Der Herausgeberkreis der ThQ hat mehrheitlich beschlossen, zwei angefragte Beiträge zum Frauenforum des Synodalen Weges für das Heft 3/2021 nicht aufzunehmen, nachdem der eine Beitrag von der Autorin Johanna Rahner zurückgezogen wurde. Sie sieht die gegenwärtige Diskussionslage um Frauen in durch Ordination übertragenen Ämtern als zu verfahren, als dass eine konstruktive theologische Debatte möglich wäre. Die Debatte wird darüber hinaus sehr stark personalisiert. Der Kreis der Herausgeber hat daraufhin auch den zweiten Beitrag, der von Helmut Hoping verfasst werden sollte, abgesagt. Beide Beiträge können in den Augen der Herausgeber als kontroverse Diskussionsbeiträge sinnvoller Weise nur zusammen oder eben gar nicht publiziert werden. Es wurde beschlossen, die Lücke stehen zu lassen und nicht durch Ersatzbeiträge aufzufüllen.
Herzlich willkommen bei ThQ – die theologische Quartalschrift aus Tübingen
Unsere aktuelle Ausgabe 1/2022
mit folgenden ausgewählten Beiträgen:
Editorial
Thomas Jürgasch
Muße und Religion – ein perfect match made in heaven! Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man zurückgeht zu den Anfängen der Mußeforschung in der griechischen Antike; bestimmt doch schon Aristoteles, der mutmaßlich erste Mußetheoretiker der sogenannten ‚abendländischen Geistesgeschichte‘, die Muße (gr. scholē) als einen, ja sogar den entscheidenden Faktor für eine gelingende Gottesbeziehung. Damit nicht genug ist die Muße laut Aristoteles auch wesentlich für das menschliche Glück, das er aufs Engste mit der eben genannten Beziehung zum Göttlichen verbindet. Denn unser Glück, so der Philosoph, stellt sich dadurch ein, dass wir unser Denken voll und ganz auf „den Gott“ ausrichten und damit unser genuin menschliches Potenzial als „vernunftbegabte Lebewesen“ in höchst- und bestmöglicher Weise entfalten. Eine solche intellektuelle Betrachtung des Göttlichen (gr. theōria, lat. contemplatio) vorzunehmen und so unser Glück zu verwirklichen, dies ist aristotelisch gedacht dabei im eigentlichen Sinn nur in Muße möglich. Nur in ihr nämlich finden wir die nötigen Frei- bzw. Möglichkeitsräume, in denen wir uns – befreit von den Zwängen und Belangen des Alltags – vollkommen auf die ‚theoretische Gottesschau‘ fokussieren können. Aus unserer heutigen Perspektive mögen solche Bestimmungen der Muße, gelingender religiöser Praxis und des menschlichen Glücks merkwürdig bis absonderlich erscheinen.
Im Nachhinein kann ich mir schwer erklären, wie ich Thomas Jürgaschs Angebot annehmen konnte, einen Aufsatz zu „Muße und Religion“ für diese altehrwürdige Zeitschrift zu verfassen. Es muss wohl eine Mischung aus Tollkühnheit, Sorglosigkeit und persönlicher Verpflichtung gewesen sein, die den gesunden Menschenverstand besiegt hat. Wie soll man über das Verhältnis zweier Konzepte schreiben, deren schillernde Begriffsgeschichten jeden Konsens über ihre Definition verhindern, die dabei aber in unterschiedlichen Konstellationen in einen so engen normativen Bezug zu einander gebracht wurden, dass jeder Ideologieverdacht gegen den einen Begriff auf den anderen überzugreifen droht?
„Tätigkeiten in Muße sind […] solche, bei denen Zeit keine Rolle spielt.“ (Günter Figal, Zeit der Arbeit – Raum der Muße, in: Lebendige Seelsorge 71 (2020) 1,2–8,4.) Muße ist eine Tür zur Erfahrung eines Tuns ohne Zweckrationalität, frei von Zwängen und hin zur Selbstverwirklichung. Wenn der (katholische) Religionsunterricht zu einem gelingenden Leben beitragen soll, könnte Muße für die Zielbestimmungen religiöser Bildung in der Schule hilfreich sein. Bislang fehlen religionspädagogische Reflexionen zur Muße, in den Bildungsplänen finden sich allenfalls Platzhalter dieses Begriffs.
Römische Muße und epikureische Theologie in der christlichen Rezeption durch Tertullian und Paulinus von Nola
„Meister, was sind das für Leute, die in diesen Steinsärgen begraben sind und so qualvolle Seufzer hören lassen“? Und er zu mir: „Das sind die Stifter der Ketzereien unterschiedlicher Sekten […]. Auf dieser Seite ist Epikur begraben und alle seine Anhänger, die die Seele mit dem Körper sterben lassen.“ Dante, Commedia, Canto 9–10 (Übers. Flasch).
Als Dante bei seinem Abstieg durch das Inferno den sechsten Kreis der Hölle und damit den Bestrafungsort der Häretiker erreicht, sieht er dort zuerst den antiken Philosophen Epikur. Zusammen mit anderen Häretikern weilt dieser dort in offenen, brennenden Gräbern. Als Grund für Epikurs Höllenstrafe nennt der literarische Vergil die epikureische Vorstellung einer Sterblichkeit der Seele. Als bekanntester Vertreter dieser Lehre bringt Epikur dies die zweifelhafte Ehre ein, das prominente Beispiel eines Haeresiarchen in der Commedia zu sein. War die Renaissance eine Zeit der Wiederentdeckung der Antike, so war die Auseinandersetzung mit und die Abgrenzung von der zeitgenössischen antiken Philosophie für die Theologen der Alten Kirche genuin ein zentrales Element der Herausbildung der eigenen Lehre und Identität. Als Populärphilosophie war der Epikureismus der Kaiserzeit – neben Stoizismus und Platonismus – eine der philosophischen Strömungen, mit denen sich die formierende Alte Kirche auseinanderzusetzen hatte.