter und -väter, begleitende Schwestern und Brüder haben nicht die Aufgabe von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten; einschlägige Kenntnis und vor allem Aufmerksamkeit wäre aber wünschenswert. Das heißt auch: erkennen, wann ich selber Rat brauche oder abgeben muss. Das Spezifikum der Seelsorgerinnen und Seelsorger jedoch ist die Zusage „Steh auf und geh! Deine Sünden sind dir vergeben!“ (vgl. Mk 2, 1–12).

7. Die geschilderte Situation erfordert eine Erneuerung der vielfältigen Formen der Versöhnung im Leben der Christen.

Viele Menschen haben sich von der herkömmlichen Einzelbeichtpraxis vor Jahrzehnten dadurch distanziert, dass sie sagten: Wenn ich meinem Nächsten etwas schuldig geblieben bin, so ist doch die angemessene Form der Versöhnung, dass ich mit ihm wieder ins Reine komme. Wozu soll ich das dem Priester im Beichtstuhl beichten? Diese Einstellung war natürlich oft auch ein willkommener Vorwand, um sich endgültig aus der kirchlichen Praxis auszuklinken. Aber dennoch sollten wir nicht vorschnell dazu übergehen, anderen die Schuld zuzuweisen. Wir müssen zugestehen, dass die kirchliche Bußpraxis, das, was in der Kirche der ersten Jahrhunderte noch selbstverständlich vor der Versöhnung, der Lossprechung und der Wiederaufnahme in die Gemeinde geschah, nämlich die Buße und das Wiedergutmachen, durch die Praxis der Einzelbeichte nun auf die Zeit nach der Beichte verlagert wurde und zudem noch durch Ersatzleistungen ausgehöhlt werden konnte. Wer, statt sich mit dem Bruder oder der Schwester zu versöhnen, es mit fünf Vaterunser und Gegrüßet-seist-du-Maria und Ehre-sei-dem-Vater hinbringt, der ist fein raus, hat aber die Grundintention des Bußsakraments verfehlt!

Die Bedeutung des Bußsakramentes wird nicht dadurch wiedergewonnen, dass nun alles Reden von Buße, Umkehr und Versöhnung auf die Beichte fixiert wird, sondern dadurch, da wir die vielfältigen Formen der Buße und der Versöhnung, angefangen von der Versöhnung mit dem Bruder und der Schwester im Alltag, wiederentdecken und integrieren in diesen christlichen Grundvollzug. Aus der reichen Geschichte dieses christlichen Grundvollzugs kommen uns z. B. folgende Anregungen entgegen:

– Bekehrung und Versöhnung bilden sich in der nachapostolischen Zeit als die beiden entscheidenden Aspekte heraus. Die Bekehrung äußert sich in „Bußwerken“ und im Bekenntnis.

– Von der persönlichen Buße, die schon im Gebet geschieht, unterscheidet etwa Augustinus die Kirchenbuße, die für die „Todsünden“, d. h. die Sünden, die von Gott definitiv trennen, vorgesehen ist. Die Trennung von Gott wirkt sich auf die Gemeinschaft aus, diese leidet mit – und sie setzt sich fürbittend für die Sünder ein. In ihrer Mitte geschieht auch die Versöhnung des Sünders mit Gott.

– Die harten Bußauflagen führten zu einer Aufschiebung der sakramentalen Versöhnung bis aufs Sterbebett. Hier bedeutete die Einführung der wiederholbaren (Einzel-) Beichte durch die iroschottischen Mönche eine angemessene pastorale Reaktion. Der Ernst im Vollzug wurde dadurch nicht gemindert. Allerdings öffnete die Möglichkeit, Schuld durch Ersatz abzulösen, die Gefahr des Missbrauchs. Welche Aufmerksamkeit ist heute gefordert?

– Durch die Veränderungen verlagert sich der Akzent im (sakramentalen) Vollzug auf das Bekenntnis und die Lossprechung. Seit der Hochscholastik entwickelte sich die indikativische Lossprechungsformel, der Priester („Beichtvater“) war mehr Richter als Seelenführer, während etwa im Osten der medizinal-therapeutisch-spirituelle Aspekt weiter erhalten blieb. Allerdings kennt das westliche Mittelalter auch die sogenannte Laienbeichte, die vor allem der Seelenführung dient und von Albert dem Großen als sakramental bezeichnet wird. Daneben gibt es die Praxis der Generalabsolution, welche die scholastische Theologie zwar nicht als Sakrament, aber als Sakramentale bezeichnet.

