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Leseprobe 2 DOI: 10.14623/thq.2017.1.35-47
Anneke B. Mulder Bakker
Gelebte Religion und eucharistische Frömmigkeit an der Maas und am Rhein im 13. und 14. Jahrhundert
Zusammenfassung
Gelebte Religion und eucharistische Frömmigkeit an der Maas und am Rhein im 13. und 14. Jahrhundert werden hier am Beispiel zweier weiblicher Paare vorgestellt, die beide ihren Glauben auf zweifache Weise zum Ausdruck brachten: durch ihre intellektuelle Verarbeitung und durch ihre gelebte Spiritualität. Der Beitrag geht der Frage nach, ob es Kontakte zwischen diesen Frauen und leitenden Kirchenmännern ihrer Zeit, insbesondere mit gelehrten Mendikanten, gab und darüber hinaus, ob es auch eine wechselseitige Beeinflussung gab. Dies soll uns ermöglichen, die Anfänge religiöser Selbstbestimmung unter Laien im Spätmittelalter besser zu verstehen.

Abstract
Lived religion and Eucharistic piety along the Meuse and Rhine Rivers in the 13th and the 14th century are presented here using the examples of two couples of women who, in both cases, expressed their faith in a twofold way: through their intellectual treatment of the subject and through their lived spirituality. Subsequently I pose the question of whether there was contact between these women and leading churchmen of their times, in particular with the learned Mendicants, and, moreover, whether there was also a reciprocal influencing of one another. This should enable us to better understand the beginnings of religious self-determination among laypersons in the late Middle Ages.

Schlüsselwörter – Keywords
Eucharistie; Frömmigkeit; Fronleichnamsfest; Laien-Frauen-Spiritualität Eucharist; piety; Feast of Corpus Christi; laypersons-women-spirituality Mein erstes Beispiel betrachtet die beiden religiös lebenden Frauen Juliana von Cornillon und Eva von St. Martin in Lüttich. Sie sind im 13. Jahrhundert die Erfinderinnen des Fronleichnamsfestes, wie es im Deutschen heißt („Festum Sanctissimi Corporis Christi“).1 Das zweite Beispiel eines spirituellen Frauenpaares stellt die adeligen Damen Gertrud Rickeldey von Ortenburg und Heilke von Staufenberg vor, die in einem asketischen Haushalt in ihrem Eigenheim in Straßburg lebten – in der gleichen Zeit, d. h. in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts, in welcher auch berühmte Lesemeister (lectores), unter ihnen Meister Eckhart, sich dort aufhielten. Bei meinem Aufenthalt als Fellow am Max Weber Kolleg der Universität Erfurt (2014/15) arbeitete ich in der Forschergruppe „Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive“. Dies gab mir die Möglichkeit, eine Studie über ihr Leben zu verfassen und ihre Texte zu edieren.2 Die Forschungsstelle Meister Eckhart im Max Weber Kolleg war vor allem an dem Austausch zwischen spirituellen Laien-Frauen und den gelehrten Mendikanten interessiert.3

Juliana von Cornillon, Theologin und (mit der Hilfe des Klerikers Johannes) Verfasserin von Text und Melodien der ursprünglichen Fronleichnams-Fest-Liturgie

Im Jahr 1197 wurden zwei reiche Mädchen, Juliana und Agnes, die beide in jungen Jahren verwaist waren, dem Konvent von Cornillon anvertraut, um dort aufzuwachsen und erzogen zu werden. Der Konvent von Cornillon, unmittelbar hinter den Stadtmauern von Lüttich gelegen, war von Lütticher Bürgern als eine Pflege-Station für Leprakranke sowie ein Altersheim für reiche Leute, die sich zurückziehen wollten, gegründet worden. Diese Station umfasste einen Konvent von Schwestern für die Pflege unter einer Priorin (im Sinne von Leiterin), und einen Konvent von Brüdern, die sich der Pflege gewidmet hatten, geleitet von einem Bruder (Prior), der zugleich für die ganze Station verantwortlich war. Es handelte sich also um eine Institution von Laien. Der Vorstand setzte sich aus städtischen Beauftragten und Vertretern des Bischofs zusammen. Es gab in diesen Konventen keine Gelübde und keine festgelegte Lebensführung. Juliana geriet später, als sie selbst Priorin der weiblichen Abteilung wurde, in Spannung mit den jungen Frauen der Gemeinschaft. Dabei hatte sie keinen Erfolg. Juliana und Agnes brachten eine reiche Dotierung und Ausstattung mit sich, so dass der Konvent sich ihnen gegenüber zutiefst verpflichtet fühlte.

Juliana (1192–1258) zeigte sich als eine junge Frau, die gerne las und lernte. Man konnte sie häufig in einer stillen Ecke finden, wo sie entweder las oder kontemplierte. Ihr Biograph teilt uns mit: semper meditativa erat – sie meditierte ständig. Als Kind lebte sie außerhalb der Konvents-Gebäude in der Boverie auf den Feldern. Auch später lebte sie getrennt von den Schwestern in einem eigenen Haus und nach ihrer Flucht im Jahr 1246 erst als Begine in Namur und dann in ihren letzten Lebensjahren als Klausnerin in Fosses bei Namur.4

Juliana erhielt eine solide Ausbildung. Sie lernte den Psalter und die wichtigen Bibeltexte auf Latein zu lesen. Außer volkssprachigen Texten studierte sie patristische lateinische Literatur und die lateinischen Predigten von Bernhard von Clairvaux. Seine Predigten über das Hohelied kannte sie auswendig. Die Priorin des Konvents, die für ihre Ausbildung verantwortlich war, brachte das studienbegeisterte Mädchen mit den Lehrern und Studenten der Lütticher Stiftsschulen in Kontakt. Es ist ebenfalls möglich, dass sie, wie Ida de Lewis, Beatrix von Nazareth und andere Frauen, eine dieser exzellenten Stiftsschulen in Lüttich besucht hat. Wahrscheinlich wurde sie zudem in der Liturgie unterwiesen.5

