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Leseprobe 2 DOI: 10.14623/thq.2016.1.23-35
Bernd Jochen Hilberath
Dezentralisierung – eine notwendige Relativierung der Kurie
Zusammenfassung
Die von Papst Franziskus gewünschte Dezentralisierung betrifft nicht nur, aber vor allem die römische Kurie. Bei ihrer Reform kann auf einschlägige Voten der Konzilsväter zurückgegriffen werden. Der von der Konzilsmehrheit vertretenen Ekklesiologie entspricht die Zuordnung der Kurie zu Papst und Bischöfen, die als Kollegium die Verantwortung für die Gesamtkirche tragen. Nicht zuletzt sind die bischöflichen Ortskirchen selbst in der Pflicht, für die Dezentralisierung sowohl der Weltkirche wie auch ihrer eigenen Strukturen zu sorgen.

Abstract
The decentralization desired by Pope Francis is not limited to, but primarily concerns the Roman Curia. For the reform of the Curia one can draw on relevant decisions of the Council Fathers. The ecclesiology advocated by the majority of the Council corresponds to linking the Curia to the pope and to the bishops who together, as a college, bear responsibility for the entire church. Not least of all, the local episcopal churches themselves have the obligation to see to the decentralization of both the universal church and their own structures.

Schlüsselwörter – Keywords
Ortskirche – Weltkirche; Primat; Kollegialität; Synodalität; oberster Senat. local church – universal church; primacy; collegiality; synodality; highest senate.

In der programmatischen Einleitung zu seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium (Nr. 16) bekennt Papst Franziskus, dass er die „Notwendigkeit [spüre], in einer heilsamen ‚Dezentralisierung‘ voranzuschreiten“. Notwendig ist diese nicht als Selbstzweck, sondern im Dienst der Evangelisierung, der missionarischen Ausrichtung der ganzen Kirche. Damit ist von vornherein allen denen ein Riegel vorgeschoben, die, aus echter Sorge oder zur Verteidigung ihres Status quo, die Bekehrung der Herzen und die Reform der Strukturen alternativ gegeneinanderstellen und deren komplexe Wechselbeziehung nicht wahrnehmen (wollen). Dabei könnte doch Einigkeit darüber erzielt werden, dass die Lösung von Strukturproblemen nicht Selbstzweck ist, sondern an der „Sache“ des Evangeliums Maß nimmt. Diese Richtung hat Papst Franziskus vorgegeben, und es ist zu hoffen, dass die Bischöfe weltweit diesem Papst ebenso folgen wie seinen jüngsten Vorgängern, unter denen die Mehrheit von ihnen ernannt wurde. Noch wünschenswerter ist es, dass eine Generation von Bischöfen heranwächst, die Gehorsam gegenüber dem Papst als wechselseitige Verpflichtung versteht und ein entsprechendes Selbstbewusstsein als verantwortliche Hirten ihrer Diözesen entwickelt. Zu deren Führungsstil gehörte – was in der aktuellen Dezentralisierungsdebatte selten thematisiert wird (siehe dazu die Beiträge in diesem Themenheft) – eine Dezentralisierung der Verantwortlichkeiten in ihrer eigenen Ortskirche.

Nun ist es gewiss nachvollziehbar, dass sich die Diskussion vor allem auf die Rolle der Kurie konzentriert: der Papst hat ihr die Leviten gelesen und eine Kardinalskommission zur Reform der Kurie eingesetzt, in den Medien sind die Gegenkräfte seitens der Kurie und aus ihrem Umfeld präsent. Nicht wenige Beobachter sind vor allem an der (Macht-)Frage interessiert: Kann Papst Franziskus sich durchsetzen? Im Rahmen des Themenhefts konzentriere ich mich auf das Projekt, dass die römische Kurie im Sinne einer „heilsamen Dezentralisierung“ notwendigerweise relativiert, d. h. in Beziehung (Relation) gesetzt werden muss zu denen, welche auf weltkirchlicher Ebene die Verantwortung tragen: das Kollegium der Bischöfe mit dem römischen Bischof als Haupt. Was dem Papst recht ist – dass er sein Amt als Primas in die synodale Struktur der Kirche integrieren will –, sollte der Kurie als Dienstorgan nur billig sein.