– Während nach Thomas von Aquin die „Furchtreue“ (attritio) genügt und das entscheidende Moment im Sakrament die Lossprechung durch den Priester wird, bewirkt nach Duns Scotus die „Liebesreue“ (contritio) die Vergebung der Sünden, die dann im Sakrament nur bestätigt wird. Auch hier kommen pastorale Erwägungen ins Spiel: Da die „Liebesreue“ als Ausnahme gilt, wird der thomanische Weg zum seelsorgerlichen Normalfall.

– Im 20.Jahrhundert wird der soziale und ekklesiale Charakter von Sünde und Versöhnung wieder entdeckt. Er ist gegenwärtig angesichts einer Tendenz zur Individualisierung erneut stark zu machen.

8. Das Bußsakrament als Sakrament der Wiederversöhnung ist das ausdrückliche Zeichen der Vergebung und des Neuanfangs.

Nach dem bisher Gesagten ist klar, dass die Wiederentdeckungen und Neuentdeckungen nicht auf Kosten des Bußsakraments gehen, sondern bereichernd wirken und dem Sakrament wieder einen Sitz im Leben der christlichen Gemeinde geben. Dazu nur die folgenden Stichworte:

– Die Wiederversöhnung mit der Gemeinde ist das ausdrückliche Aufgreifen der Grundsituation des Getauften. Die Geschichte des Bußsakramentes lehrt uns, dass folgende unverzichtbare Elemente zu ihm gehören: Reue, Bekenntnis und Buße. Dazu kommt dann die Versöhnung in Form der Lossprechung und durch die Wiederaufnahme in die Gemeinde. Jede Form sakramentaler Buße muss also diese Elemente aufweisen. Zugleich wird dann in dem sakramentalen Vollzug deutlich, was überall da geschieht, wo Umkehr und Versöhnung stattfinden.

– Ein ausdrückliches Bekenntnis und eine ausdrückliche Versöhnung, d. h. ein Auf-den-Kopf-zu-Sagen „Deine Sünden sind dir vergeben“, ist anthropologisch wichtig und muss als solches den Menschen erfahrbar gemacht werden. Es ist für den Menschen lebensnotwendig, dass er nicht allein gelassen wird mit seiner Schuld, die er sich ja nicht selbst vergeben kann. Und dass meine Schuld vergeben ist, muss mir auf den Kopf zugesagt werden.

– Auch ekklesiologisch ist eine Ausdrücklichkeit der Versöhnung wichtig. Damit sind immer noch mehrere Möglichkeiten dieser Ausdrücklichkeit gegeben, die einzige Form des Bußsakraments muss also nicht die Einzelbeichte sein. Auf der anderen Seite ist gegenüber einer Hochschätzung der sakramentalen Bußandacht zu betonen, dass sie möglicherweise nicht alle Elemente des christlichen Buße in gleicher Weise zur Geltung bringen kann.

9. Das Verhältnis von Einzelbeichte und gemeinsamer Bußfeier sollte nicht als Alternative angesetzt werden. Dogmatisch gesehen könnten beide Formen als sakramentale Sündenvergebung gelten, die Hauptprobleme scheinen eher auf der pastoralen Ebene zu liegen.