Oft wurde sie von einem jüngeren Mädchen, Eva (später genannt „von St. Martin“, gest. nach 1264) besucht. Diese war vielleicht ihre Kusine. Als erwachsene Frau lebte Eva als Klausnerin bei der Kollegienkirche von St. Martin in Lüttich. St. Martin war der Treffpunkt der reformorientierten Prälaten und Scholastiker.6 Damals besuchte Juliana Eva häufig und verweilte mit ihr in der Klause, manchmal für längere Zeiträume. Eva war eine sehr kluge und energische Frau, die als Julianas Gesprächspartnerin fungierte und ihr dabei half, ihre Visionen und mystischen Erfahrungen in Worte zu fassen. Diese Visionen sollen um 1215 begonnen haben. Von ihrer Klause aus vermittelte Eva zwischen Juliana und den gelehrten Prälaten und Theologen, die sich in St. Martin trafen. Sie machte sie z. B. mit dem Pariser Magister Hugo von St. Cher bekannt, der zu dieser Zeit auch Provinzial des Dominikanerordens war, und mit dessen Freund Jacques Pantaléon, dem Archidiakon von Lüttich, der später Papst Urban IV. wurde (1261– 1264) und das Fronleichnamsfest 1264 eingeführt hat.

Während des Kanons der Messe, der still gebetet wurde, hatte Juliana schon als junge Schwester immer eine Vision, in der sie einen Vollmond, dem ein kleines Stück fehlte, sah. Man kann sich vorstellen, dass sie den Priester im Chor sah, wie er die Hostie mit dem Daumen und Zeigefinger empor hielt. Das entsprach dieser runden, aber angeschnittenen Form. Für Juliana war dies die Vision einer unvollkommenen Kirche. Denn die Gemeinschaft der Gläubigen im Schiff der Kirche verstand kaum, was der Zelebrant während des stillen Kanons murmelte. Juliana fragte Christus selbst, welche geheime Bedeutung ihre Vision habe, und sie erhielt die beunruhigende Antwort: die Bedeutung der Vision sei, dass ein neues Fest in der Kirche eingeführt werden solle: „Deine Aufgabe ist es, dies vorzubereiten und es mittels der einfachen Christen, der humiles, zu propagieren. Die Durchdenkung des neues Festes darfst du nicht den Prälaten, den magni clerici, überlassen.“ Später konnte man ihrem liturgischen Entwurf entnehmen: Julianas vorrangiges Interesse war die gemeinsame Erfahrung der Gläubigen während der Messe. Es ging ihr nicht um ein neues Ritual für den Klerus.7 Es kann daher nicht verwundern, dass sie es nicht den Klerikern überließ, dieses neue Fest zu gestalten, insofern sie oft nur ein geringes Interesse für die Gefühle der Gläubigen aufbrachten und zunehmend und vorrangig mit ihrem eigenen Priestertum, dem sacerdotium, beschäftigt waren. Dies galt besonders für das 13. Jahrhundert, nach dem Vierten Laterankonzil, auf dem die Sakramentenlehre festgelegt und die Trennung von Laien und Priestern ein festes Faktum wurde.8

Aus diesem Grund begann Juliana an einer spezifischen eucharistischen Theologie zu arbeiten, um damit ein besonderes Fest des Leibes Christi zu begründen. Sie wandte etwa 20 Jahre ihres Lebens daran, den Gehalt und den Sinn der Eucharistie zu durchdenken, um daraus eine liturgische Feier zu gestalten. Sie las dazu viele kirchliche Autoren und theologische Traktate, insbesondere aus dem 12. Jahrhundert, zum Beispiel Alger von Lüttich und Lothar von Segni (Papst Innozenz III.). Man kann dies aus den Zitaten ihres liturgischen Werkes erschließen. In den Jahren um 1235 unterbreitete sie ihre Gedanken prominenten Theologen und Prälaten in Lüttich wie Jacques Pantaléon, dem späteren Papst, Hugo von St. Cher, Dominikaner und Magister in Paris, ebenso gelehrten Dominikanern vor Ort, ferner dem früheren Kanzler der Universität Paris, Guiard von Laon, und manchen anderen – alle sind mit Namen in der »Vita Julianae« genannt. Diese Experten approbierten ihre Ideen. Mit Hilfe eines litteratus, d. h. eines Klerikers, der geschult war in lateinischer Dichtung und Musik, erdachte sie ein vollständiges liturgisches Formular, sowohl für den Festtag selbst als auch für die Oktav, und komponierte die Musik dazu.9 Eva, die Klausnerin, begann Julianas Ideen durch ihr Netzwerk von Frauen zu verbreiten, und sammelte Geld für die Altar-Ausstattung. Die erste Corpus-Christi-Messe wurde 1246 am Sterbebett von Bischof Robert von Thourotte gesungen. Das Fest schien auf dem Wege zu allgemeiner Zustimmung in der Kirche. Unglücklicherweise stellte sich der neue Bischof, Heinrich von Geldern, strikt gegen Juliana und gegen ihre Idee vom Fest. Er ernannte einen Gegner als Bruder-Prior des Konvents, und Juliana flüchtete deshalb aus Lüttich und starb im Exil in Fosses 1258.

Aber ihre Freundin Eva gab nicht auf. Sie überredete Hugo von St. Cher, zu dieser Zeit Legat des Papstes, im Jahr 1251 in der Kirche von St. Martin, wo sie in der Klause lebte, in eigener Person die Corpus-Christi-Liturgie zu zelebrieren. Nach dem Tode Julianas sammelte sie alle einschlägigen Fakten über Juliana und über den Ursprung des Festes und schrieb in Französisch eine Ereignis- und Lebens-Geschichte. Diese wurde von einem unbekannten Theologen bald nach 1260 in eine offizielle lateinische Vita umgestaltet10 – meiner Meinung nach könnte es Gottfried von Fontaines gewesen sein, bevor er von Lüttich nach Paris wechselte.11 Die Vita war bestimmt für Jacques Pantaléon, der zu dieser Zeit Papst wurde, und er inaugurierte das Fest 1264.