Es kommt auch auf die Filialen an

Die Forderung des Papstes stößt vielfach auf lebhaftes Interesse („endlich!“), wie Publikationen und Tagungsthemen dokumentieren. Dezentralisierung bedeutet ja nicht nur für die Zentrale eine Herausforderung. In seinem Kommentar zu Lumen gentium ruft Peter Hünermann „die historische Problemlage“ in Erinnerung: „In weiten Kreisen der Kurie und bei nicht wenigen Mitgliedern des Episkopats war ein streng hierarchologisches Kirchenbild lebendig.“ Das für diese Ekklesiologie charakteristische „Potestas-Denken“ prägte sowohl das Verhältnis der Bischöfe zum Papst wie „manche Einzelzüge des im III. Kapitel [von Lumen gentium ] gezeichneten Bildes des Bischofs. Er erscheint so als ‚Monarch‘ in seiner Diözese.“ ‚Endmoränen‘ eines solchen Denkens wurden auf dem Konzil immer wieder sichtbar. So sah sich Erzbischof Eugene D’Souza von Bhopal veranlasst, in der Diskussion des Schemas zum Laienapostolat zu bemerken: „Sicher sollte nichts gegen den Bischof geschehen oder an ihm vorbei, doch dürfe nicht vergessen werden, dass das Volk Gottes kein totalitärer Staat sei, in dem alles von oben angeordnet werde. Wo wäre da noch die Freiheit der Kinder Gottes?“ Konzilsväter sprachen, auch im Hinblick auf dieses Machtdenken, von einer notwendigen Bekehrung. Freilich ist festzustellen, dass bald nach dem Konzil und dann allzu lange die Ortskirchen, namentlich ihre Bischöfe, nicht konsequent eingefordert und umgesetzt haben, was das Zweite Vatikanische Konzil vorgegeben hatte. Ob es die aktuelle Bischofsgeneration angehen wird?

Das würde eine Vertrautheit mit den Dokumenten des Konzils sowie mit dem Konzil als Ereignis und Prozess voraussetzen. Würde Mario von Galli auch heute noch den Eindruck haben, dass „der Papst … der einzige [ist], der sich an das Konzil wirklich hält“? Dann empfiehlt es sich, energisch von Gallis Rat zu folgen: „So glaube ich, dass es unsere Aufgabe jetzt in allererster Linie ist, mutig und frei und ohne Angst, ja mit einem Vorschuss an Vertrauen, das Gespräch, das heißt die synodale Zusammenarbeit, von unserer Seite zu beginnen und so gewissermaßen etwa noch säumige Autoritäten mitzureißen.“ Immerhin hätte man das Konzil auf seiner Seite, gerade was die Reform der Kurie angeht.

Zurück zum Reformkonzil!


Als eine der ersten Maßnahmen hat Papst Franziskus die Kardinalskommission eingesetzt, die ihm Vorschläge zur Reform der Kurie ausarbeiten soll. Das eröffnet die Möglichkeit, die halbherzige Rezeption des Konzils, wie sie in der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus von 1988 vorliegt, zu korrigieren. In diesem Dokument klafft (wie bis heute in der Praxis des kirchlichen Lebens) eine riesige Kluft zwischen den Anknüpfungen an das Konzil im ersten und den konkreten Bestimmungen im zweiten Teil. In letzterem begegnet nämlich auf Schritt und Tritt die Formulierung „Die Kurie (Kongregation usw.) ist zuständig für alles, was …“. Das kirchliche Gesetzbuch, der CIC von 1983, spiegelt diese Halbherzigkeit, die nicht nur theologisch, sondern auch machtpolitisch zu erklären ist. Nicht wenige Mitglieder der Kurie hatten ja gehofft, im gewohnten Stil regieren zu können, wenn mal der ‚Spuk‘ des Konzils vorbei sei.