Die Einzelbeichte macht besonders das Moment der Ausdrücklichkeit des Bekenntnisses deutlich, die gemeinsame Bußfeier die ekklesiale Dimension. Wenn wir zu einer theologisch verantworteten Antwort kommen wollen, ob auch die gemeinsame Bußfeier – bei der Einzelbeichte ist das ja dogmatisch nicht umstritten – eine Sakramentalität in Anspruch nehmen kann, muss man sich noch einmal auf die Grundfrage zurückbesinnen: Worum geht es denn im Sakrament der Versöhnung? Wenn es im Sakrament der Versöhnung lediglich darum geht, dass der Priester als Richter aufgrund des lückenlosen Bekenntnisses feststellt, was vorliegt und davon dann in einem Rechtsakt lossprechen kann, dann wäre die Einzelbeichte der einzig adäquate Vollzug bzw. die Hochform christlichen Bußvollzugs. Wenn aber die Aufgabe des Priesters nicht auf diese juristische Funktion zugespitzt wird, sondern der therapeutische Aspekt der Buße und der froh machende Aspekt des Evangeliums, für das der Priester als Zeuge eintritt, mit in den Blick genommen werden, dann können auch die übrigen Elemente des Bußvollzugs entsprechend zur Geltung kommen. Im Zusammenhang mit der Bußandacht wäre dann zu klären, ob nicht das individuelle Bekenntnis der Einzelnen, wenn auch nicht öffentlich ausgesprochen, so doch im öffentlich ausgesprochenen kollektiven Bekenntnis einen solchen Stellenwert hat, der es ermöglicht, der Bußandacht sakramentalen Charakter zuzusprechen. Jedenfalls ist die Fachtheologie in der Lage, Argumente in dieser Richtung vorzulegen, die nicht auf einen Widerspruch zum Konzil von Trient hinauslaufen. Das Konzil von Trient hatte die Einzelbeichte als die einzige von Anfang an geübte Form der Buße behauptet. Aufgrund mangelnder historischer Kenntnis der Praxis der Alten Kirche sowie der damaligen Praxis der Ostkirchen konnte eine solche Aussage getroffen werden.

10. In der gegenwärtigen Situation hat die Bußkatechese vor allem folgende Aufgaben zu bewältigen: Sensibilisierung bzw. Aufmerksamkeitslenkung, Aufarbeitung der bzw. Hinführung zu den Formen des Sakraments der Wiederversöhnung, Einordnung in den Lebensvollzug.

Im Hinblick auf eine Erziehung zum Bußsakrament bzw. eine Erneuerung dieses Grundvollzugs christlichen Daseins scheint mir an erster Stelle Sensibilisierung angesagt. Das heißt empfindlich zu machen für die Möglichkeiten des Menschen, schuldig zu werden, bzw. die Aufmerksamkeit auf solche Erfahrungen zu lenken oder allererst dafür die Augen zu öffnen. Hierher gehört die Entwicklung der Unterscheidung zwischen Schuldgefühlen und der Einsicht von Schuld. Schuldgefühle können trügen und fehl am Platze sein. Auf der anderen Seite ist der Behauptung entgegenzutreten, dass dem Menschen aufgrund psychologischer und soziologischer Faktoren jede Schuldfähigkeit überhaupt abgesprochen werden müsse. Auf der Basis einer entsprechenden Sensibilisierung ist es dann möglich, Formen des Neuanfangs und der Versöhnung in den Blick zu nehmen. Dazu scheint mir in der Pastoral unbedingt notwendig, dass die vielfältigen Formen der Schuldverarbeitung und Versöhnung aufgegriffen und integriert werden. Nur wenn die sakramentale Buße als Verdichtung dessen erfahren werden kann, was sich im menschlichen Leben abspielt und von Gott her selber seine Eindeutigkeit und „Heilsgewissheit“ erhält, ist damit zu rechnen, dass Christenmenschen Umkehr, Buße und Versöhnung wiederum als einen komplexen Grundvollzug ihrer Existenz verstehen und vollziehen. Die beiden wichtigsten Elemente – Umkehr und Versöhnung – sollen abschließend noch durch einen nachdenklichen Text ins Wort gebracht werden:

Aufdringliche Befragung

Also du hast
niemandem etwas getan?
Auch nichts Gutes?
Nichts umsonst und
ohne Grund, nur so
aus Liebe?

Also du hast
niemanden umgebracht?
Auch nicht
um seinen guten Ruf
um seinen Schlaf
um seinen Glauben gebracht?

Also du hast
niemanden betrogen?
Auch nicht
um die Hoffnung,
in dir vielleicht
einem wirklichen
Christen zu begegnen und
Gottes Nähe zu erfahren?

(Lothar Zenetti, Sieben Farben hat das Licht, München 1978, 98)


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