Der Papst schrieb einen bewegten Brief an Eva, die alte Klausnerin in Lüttich:12 „Wir wissen, liebe Tochter, mit welch großer Sehnsucht deine Seele die Einführung dieses feierlichen Festes des heiligsten Leibes Christi in der Kirche gesehnt hat. Du sollst daher wissen: wir haben es als allgemeines Fest eingerichtet und wir haben es mit allen Prälaten hier in Orvieto gefeiert.“ Seinem Schreiben fügte er ein offizielles Dokument mit der Leib-Christ-(Fronleichmans-)Liturgie bei. Er gab Eva den Auftrag, „dass du mit Ehrfurcht dieses Dokument empfängst und es freizügig an alle Personen weitergibst, die davon eine Kopie erhalten wollen“. Das war eine außerordentliche Ehre für die alte Klausnerin, aber es war auch eine Ehre, die mit einer geheimen Absicht verbunden war. Denn das Dokument enthielt ein verändertes Officium der Fronleichnams-Liturgie. Dieses liturgische Officium war nicht von Juliana gestaltet worden, sondern von dem führenden Theologen dieser Zeit, Thomas von Aquin. Vermutlich hatte Thomas den Papst, der bereits 1246 in Lüttich von Julianas Fest überzeugt war, davon überzeugt, dass das liturgische Formular, so wie es vorgelegt wurde, für die Kirche nicht annehmbar sei. Sein Officium nannte er „Sacerdos in aeternum Christus“.13 Daher besteht das größte Interesse daran, zu wissen, was Juliana selbst in ihrem Officium geschrieben hat und was Thomas von Aquin für verbesserungs- oder veränderungsbedürftig befand. Was davon haben wir heute noch im Gebrauch, wenn wir weiterhin das Fronleichnamsfest als eines der beliebtesten Feste im Frühjahr feiern? Julianas Officium beginnt mit der Antiphon: Animarum cibus: „Speise für die Seelen. Die göttliche Weisheit ernährt uns mit einem Mahl des Fleisches, das er angenommen hat; wir sind eingeladen, seine Göttlichkeit zu schmecken, indem wir als Speise seine Menschlichkeit genießen.“14 Juliana schwebte ein großes und feierliches Fest vor, in dem Gläubige zusammenkommen und ihre tiefe Verbindung mit Gott und untereinander bekennen und damit ein Bündnis von Liebe und Frieden untereinander bestätigen und verstärken. Juliana hatte den Priester nicht als einen abgehobenen Akteur in diesem Drama vorgesehen. Er ist nicht jeweils eigens aufgeführt, sondern nur als Zelebrant aktiv und meistens in der Formel „wir, die Gläubigen“ impliziert. Für Juliana enthält die Eucharistie alle Freude darüber, dass Christus auf der Erde leiblich präsent war. „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Christus ist immer noch genau hier, singt Juliana, jeden Tag neu, cotidie, cotidie.

Thomas stellt etwas anderes in den Mittelpunkt. In Übereinstimmung mit seiner Sicht des Priestertums (sacerdotium) konzentriert er die Handlung auf den Priester. Christus als „Priester in Ewigkeit“ (sacerdos in aeternum) heißt es in der Eröffnung – der Zelebrant ist der Stellvertreter Christi. „Gott beschloss, dieses Messopfer auf eine Weise einzusetzen, dass er den Dienst (ministerium) allein dem Priester anvertraute. Nur ihnen ist es erlaubt, (Brot und Wein) anzufassen, und dann unter den anderen zu verteilen.“15

Der Zelebrant steht an erster Stelle, ihm folgt die Gemeinschaft der Gläubigen. Der individuelle Gläubige kommt aus dem Blick. Die religiöse Kultur, in die diese Botschaften eingebettet sind, könnte kaum unterschiedlicher sein.

Die Liturgie des Thomas wurde in der Kirche approbiert und sie wird heute zelebriert. Aber wie Miri Rubin gezeigt hat, wurde das Fronleichnamsfest des Kirchenvolkes außerhalb des Kirchenraums in die Straßen der Stadt getragen; es wurde vor allem in Prozessionen und im Schmuck der Straßen aufgeführt. Das Fest der städtischen Gemeinschaft, das Symbol ihrer gemeinsamen Verbindung mit Gott und untereinander war, wurde draußen gefeiert, statt im Sinne der Idee Julianas in der Kirche zu bleiben.16 Im Blick auf unser Projekt der historische Untersuchung der religiösen Individualisierung in der DFG-Forschergruppe, ziehe ich folgendes Fazit:

(1) Zwei gebildete Laien-Frauen, theologisch geschult, sannen über die gelebte Religion der städtischen Gemeinschaft nach und erfanden neue theologische Ideen und Formen, um die religiösen Gefühle der (Laien-) Gläubigen auszudrücken.

