Herzlich willkommen bei ThQ – die theologische Quartalschrift aus Tübingen
Unsere aktuelle Ausgabe 1/2023
zum Themenheft »Der Ukraine-Krieg als theologische Herausforderung« mit folgenden ausgewählten Beiträgen:
Editorial
Franz-Josef Bormann
Der russische Angriffskrieg auf den souveränen Staat der Ukraine, der mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim bereits 2014 einen ersten Höhepunkt erreichte, wurde in Deutschland ebenso wie in großen Teilen Westeuropas lange Zeit weitgehend verdrängt. Erst die dramatischen Ereignisse im Gefolge der großangelegten russischen Invasion am 24. Februar 2022 und die damit einhergehenden massiven Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung – nicht zuletzt in Gestalt der grausamen Kriegsverbrechen in Butscha und Mariupol – haben in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung ein Umdenken bewirkt.
Eine ‚Zeitenwende‘ auch für die katholische Friedenslehre?
Moraltheologische Überlegungen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine
Wer die Einlassungen verschiedener gesellschaftlicher Akteure zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in den letzten Monaten aufmerksam verfolgt hat, der konnte sich eines wenigstens dreifachen Eindrucks kaum erwehren: Erstens ließen die unterschiedlichen Beiträge gravierende inhaltliche Differenzen in zentralen Fragen des politischen Umgangs mit dieser Situation erkennen. Zweitens erwies sich die Halbwertszeit vieler Positionierungen aufgrund der überraschenden Dynamik des Kriegsgeschehens als außerordentlich kurz. Und drittens suchte man eine über die Tagespolitik hinausweisende, überzeugende moralische Orientierung gerade durch Vertreter der christlichen Kirchen weithin vergebens.
Der Beginn der militärischen Invasion ukrainischen Staatsgebiets durch Truppen der Russischen Föderation hat starke Debatten im deutschen Protestantismus ausgelöst. Bereits wenige Tage nach dem 24. Februar 2022 lagen erste Beiträge vor, die die gewachsene Hinwendung zu einem aus ihrer Sicht illusionären Pazifismus in der protestantischen Friedensethik beklagten und nichts weniger als deren kompletten Neustart forderten. 1 Andere verteidigten die bisherige Linie und den „Weg der Gewaltfreiheit“, wie er in der Kundgebung der EKD-Synode von 2019 vorgezeichnet worden war.2
Die Orthodoxie in der Ukraine und ihre historischen Beziehungen zum Patriarchat von Moskau
Die Geschichte der Ukraine erscheint wie die eines Spielballs zwischen verschiedenen Mächten. Jedenfalls ist das so seit dem 12. Jahrhundert, der Zeit, in der auch der Name ‚Ukraine‘ zum ersten Mal auftaucht.1 Dieser bedeutet übersetzt nichts anderes als „Grenzgebiet“ und spiegelt damit etwas von dieser Situation wider. Die verschiedenen Regionen der heutigen Ukraine haben daher eine unterschiedliche Geschichte, aber zu welchem Großreich auch immer sie gehörten, sie lagen immer an der Peripherie. Dies hat auch der Geschichte der Kirchen dort seinen Stempel aufgeprägt.