Schon während des Konzils versuchten sie, aus ihrer Sicht ‚Schlimmes‘ in den Texten zu verhindern, abzumildern oder zu konterkarieren. Die Auseinandersetzungen um die Kollegialität und das Verhältnis von Episkopat und Primat gehören zu den heftigsten im Verlauf des Konzils. Ja, selbst ein Scheitern des Konzils drohte! Einerseits war hier theologisch Neues zu denken, was im III. Kapitel von Lumen gentium nur unzureichend gelang: „Gesucht, im Konzil jedoch noch nicht gefunden wird eine Weise, die beider Subjektsein [des Papstes und des Kollegiums der Bischöfe, dessen ‚Haupt‘ ja wiederum der Papst ist] wahrt …“. Andererseits handelte es sich um ein psychologisch zu erklärendes und spirituell zu bewältigendes Machtproblem, wie auch Joseph Ratzinger im Rückblick festhielt: „Jene Kräfte, die bisher weitgehend die gesamtkirchliche Arbeit getragen hatten, sahen begreiflicherweise darin [in der Kollegialität] die Preisgabe des Erprobten und Bewährten zugunsten unbestimmter, ja gefährlicher Zukunftsvisionen, deren theologische Grundlagen sie überdies für fragwürdig hielten.“ Letztlich blieb eine eindeutige Zuordnung der Kurie offen, bzw. sie wurde in Theorie und Praxis so gehandhabt wie vor dem Konzil; ihr ekklesiologischer Ort war und ist der zwischen dem Papst und den Bischöfen. Weil, zumindest was das Verhältnis Ortskirche– Universalkirche angeht, der Status der Kurie im Großen und Ganzen unangetastet blieb, wurde „die Klage über einen überzogenen Zentralismus der römischen Behörden“ nach dem Konzil immer wieder angestimmt. Sogar Papst Johannes Paul II. sah in Pastor Bonus von 1988 offensichtlich nur eine Etappe, wenn er in Nr. 44 seines Apostolischen Schreibens Novo millenio ineunte vom 6. Januar 2001 feststellt, dass es bezüglich der Reform der Kurie „sicherlich noch viel zu tun gibt“.

Was Papst Franziskus jetzt im Blick hat, hätte deutlicher in Konzilstexten stehen, vor allem aber nach Konzilsende konsequent umgesetzt werden können. Ich erinnere an die Rede von Erzbischof D’Souza zum Verhältnis Bischöfe–Kurie: „Die römische Kurie hat als eine zentralisierte Macht ein ziemlich einförmiges Recht erlassen, das gewiss sehr nützlich war, insbesondere als Könige und Regierungen die Bischöfe zu ernennen pflegten und sich zu unterwerfen versuchten, als auch die Kommunikationsmittel so langsam waren, dass der Zusammenhalt mit Hilfe einer sehr straffen äußeren Disziplin bewahrt werden musste.“ Damals wie heute fürchten diejenigen, denen zufolge die Kirche nur katholisch ist, wenn sie vor allem römisch ist, um die ‚Einheit‘ der Kirche. Anders der Bischof aus Indien: „Als ob die Dezentralisierung der Einheit widerspräche!“ D’Souza hat auch keine Probleme damit, einen Seitenblick auf die Errungenschaften der modernen Gesellschaften zu werfen: „Als ob, um die Sache auf eine andere Ebene zu übertragen, Staaten mit einer föderativen oder demokratischen Verfassung des Zusammenhaltes entbehrten!“ Noch wichtiger ist freilich dem Bischof die heilsame Förderung des Lebens, die ein uniformes Recht verhindert: „In den Gebieten, wo die Kirche von schweren Problemen bedroht wird, sind sich die Hirten immer mehr bewusst, dass diese Probleme deshalb kaum gelöst werden können, weil Gesetz und Praxis einander nicht entsprechen, weil, um es einmal ziemlich krass zu sagen, das für den ganzen Erdkreis gleichförmige kanonische Recht dort der Buchstabe ist, der tötet.“ In der Nachkonzilszeit scheinen die Hirten „immer mehr“ dieses Bewusstsein verloren zu haben; hier und da wurden inoffizielle Regelungen getroffen („aber fragt mich nicht!“), in vielen Fällen aber wurde auf das gewartet, was von „Rom“ kommt. Bischof D’Souza hätte noch auf der jüngsten Bischofssynode mit Nachdruck vorbringen können, was er als den „Kern der Frage“ bezeichnete: „Es darf die Einheit nicht mit der Einförmigkeit verwechselt werden, auf die ein zentralisierter Organismus drängt.“

Die Sorge, die Reform könne verpasst werden oder wie in Pastor Bonus 1988 auf halbem Weg stehen bleiben, veranlasste den Erzbischof zu seinem abschließenden Appell (der zudem im bevorstehenden Gedenkjahr der Reformation an Schärfe zunimmt): „Erinnert euch an das fünfte Laterankonzil 1512–1517. Es vollbrachte die Reform, die die Zeitgenossen von ihm erwarteten, nicht, ob aus Mangel an Klarsicht oder aus Mangel an Energie, ich weiß es nicht. Wenige Monate später geriet die Kirche in die schlimmste Krise ihrer ganzen Geschichte. Haben wir den Mut, Brüder, auf die Erwartungen unserer Zeit zu antworten!“