(2) Die beiden Frauen erfanden ein neues Fest, dessen Idee mittels gläubiger Laien, der humiles, verbreitet wurde, vor allem in dem Netzwerk von Frauen und Männern, das sich um Eva und Juliana gebildet hatte. Bei Evas reclusorium trafen sie sich mit leitenden Kirchenmännern und scholastischen Theologen, wie z. B. Hugo von St. Cher, der auf ihren Rat die neue Eucharistiefeier 1251 selber zelebrierte. Diese Frauen hatten keinen kirchlichen Status, Juliana und Eva waren keine Nonnen, sie waren aufrichtige Laien-Frauen, die religiös für sich lebten, die eine in einer Klause, die andere in einem „asketischen Haushalt“, wie ich ihre Unterkunft in Lüttich, Namur und Fosses in diesem Kontext bezeichnen würde.17

(3) Wenn wir nur die offizielle (kirchliche) Dokumentation der Fronleichnamsliturgie studieren, wie dies die meisten Wissenschaftler tun, stoßen wir ausschließlich auf die einseitige klerikale Überlieferung. Weil das Officium der Juliana, „Animarum Cibus“, als solches nicht erhalten ist, sind wir für die faktische (wahre) Geschichte einerseits auf die Anekdoten angewiesen, die wir den Fragmenta Evas – die in der lateinischen Hagiographie enthalten sind18 – entnehmen, oder andererseits müssen wir zerstreut erhaltene Dokumente genauer analysieren. In diesen Dokumenten, vor allem im Manuskript in der Königlichen Bibliothek in ’s-Gravenhage, ist das Antiphonale erhalten. Eine andere Quelle ist das persönliche Gebetbuch von Jacques Pantaléon (Papst Urban IV.). Die Mängel in kirchlicher Dokumentation, auf die ich hier aufmerksam mache, zeigen, dass wir unser Wissen über religiöse Individualisierung erweitern müssen, vor allem insofern es Gläubige und Frauen betrifft, die selbständig lebten und für eine städtische, nicht für eine kirchliche Institution wirkten.

(4) Wie wir gesehen haben, waren diese Frauen in einem intensiven intellektuellen Kontakt mit führenden Theologen ihrer Zeit, unter anderen mit dem bereits mehrfach erwähnten Magister Hugo von St. Cher. Ohne hier ins Detail zu gehen, verweise ich auf meine Untersuchungen in »Lives of the Anchoresses«: Hugos Unterstützung von Juliana entspricht seiner eigenen intellektuellen Entwicklung. Seine neuen Gedanken über die Eucharistie und seine Entamierung von Questiones über die prophetische Weisheit in »De Prophetia« können dies zeigen. Er hat die Quaestio der Prophetie auf die scholastische Agenda in Paris gesetzt und die damit verbundenen Debatten in einer neuen Richtung 1235/36 bestärkt.19 Das war genau in den Jahren, in denen er mit Julianas visionärer und prophetischer Theologie konfrontiert wurde. Nicht zufällig findet sich in Julianas Vita ein langer Exkurs über Prophetie, um zu zeigen, dass Julianas Ideen ein Produkt ihrer prophetischen Weisheit waren.20

Die adeligen Damen Gertrud Rickeldey von Ortenberg und Heilke von Staufenberg

Die edle Dame Gertrud (gest. 1335) wurde auf der Burg Ortenberg ca. 1275 geboren. Das ist nicht weit von Straßburg. In ihrer spirituellen Biographie, »Von dem Leben der seligen Frowen genant die Rückeldegen«, lesen wir: „Als Gertrud noch ein zartes kleines Mädchen war, befand sich eine Rittersfrau in der Burg, eine guote frowe, die gern von Gott und Leiden des Herrn erzählte. […] Diese Frau sprach in einfachen Worten vom Leiden des Herrn, aber das Kind liebte es, ihr zuzuhören, und ihr Herz wurde immer entzündet, wenn sie die Frau vom Martyrertod unseres Herrn erzählen hörte […]. Diese Liebe verzehrte sie ihr ganzes Leben lang, in der Armut und in dem demütigen Lebenszeugnis, das der Herr ihr aus Liebe gezeigt hatte.“ Die Biographie wurde von einer weiblichen Laien-Autorin kurz nach Gertruds Tod 1335 geschrieben.21 Dort heißt es auch: „Gertrud lernte den Psalter im Alter von neun Jahren. Nachdem sie den Psalter [zu lesen] gelernt hatte, konnte sie die Psalmen beten und täglich betete sie die sieben Stunden. […] Sie betete so viel an jedem Tag, dass sie die Psalmen jede Woche vollständig betete, dazu noch andere Gebete zu Maria und anderen Heiligen.“

Die Biographie erzählt immer wieder von Gertruds eucharistischer Frömmigkeit. Während ihrer Ehe mit einem reichen Ritter „lebte sie in Ehrfurcht und großer Liebe zu Gott“, und sie ging zur Pfarrkirche, um die Messe zu hören. „Sie wollte vollständig hingegeben sein […] insbesondere während des stillen Kanongebetes der Messe, wenn der Herr erhoben wurde. Denn sie war überzeugt: in diesem Augenblick war der Herr selbst zugegen, zweifellos war dies eine Gewissheit ihres Glaubens.“ Die Biographin verweist explizit darauf, offensichtlich war dies nicht selbstverständlich in dieser Zeit, und wir stellen fest, dass Gertrud hier – im Unterschied zu dem erwähnten liturgischen Formular des Thomas, der später freilich das „Adoro te devote“ dichtete – an der Gegenwart Christi in der Eucharistie in der Kirche hängt.22 „Ihre Liebe und ihre Andacht waren so groß, und der Herr war ihr so präsent mit so großer Freude und Süße, dass diese Zartheit und Freude über die Dauer der Messe hinaus noch lange dauerte, bis sie in die Burg und zum Mittagstisch zurückkehrte, manchmal noch darüber hinaus während oder bis zum Ende der Mahlzeit.“ Die Biographin fährt wenig später fort: „Sie nahm oft an der Messe teil und stellte sich dabei vor, wie, durch die Gegenwart des Herrn, alle Gnade und alle Süße in sie hinein überflossen. Sie nahm ebenso wahr, dass dies ihr aus Gnade von Gott zuteilwurde. […] Darüber hinaus war das Leiden des Herrn ihr stets präsent“. Für Gertrud diente die Zelebration der Messe dazu, Christi Gegenwart zu empfinden und in der Kommunion zu spüren, wie seine Süße in sie überfloss. Das war das gleiche Empfinden, das Juliana gespürt hatte. Die Rolle des Priesters in der Konsekration, in der Vermittlung des Heils oder in der Erlösungslehre der Theologen stand nicht im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit.

