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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/thq.2023.2.214–230
Dieter Böhler
Das Leiden des Königs und die Bekehrung der Nationen zum Gott Israels
Die Psalmengruppe Pss 22–31 im Zusammenhang gelesen1
Zusammenfassung
Der Artikel liest die durch iuxtapositio und concatenatio verbundene Psalmen-Kompositionsgruppe Pss 22–31 als zusammenhängenden Text, der das Leiden Davids und seine Rettung daraus durch Gott (Ps 22) als eine Offenbarung vor den Nationen der Menschheit darstellt, die sich in der Folge zum Gott Israels bekehren. Diese Christologie des Psalters wird für das NT grundlegend.

Abstract
The article reads the cycle of Psalms 22–31 as one coherent text as these psalms are linked together by iuxtapositio and concatenatio. The cycle presents David’s sufferances and his deliverance therefrom by God (Ps 22) as a revelation before the nations of humanity who subsequently convert to the God of Israel. This christology will become fundamental for the NT.

Schlüsselwörter/Keywords

Psalmen, Psalter, iuxtapositio, concatenatio, Psalmenverkettung, Christologie
Psalms, psalter, iuxtapositio, concatenatio, Christology


1. Der Psalter als „Erzählung“

Hermann Gunkels Psalmenkommentar von 1926 und seine von Begrich vollendete Einleitung in die Psalmen von 1933 haben die Psalmenforschung erheblich revolutioniert. Das Neue bestand darin, dass Gunkel die verschiedenen Textsorten im Psalter, Klagelieder, Danklieder usw. in den Zusammenhang der altorientalischen Gattungen von Klage- und Dankgebeten stellte. Die Gattungs- und Formgeschichte war ein großer Schritt nach vorn, aber der hatte auch seinen Preis. Die Einordnung der Psalmen bei den altorientalischen Verwandten hat sie zugleich aus ihrem biblischen, genauer: aus dem Zusammenhang des Psalters herausgelöst. So ging ganz stillschweigend eine Frage verloren, die Gunkel noch kannte, von der er sich aber nicht mehr viel erwartete: Gibt es einen erkennbaren Grund für die schon früh fixierte Reihenfolge der Psalmen, die in LXX und MT vollkommen übereinstimmt? Gunkel sieht mit Bedauern, dass die Psalmen nicht nach Gattungen geordnet sind, erkennt immer wieder Stichwortverbindungen2 zwischen einzelnen Psalmen, aber kein ordnendes Prinzip. Delitzsch im 19. Jahrhundert hatte noch „den Stempel Eines ordnenden Geistes“3 gesehen. Delitzsch hat jeden Psalm immer auch im Bezug zu seinen Nachbarn ausgelegt, wie es schon bei den Kirchenvätern gemacht wurde. 1962 warf Claus Westermann4 in seinem Artikel „Zur Sammlung des Psalters“ die Frage der Planmäßigkeit der Psalmenzusammenstellung wieder auf. Er notiert vor allem den Fortgang von Klageliedern zu Lobpsalmen im Gesamtpsalter und die Rahmungen von Teilsammlungen mit Königspsalmen. So bilden Pss 2 und 72 eine Inklusion um die beiden Davidsammlungen, Ps 89 schließt Buch III ab. Gerald Henry Wilsons „The Editing of the Hebrew Psalter“ von 19815 hat die Frage nach dem Aufbau des Psalters dann endgültig in die exegetische Diskussion zurückgebracht. Im deutschen Sprachbereich waren es vor allem Norbert Lohfink in einzelnen Artikeln sowie Erich Zenger und Frank-Lothar Hossfeld in ihren Kommentaren, die den Psalter als zusammenhängendes Buch wieder besonders in den Blick nahmen.

So wie die großen Propheten Jes–Jer–Ez oder die kleinen Propheten im Zwölfprophetenbuch einer (vorgestellten) chronologischen Ordnung folgen und die in den Königsbüchern erzählte Geschichte begleiten, so zeigt auch der Psalter eine geschichtsbegleitende Anordnung. Erich Zenger schreibt: „Vor allem durch die ‚biographischen‘ Überschriften werden die Psalmen so mit den Erzählungen der Samuelbücher korreliert, daß sie nun auch selbst zu einem Erzählzusammenhang werden.“6 Wie die Samuelbücher das Leben Davids nach seinem äußeren Hergang erzählen, so stellen die Psalmen das innere Erleben Davids, sein Gebetsleben in eben jenen biografischen Situationen dar. Pss 1–71 (d. h. die Bücher I und II des Psalters) begleiten Davids Leben bis zu seinem Nachfolger Salomo, von dem Ps 72 handelt. Buch III handelt von der Zerstörung Jerusalems, des Tempels und dem Ende der davidischen Dynastie. In den Büchern IV und V begleitet der verewigte David Israels Geschichte weiter und bittet um Israels Wiederherstellung und Erlösung.7

2. Der Beginn der Erzählung mit Davids letzten Konflikten (3–21)

Die Pss 1 und 2 bilden, schon nach Hieronymus8 das Portal zum Psalter. Nach diesem überschriftenlosen „Portal“ beginnt der Psalter interessanterweise, ausweislich der Überschriften, mit Davids letztem Konflikt in Ps 3: „als er vor seinem Sohn Abschalom floh“. Das ist hermeneutisch ausgesprochen bedeutsam.9 Der Psalter setzt mit Davids letzten Konflikten und Leiden ein. Nicht ein strahlender Sieger wird vorgestellt, sondern ein leidender, kämpfender Mensch in seiner Beziehung zu Gott. Das ist ein ganz anderes Davidbild als das der Samuel- und schon gar der Chronikbücher. Die Evangelisten werden dieses Davidbild des Psalters für ihre Christologie heranziehen.