Folgten Papst und Bischöfe auf dem und vor allem nach dem Konzil diesem Appell? In den letzten Jahren haben die sogenannten „korrekten Kanonisten“ die These vertreten, das kirchliche Gesetzbuch von 1983 sehe die Position der Bischöfe in etwa so, wie Reichskanzler Bismarck sie nach dem Ersten Vaticanum markiert hatte. Als Dogmatiker wurde ich mehrfach von Kirchenrechtlern gewarnt, im Anschluss an die Konzilstexte ‚Visionen‘ zu entwickeln; ‚metaphorische Ekklesiologien‘ eigneten sich nicht zur Umsetzung in das kirchliche Gesetzbuch. Wenn dem so wäre, müsste Papst Franziskus zur Umsetzung der notwendigen Dezentralisierung die nächste Codexreform in Auftrag geben! Denn erst nach entsprechenden Reformen würde das Kirchenrecht zu seiner Grundüberzeugung, die er in der Ansprache bei 50-Jahr-Feier zur Errichtung der Bischofssynode auf die Formel gebracht hat, passen: „Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet.“ Mario von Galli zufolge war es „tatsächlich ein gewisser Mangel dieses Konzils, dass man in rechtlicher Hinsicht lange nicht das gesagt hat, was man hätte sagen können.“ Nicht nur in Gesten, auch in eindeutigen Worten erinnert Papst Franziskus daran, dass es eine klare Zuordnung gibt: Die Lehre der Kirche muss dem Leben aus Glauben gerecht werden, und das Kirchenrecht hat dafür Regelungen zu finden, die schon bei ihrer Fixierung berücksichtigen müssen, dass der gelebte Glaube neue Erfahrungen und Einsichten mit sich bringt, das Recht also in bestimmter Weise immer „hinterherhinkt“. Das bedeutet z. B., dass die Kanonisten den Auftrag haben, ein Communio- bzw. Volk-Gottes-Recht zu entwickeln, anstatt der dogmatischen Interpretation des Konzils Tagträumerei vorzuwerfen und mit den gewohnten, theologisch aber überwundenen Kategorien wie societas weiter zu operieren.

Der Dienst der Kurie und der Nuntiaturen

Um Missverständnissen und einer ‚Hermeneutik des Verdachts‘ vorzubeugen: Es gibt auch in der Perspektive der katholischen Dogmatik kein ‚weltloses Wesen‘ der Kirche, Kirche war und ist vielmehr zu allen Zeiten ‚Kirche in der Welt von heute‘. Dass Kirche ‚immer schon‘ Strukturen ausbildet und ‚notwendig‘ in Strukturen lebt, hält Lumen gentium als lehramtliche Position fest. Von außen betrachtet dominieren im Erscheinungsbild der römisch-katholischen Kirche allerdings die Strukturen, die als ‚ekklesiologisch nicht notwendig‘ eingeordnet werden müssen. Kurie, Nuntiaturen, Ordinariate muss es nicht geben; sie sind deswegen zwar keineswegs generell unnütz, aber sie sind regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob sie für das Leben und die Sendung der Kirche hilfreich sind. Zu den für die Kirche konstitutiven Organen gehört auf universalkirchlicher Ebene hingegen das Kollegium der Bischöfe mit dem Papst als Haupt. Da dieser auch ohne direkte Verbindung mit dem Kollegium handeln kann, muss seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil von zwei Subjekten der universalen Kirchenleitung gesprochen werden. Hier sind, wie bereits notiert, dogmatische wie kirchenrechtliche Fragen der Zuordnung noch offen, die möglicherweise in dem vom Papst eingeläuteten Prozess Klärung erfahren.

Unstrittig müsste allerdings schon jetzt sein, dass die Kurie ein Dienstorgan ist, das den beiden für die Leitung der Gesamtkirche verantwortlichen Subjekten, dem Papst und dem Kollegium der Bischöfe (mit dem Papst als Haupt), zugeordnet ist, was im angestoßenen Reformprozess strukturell umzusetzen ist. Für die meisten Kurialen dürfte die Erinnerung an konziliare Vorgaben eine starke Herausforderung bedeuten, findet doch die ‚corporate identity‘ der Kurie bis heute ihren Ausdruck in dem Bewusstsein, am Lehr-, Gesetzgeber- und Richteramt des Papstes zu partizipieren. Für das Selbstverständnis der Glaubenskongregation impliziert das sogar eine Teilhabe am unfehlbaren Lehramt des römischen Bischofs.