Nachdem ihr Ehemann gestorben war, vermutlich 1301, nahm Gertrud die Gelegenheit war, ihr Leben in ihre eigene Hand zu nehmen, und sie zog in die Stadt Offenburg, wo sie ein Haus als unabhängige fromme Frau bezog. Sie widmete sich einem asketischen Leben im eigenen Haushalt. Bald gesellte sich ihr eine junge Frau zu, Heilke von Staufenberg, auch sie eine Dame von Adel und eine Verwandte, die eine Chance darin sah, einer Heirat durch diese Verbindung mit Gertrud zu entkommen.

Heilke muss eine gründliche Bildung genossen haben. Sie konnte lesen und auch schreiben, sie besaß ein Buch, in dem sie die Festtage der Heiligen nachschlagen konnte. Ich nehme an, es war ein lateinisches Brevier.23 Die beiden Damen führten gemeinsam ihren adeligen Haushalt. Ähnlich wie Eva Juliana geleitet und geholfen hatte, überwältigende mystische Erfahrungen in den Griff zu bekommen und in Worte zu fassen, stand auch Heilke Gertrud bei, fasste ihre Visionen in Worte und setzte sie in Praxis um. In Offenburg „sah jeder [Gertrud] als ein gutes Vorbild, denn ihr ganzes Leben war nichts anderes als eine vollkommene Nachfolge und Nachbildung des Lebens Christi“.

Nach sechzehn Jahren, um 1317, als Gertrud um die 40 Jahre alt war, erfuhr sie eine Wendung ihres religiösen Lebens. Sie verpachtete ihren Landgüter gegen Rente und zog nach Straßburg um. Die beiden Frauen kauften zusammen eine Hofstatt im Patrizier-Viertel. Sie führten auch hier einen aristokratischen Haushalt. Sie wurden Vollbürgerinnen in Straßburg, die am gesellschaftlichen, religiösen und sogar am politischen Leben in der Stadt teilnahmen. Jetzt wollte Gertrud häufig die Kommunion empfangen. „Nun war diese gesegnete Frau völlig im Frieden mit Gott und mit allen Umständen, und unser Herr hatte seinen Willen völlig in ihr erfüllt, deshalb wollte der Herr, dass sie das heilige Sakrament öfter empfangen sollte als bisher. Vorher hatte sie ihn jede Woche empfangen, jetzt wollte Gott, dass sie ihn jeden zweiten Tag empfangen könne. Sie nahm dies sehr ernst.“ Mit ihrem Beichtvater vereinbarte sie, dass sie „wegen der Leute […] einen Tag zu den Brüdern gehen würde, den anderen zum Kloster St. Clara, und dann am dritten Tag zur Pfarrkirche, so dass es besser verborgen blieb, wie häufig sie kommunizierte.“ So tat sie es für ein ganzes Jahr. Danach nahm der Herr „es von ihr fort. Er wollte von ihr, dass sie die Kommunion jetzt wieder wie vorher empfangen würde. Trotzdem blieb sie im gleichen Frieden und in der gleichen inneren Ruhe und Begnadung wie zuvor.“ Sie konnte sogar so ohne Kommunion bleiben, als das Interdikt über Straßburg verhängt wurde. Zu Heilke sagte sie: „Schau her, wie gelassen ich nun sein kann, während ich seiner entbehren muss und wie wahrhaft der Frieden in mir ruht. Wenn mir dies geschehen wäre, als mein Geist mit solcher Heftigkeit und mit solchem Begehren darauf gerichtet war, unseren Herrn zu empfangen […], dann wäre ich trübsinnig geworden.“

Die Franziskaner in Offenburg und Straßburg „liebten ihre Lebensart so sehr, dass viele Brüder zu ihr kamen, die von unserem Herrn erzählten. Sie fühlte sich in ihrer Nähe wohl, denn sie liebte es, von ihnen über den Herrn reden zu hören.“ Zu diesen Besuchern gehörten auch viele bedeutende Lesemeister (lectores), d. h. theologisch gebildete Brüder, die in Straßburg oder an anderen Orten lehrten. „Sie wollte die Gelehrten auch deswegen befragen, weil ihr der Herr manche besondere Erkenntnisse gewährt hatte, die sie sich selbst nicht erklären konnte. Sie schämte sich aber nicht darum, dass sie nicht alles richtig verstand. Ihr schien jedoch, wenn sie diese Dinge unbefragt ließe, wäre dies nicht recht gegenüber dem Herrn.“ Ihre eigene Lektüre des Psalters, ihre Gespräche mit Heilke und mit den Brüdern brachten bei Gertrud visionäre Erlebnisse hervor, die sie völlig überwältigten. Dann brauchte sie Heilke, um zu verstehen, was über sie gekommen war, und dies in Worte zu fassen. In ihren Antworten nutzte Heilke das Wissen und die Einsichten, die sie von anderen erlernt hatte. Die Beschreibung in der spirituellen Biographie Gertruds erweckt den Eindruck, dass in dem und um das Haus eine lebendige Gruppe von Gläubigen miteinander Gespräche führte, um sich wechselseitig über den Glauben zu informieren und einander zu lehren, sei es mit Bewohnern, Besuchern oder mit gelehrten Franziskanern. Bezogen auf solche religiöse Gruppenphänomene spricht R. I. Moore von „Gemeinden“, in welchen die Beteiligten „ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl und eine Gruppenidentität“ entwickelten.24 Dies bewahrheitete sich für den Haushalt von Gertrud und Heilke ebenso wie für Evas Klause.

Und Meister Eckhart?