Der Psalter setzt also nicht mit Davids Jugend ein, als er mit der Leier bei den Schafen seines Vaters saß, auch nicht mit Sauls Verfolgungen (diese werden in Pss 52–59 verhandelt), sondern mit den Leiden Davids am Ende seines Lebens. Mit anderen Exegeten wie Millard und Hossfeld glaube ich, dass sich die Überschrift zu Ps 7 ebenfalls auf die Abschalomerzählung bezieht, näherhin auf 2 Sam 18, die Überbringung der Todesnachricht durch den Kuschiter10. Hieronymus hatte Ps 7 noch überschrieben als „pro ignoratione David“, denn שׁגיון kommt von שׁגה „sich unabsichtlich verfehlen“. Luther übersetzt völlig sachgerecht: „Die Unschuld Davids“. David versichert in einer Unschuldserklärung in Ps 7,4–6, an Abschaloms Ermordung durch Joab nicht beteiligt gewesen zu sein und diese nicht gewollt zu haben. Millard bezieht mit einem Teil der jüdischen Tradition auch die Überschrift zum Doppelpsalm 9–10 עלמות לבן auf den Tod des Sohnes, also Abschalom.

Aber hier endet die Geschichte nicht. Ps 18 ist überschrieben mit:
„Von David, dem Knecht des Herrn, der dem Herrn die Worte dieses Liedes sang an dem Tag, als ihn der Herr aus der Gewalt all seiner Feinde und aus der Hand Sauls errettet hatte“.

Ps 18 schließt Davids Konflikte ab. Davids Dankgebet am Ende des Abschalomkonflikts und aller Konflikte, ja am Ende seines Lebens, ist aus 2 Sam 22 praktisch textgleich in den Psalter eingestellt worden. Entspricht also Ps 3 der Erzählung 2 Sam 15, Ps 7 dem Kapitel 2 Sam 18, so entspricht Ps 9–10 der Erzählung 2 Sam 19, und schließlich ist Ps 18 textidentisch mit 2 Sam 22. 2 Sam 22 ist das Dankgebet am Ende von Davids Leben. Ps 19 ist eine Torameditation, die zeigt, woraus David gelebt hat: Er war ein Idealkönig nach Dtn 17, der permanent die Tora meditierte.11 Pss 20 und 21 sind Gebete für den Kronprinzen. So scheint also die Serie der Pss 3–21 parallel zur zweiten Hälfte von 2 Sam die leidvolle Geschichte vom Ende des Lebens Davids zu begleiten.



1 | Der Artikel ist die fast unveränderte Fassung einer Gastvorlesung an der Universität Wien am 18. Mai 2022. Der Vortragsstil wurde beibehalten.
2 | Hermann Gunkel/Joachim Begrich, Einleitung in die Psalmen, Göttingen 41985, 436.
3 | Franz Delitzsch, Biblischer Kommentar über die Psalmen (BC) (Hg. Friedrich Delitzsch), Leipzig 51894, 15.
4 | Claus Westermann, Zur Sammlung des Psalters, in: ThViat 8, 1961/62, 278–284.
5 | Gerald Henry Wilson, The Editing of the Hebrew Psalter (Society of Biblical Literature. Dissertation series 76), Chico 1981.
6 | Erich Zenger, Der Psalter als Buch. Beobachtungen zu seiner Entstehung, Komposition und Funktion, in: Ders. (Hg.), Der Psalter in Judentum und Christentum (HBS 18), Freiburg i. Br. u. a. 1998, 1–57, 41.
7 | Dieter Böhler, Psalmen 1–50 (HThKAT), Freiburg i. Br. u. a. 2021, 30f.
8 | Hieronymus, Commentarioli in Psalmos, hg. v. Siegfried Risse (FC 79), Turnhout 2005, Nr. 1,1.
9 | Böhler, Psalmen (wie Anm. 7), 42f.
10 | Matthias Millard, Die Komposition des Psalters. Ein formgeschichtlicher Ansatz (FAT 9), Tübingen 1994, 132–134. Hossfeld in Frank-Lothar Hossfeld/Erich Zenger, Die Psalmen I (NEB), Würzburg 1993, 75. Die LXX liest χουσι statt .
11 | Dieter Böhler, „Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“? Was betrachtet der Sänger von Ps 19?, in: BZ 53, 2009, 82–93. Ders., „Über seine Tora soll er murmeln Tag und Nacht“ (Ps 1, 2). Der Psalter als König Davids Meditation der Tora, in: Christoph Dohmen (Hg.), Das Alte Testament und seine Kommentare. Literarische und hermeneutische Orientierungen (SBB 81), Stuttgart 2021, 178–195. [...]


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