Ich halte es für möglich, dass die Fragen Gertruds und die Antworten Heilkes direkt oder indirekt spirituelle Einsichten, die von Meister Eckhart stammten, widerspiegeln. Die Biographin benutzt als Autorin ihre eigenen Worte, wenn sie in »Von dem Leben« Gertruds Frömmigkeit beschreibt – aber die Ideen werden von Eckhart-Forschern wiedererkannt.

Als Eckhart – wie man annimmt – 1313 von Paris an den Oberrhein kam und unter anderem in Straßburg arbeitete, fand er sich selbst von Dutzenden frommer Laien, Frauen und Männern, umgeben. Sie suchten nach christlicher Vollkommenheit mitten unter ihren Mitbürgern und Mitbürgerinnen.25 Seine Predigten in der Volkssprache legen nahe, dass er damals seine vorrangige Aufgabe darin sah, namentlich die Frauen innerhalb der orthodoxen christlichen Lehre zu halten. Er konnte sich in ihre Ideale einfühlen, sah aber ebenso auch die Gefahren. Er anerkannte ihre spirituelle Kraft, aber er nahm auch ihren Mangel an scholastischem Training und ihre Neigung zur Exaltiertheit wahr. Er fühlte sich gewiss durch ihre innerweltliche fromme Lebensweise inspiriert. Er verstand, dass es seine Auftrag sein könnte, einen innerstädtischen, „weltlichen“ Leitfaden zu entwerfen für das Streben nach Perfektion auch in Privathäusern in der Laienwelt.26

In diesem Kontext möchte ich die Predigt über „Maria und Martha“ anführen. Eckhart betont dort: Martha „stand bei den Dingen und nicht in den Dingen“.27 Martha führte zusammen mit Maria und anderen ihren eigenen Haushalt. Martha war für Eckhart die Ikone innerweltlicher Vollkommenheit. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Frauen, von denen wir wissen, dass sie in der säkularen Welt erfolgreich waren, meistens weise ältere Frauen waren, die die Jahre der Vernunft erreicht hatten und über 40 Jahre alt waren. Juliana promulgierte ihr neues Fest nach 20 Jahren Studien, als sie etwa 40 Jahre war. Gertrud war ebenfalls bereits 40, als sie sich in Straßburgs öffentlichen Leben engagierte. Hildegard von Bingen war 42, als sie ihr erstes Buch veröffentlichte.28 Eckhart attestiert Martha in Übereinstimmung mit dieser Annahme „ein gereiftes Alter“. Nach ihm „hatte sie lange und gut gelebt, und Leben gibt die beste Erkennntis“. Ihre Lebenserfahrung ermöglichte diesen Frauen, Aufgaben in der Welt zu übernehmen. Möglicherweise hat Eckhart diese Ansichten entwickelt, als er zu seiner Zeit die Tätigkeit älterer Frauen wahrnahm.

Eckhart fasste seine neuen philosophischen und theologischen Einsichten in manchen volkssprachigen Werken zusammen, vor allem in seinem »Buch der göttlichen Tröstung «. Sein Werk ist gut bekannt und vielseitig von Wissenschaftlern bearbeitet. Aber auch Frauen haben ihre Ideen aufgeschrieben. Ihr Werk ist jedoch kaum ediert und studiert. Ich versuche, dazu beizutragen, dies mit der Herausgabe des Werkes »Von dem Leben der seligen Frowen genant die Rückeldegen« und mit weiteren Studien zu ändern. Ich versuche zu zeigen: die Laien-Frau aus Straßburg, die diese spirituelle Biographie in ihrem Dialekt schrieb, wollte die spirituellen Ideen der Gertrud und Heilke für eine neue Lebensweise fassen und in Beispielen und kurzen Geschichten darstellen. Sie zeigte sich dabei fähig, das Ideal der innerweltlichen Vollkommenheit in Bilder zu fassen, die mit Meister Eckharts Gedanken übereinstimmen. Sie benutzte dazu ihre eigenen Worte, aber Eckhart-Experten erkennen fast jeden Gedanken.

»Von dem Leben der seligen Frowen« ist also ein vorzügliches Dokument der religiösen Kultur, in welcher gelehrte Lesemeister und religiöse Frauen in der Welt einander inspirierten und eine gemeinsame innerweltliche Spiritualität entwickelten. Dies bezeugt eine intellektuelle Kultur von Frauen, ihre religiöse Individualität und ihre Zusammenarbeit mit gelehrten Brüdern der Bettelorden. Ihre Gesprächsgemeinschaft bezeugt einen gelebten Glauben, der auf der Theologie der Inkarnation beruht, eine eucharistische Frömmigkeit, die sich auf eine unmittelbaren Beziehung der Gläubigen zu Gott stützt. Es war ein gemeinsames Streben von Lesemeistern und Frauen in der Welt, die Gemeinschaft der Gläubigen auf neue Wege zu führen.



1 | Vgl. Anneke B. Mulder-Bakker, Lives of the Anchoresses: The Rise of the Urban Recluse in Medieval Europe, Philadelphia 2005, 78-147, 233-255
2 | Vgl. Anneke B. Mulder-Bakker, The Dedicated Spiritual Life of Upper Rhine Noble Women (Fourteenth Century) (im Erscheinen begriffen).
3 | Ich danke den Kolleginnen und Kollegen in der Forschergruppe Religiöse Individualisierung am Max Weber Kolleg in Erfurt, die meine Werkstattberichte über religiöse Laien-Frauen diskutierten und mir die Gelegenheit gaben, mein eigenen Gedanken über Gertrud und Eckhart zu entwickeln.
4 | Vgl. »Vita Julianae«, geschrieben von einem jüngeren Scholastiker aus Lüttich um 1260, akribisch herausgegeben mit französischer Übersetzung von Jean-Pierre Delville, Fête-Dieu, 1246-1296, II: Vie de Sainte Julienne de Cornillon, Louvain-la-Neuve/Turnhout 1999. Die Edition basiert auf dem „offiziellen“ Manuskript der Vita Julianas, das in Cornillon um 1280 geschrieben wurde und jetzt im Pariser Arsenal MS 945 aufbewahrt ist. Diese Edition ersetzt die Edition in den AA.SS, 7. Aprilis (neue Edition Brüssel 1868-1925, X, 437-475, und die englische Übersetzung von Barbara Newman, die auf dieser Edition beruht (1988). Newman veröffentlichte ein neue, verbesserte Übersetzung mit einer neuen Einleitung in: The Life of Juliana of Cornillon in: Living Saints of the Thirteenth Century: The Lives of Yvette, anchoress of Huy; Juliana of Cornillon, author of the Corpus Christi Feast, and Margaret the Lame, anchoress of Magdeburg, hg. und mit einer Einleitung versehen von Anneke B. Mulder-Bakker, Turnhout 2011, 143-302. Für eine vertiefte Studie zu Julianas Leben und Denken vgl. meine Monographie »Lives of the Anchoresses«, Kap. IV und V.
5 | Anton Steenwegen, De gelukzalige Ida de Lewis of Ida van Gorsleeuw, in: Ons Geestelijk Erf 57 (1983),105-33;209-47;305-22, zeigt, dass die Stiftsschulen von Lüttich, zusätzlich zu ihren eigenen Schulen für Jungen, auch externe Schulen für Mädchen und Jungen hatten. Das Lambertus-Stift beschäftigte vier Kleriker für die Bildung von Gläubigen.
6 | Vgl. Saint-Martin: Mémoire de Liège, catalogue ed. by Marylene Laffineur-Crépin, Lüttich 1990.
7 | Vgl. »Animarum Cibus«, rekonstruiert von Cyrille Lambot und I. Fransen, L’ Office de la Fête-Dieu primitive: Textes et mélodies retrouvés, Maredsous 1946, neu ediert und analysiert von Vincent Corrigan in: Barbara R. Walters/Vincent Corrigan/Peter T. Ricketts, The Feast of Corpus Christi, University Park Pennsylvania 2006, 77-425.
8 | Vgl. die erhellende Studie zur eucharistischen Spiritualität: Gary Macy, The Theologies of the Eucharist in the early Scholastic Period: A Study of the Salvific Function of the Sacrament According to the Theologians, c. 1080-1220, Oxford 1974. Arnold Angenendt widmet in seinem monumentalen Werk »Offertorium: Das mittelalterliche Meßopfer «, Münster 2013, dem Corpus-Christi-Officium keine Aufmerksamkeit und erwähnt nur die Fronleichnamsprozession als eine Straßenprozession (379).
9 | Vgl. Anm. 8 und meine Interpretation in »Lives of the Anchoresses«, 90-117. Ich betrachte Juliana als die intellektuelle Autorin des Officiums, auch wenn der Hagiograph der lateinischen Vita mitteilte, dass „sie zuerst betete und er schrieb“. Er legt ihr aber jeden Absatz, den er formuliert hatte, vor. „Was diese Jungfrau Christi approbierte, behielt er bei, und was sie für verbesserbar hielt, verbesserte sie selbst oder sie überließ es ihm zur Korrektur“. Diese wörtliche Aussage ist eine so ungewöhnliche Aussage eines mittelalterlichen Hagiographen über eine Frau, dass die Bollandisten diese Worte in ihrer Ausgabe der Acta Sanctorum ausließen.
10 | Vgl. Vita Julianae, neu herausgegeben mit französischer Übersetzung von Jean-Pierre Delville, Fête-Dieu (1246-1996) II: Vie de Sainte Julienne de Cornillon, Louvain-la-Neuve/Turnhout 1999.
11 | Gottfried von Fontaines stammt selbst aus dem Gebiet von Lüttich. Er studierte in Paris um 1270 und wurde dort ein prominenter Theologe. In den religiösen Frauenstudien wird Gottfried besonders als der Scholastiker erwähnt, der Marguerite Poretes »Miroir des Simples Âmes« positiv bewertet hatte. In: Das Manuskript, BN lat. 16297, um 1270, teilweise von Gottfrieds eigener Hand geschrieben, nahm er unter anderem einen Traktat auf, der seine letztenEinsichten in die eucharistische Theologie und eine Zusammenfassung der Gründe, warum das Fest des LeibesChristi eingerichtet werden sollte, enthielt. Er vertrat eine Form der inkarnatorischen Theologie, welche die realePräsenz Christi in der Eucharistie betonte, zugleich aber das tägliche Messopfer des Priesters ablehnte (fols.237a–237b). Dies war eine Position, die Juliana gewiss unterstützt hätte. Vgl. Palémon Glorieux, Un recueil scolaire de Godefroid de Fontaines, in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 3 (1931), 37-53, ferner die erhellenden Beobachtungen von Jean-Pierre Delville in: Saint Martin: Mémoire de Liège, Louvain 1990.
12 | C. Lambot, La bulle d’Urbain IV à Ève de Saint-Martin, in: Revue Bénédictine 79 (1969), 261–270.
13 | Das Officium des Thomas ist ebenfalls nicht erhalten. Wir konnten nicht einmal absolut sicher sein, dass er der Autor von »Sacerdos in aeternum« ist, bis Ronald J. Zawilla, The Historiae Corpus Christi Attributed to Thomas Aquinas: A Theological Study of their Biblical Sources, unveröff. Diss. Toronto 1985, die Zweifel endgültig beseitigte. Eine neue Ausgabe ist unterwegs. Ich benutze: Thomas Aquinas, Opera Omnia XV, Parma 1864, 233-238.
14 | Lambot-Fransen, Office, I Vesperis, antiphon 1, vgl. Mulder-Bakker, Lives, 103-111, auch für das Folgende.
15 | Thomas im Hymnus der Matutin: „Sic sacrificium istud instituit,/Cuius officium committi voluit/solis presbyteris, quibus sic congruit,/Ut sumant, et dent ceteris.“ Pater Torrell, der bekannte dominikanische Thomas-Experte kommentierte meine Nachfrage mit den Worten: „vous touchez un point qui m’a toujours un peu intrigué; il y a là une insistence sur le rôle du prêtre qui confine à la polemique; sur ce point, il se pourrait que vous ayez raison et qu’on trouve là un exemple de ‘dialogue’ entre une mystique et un théologien – même si le théologien a cru devoir faire une mise au point et peut-être une rectification des idées de Julienne.“
16 | Vgl. Miri Rubin, Corpus Christi: The Eucharist in Late Medieval Culture, Cambridge 1991.
17 | Vgl. Meine Einführung in die asketische private Haushaltführung, in: Anneke B. Mulder-Bakker, Ein asketischer Privathaushalt am Oberrhein. Das Beispiel der Gertrud Rickeldey von Ortenberg, Heilke von Staufenberg und ihrer Biographin, in: Das Beginenwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, ed. Jörg Voigt u. a., Stuttgart 2015, 290-307.
18 | Vgl. Mulder-Bakker, Lives, 120-122, dort die Anmerkungen 247–248; in der Anm. 8. vermute ich, dass Evas Narrativ in Französisch (s. o.) Ähnlichkeiten mit der anekdotischen Biographie hat, die von der Biographin der Gertrud Rickeldey von Ortenberg verfasst wurde (s. u.).
19 | Vgl. Jean-Pierre Torrell, Théorie de la prophétie et philosophie de la connaissance aux environs de 1230: La contribution d’Hughes de Saint-Cher (Ms Douai 434, Question 481), Spicilegium Sacrum Lovaniense, Louvain 1977.
20 | Vgl. Mulder-Bakker, Lives, 94-97.
21 | Das mittelhochdeutsche »Leben« ist enthalten in: Brüssel, Koninklijke Bibliotheek van België, MS 8507–09, fol.133r–239v: Von dem heiligen Leben der Seligen Frowen genant die Rückeldegen. Hans Derkits, Die Lebensbeschreibung der Gertrud von Ortenberg, Diss. Wien 1990 (Maschinenschrift), bietet eine Transkription mit historischer Einführung von dieser spirituellen Biographie. Siehe dazu auch Hans Derkits, Die Vita der Gertrud von Ortenberg: Historische Aspekte eines Gnadenlebens, in: Die Ortenau 71 (1991),77-125; Eugen Hillenbrand, Heiligenleben und Alltag. Offenburger Stadtgeschichte im Spiegel eines spätmittelalterlichen Beginenlebens, in: Die Ortenau 90 (2010), 157–176; und Ders., Gertrud von Ortenberg – eine vergessene Heilige, in: Die Ortenau 91 (2011), 279-96; siehe dazu auch Anneke B. Mulder-Bakker, Fromme Frauen in Straßburg und Meister Eckhart: Gertrud von Ortenberg und Heilke von Staufenberg, in: Meister-Eckhart-Jahrbuch 8 (2014), 55–74. Zusammen mit Freimut Löser bereite ich eine Edition dieser Biographie nach dem Brüsseler Manuskript in englischer Übersetzung von Gertrud Jaron Lewis vor. Für den vorliegenden Beitrag zitiere ich das »Leben« nach dieser Übersetzung. Siegfried Ringler ist dabei, den MHD-Text zu übersetzen.
22 | Julianas Corpus-Christi-Fest wurde von Jacques Pantaléon verbreitet, nachdem auch er gezwungen worden war, Lüttich zu verlassen, und dann weiter östlich Bischof von Verdun wurde. Die erste Feier des Festes war in Köln 1264. Vgl. Susanne Martinet, La sainte Face de Laon et son histoire, Laon 1988.
23 | In Luzern, Zentral- und Hochschulbibliothek, MS P 4.4 (quarto), findet sich ein Lateinisches Brevier, analysiert von Judith Raeber, Buchmalerei in Freiburg im Breisgau. Ein Zisterzienserbrevier aus dem frühen 14. Jahrhundert: Zur Geschichte des Breviers und seiner Illumination, Wiesbaden 2003. Dieses Brevier wurde von Luitgard von Staufenberg und ihrem Gemahl Georg von Falkenstein im ersten Jahrzehnt des 14. Jhs. in Auftrag gegeben. Das ist genau in der Lebenszeit Heilkes. Nach Raeber, 184. 186, wurde dieses Brevier in einer städtischen Schreibstube in Freiburg hergestellt, wo die Kopisten und Ausgestalter begonnen hatten, in diesen Jahren Laien-Breviere anzufertigen.
24 | Vgl. Robert I. Moore, Heresy, Repression and Social Change in the Age of the Gregorian Reform, in: Christendom and Its Discontents: Exclusion, Persecution, and Rebellion, 1000-15000, ed. Scott L. Waug et al., Cambridge 1996, 19-49, hier 37.
25 | Vgl.: Anneke B. Mulder-Bakker, Fromme Frauen in Straßburg und Meister Eckhart (Anm. 21), 55-77.
26 | Vgl. Dietmar Mieth, Meister Eckharts „Frauenpredigten“ in: Das Beginenwesen, ed. Voigt, 264–289.
27 | Sermon 86: bî den dingen und niht in den dingen, in der englischen Übersetzung: Meister Eckhart, Teacher and Preacher, ed. Bernard McGinn, New York 1986, 338–345, hier 340. Vgl. ferner die gründliche Interpretation dieser Predigt von: Eric Mangin, La figure de Marthe dans le Sermon 86 d’Eckhart, in: Revue des Sciences religieuses 74 (2000), 304–328.
28 | Vgl. Anneke B. Mulder-Bakker/Renée Nip (Hg.), The Prime of Their Lives: Wise, Old, Women in Pre-industrial Europe, Louvain 2004.

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