Ist nun aber das Kollegium der Bischöfe – wenn auch in einer noch weiter zu klärenden Zuordnung – ebenfalls oberstes Organ der Kirche, dann hat die Kurie auch ihm gegenüber Dienstfunktion durch Zuarbeit und Entgegennehmen von Aufträgen. Die Kurie dient also den Ortskirchen nicht nur und nicht in erster Linie dadurch, dass sie Bischöfe beim Ad-Limina-Besuch instruiert, ihnen Vorgaben macht und sie kontrolliert. Vielmehr sind Kommunikations- und Entscheidungswege zu etablieren, die es dem Weltepiskopat ermöglichen, zusammen mit dem Papst die Weltkirche zu leiten, sofern und insoweit, als dies unbeschadet ihrer ortskirchlichen Verantwortung geschieht.

Dass dies auch erhebliche Konsequenzen für das Organ der Nuntiaturen haben muss, wurde ebenfalls bereits in der Konzilsaula gefordert. So trug der Benediktiner Joachim Amman, Titularbischof von Münsterschwarzach, dem afrikanischen Sprichwort „Fragen ist keine Sünde“ folgend eine deutliche Anfrage vor: „Gehört die Institution der Nuntien, Internuntien und Apostolischen Delegaten, insofern sie die ‚diplomatischen Repräsentanten des Heiligen Stuhles‘ sind, zu diesen ‚vorzüglichen und verehrungswürdigen‘ Traditionen [von denen Papst Paul VI. sprach], die keineswegs übergangen werden dürfen? … Wenn eine Schlussfolgerung gezogen werden soll, wird man sagen müssen, dass die genannten Institutionen – die ohne Zweifel zu ihrer Zeit sehr verdienstvoll waren und denen deshalb Respekt und Dank gebührt – von Grund auf neu überdacht und korrigiert werden müssen (und, soweit nötig, an jenem Sammelplatz zu deponieren wären, wo man Geschichtsakten und ehrwürdige Reliquien konserviert). Ich habe nur gefragt. Danke.“ Nur gefragt, aber dies ganz konkret: „Es sind nicht wenige, denen diese Institution, insofern sie den diplomatischen Institutionen der weltlichen Macht nachgebildet ist, heute eher zu jenen Schatten zu gehören scheint, die den Menschen unseres Zeitalters das wirkliche Gesicht der Kirche verhüllen. – Muss man nicht fragen, ob nicht die Zeit gekommen ist, die kirchlich-religiösen Aufgaben dieser ‚diplomatischen Repräsentanten‘ auf die Patriarchen, Primaten und Bischöfe zu übertragen, oder auf Männer [sic!], die von den einzelnen Bischofskonferenzen dazu erwählt werden? Derartige Männer wären viel stärker vertraut mit den Traditionen, der Kultur, der Sprache, dem Geist der einzelnen Länder, und sie würden besser in Rom, im Zentrum und Herzen der Kirche selbst, über die Lage des eigenen Landes berichten können … Zwingt uns denn irgendeine biblische oder theologische Autorität (oder die Erfahrung) dazu, dass wir meinen, größeres Vertrauen setzen zu müssen auf eine in der Diplomatenschule erhaltene Bildung denn auf die Bischöfe, die der Heilige Geist dazu bestellte, die Kirche Gottes zu leiten?“

Konzil über Papst und Kurie?

Nicht nur Kanonisten werden zu Recht kritisch nachfragen, wie denn eine Zuordnung der Kurie zu Papst und Bischofskollegium strukturiert werden könne. Dazu müsste ja im Vatikan, am Arbeitsplatz der Kurie, ständig eine repräsentative Vertretung des Weltepiskopats anwesend sein. Entsprechende Vorstellungen sind der Konziliengeschichte nicht fremd. Vor dem aktuellen Hintergrund gilt es die Auffassung neu in Frage zu stellen, die einschlägigen Beschlüsse des Konstanzer Konzils (1414–1418) seien durch den Papst so ‚kassiert‘ worden, dass sie ungültig und bedeutungslos seien. Das Konzil von Konstanz sah in der konziliaren Versammlung das oberste Organ der Kirchenleitung. Dies muss nicht gegen die Position des Zweiten Vaticanums ausgespielt werden, das – übrigens bekanntermaßen auf kurialen Druck hin – den Primat des Papstes nicht gefährdet sehen wollte. Sofern der Papst als Haupt des Kollegiums fungiert und dieses in wichtigen Fragen konsultiert, was schon das Erste Vaticanum festhielt, sind beide obersten Subjekte der Kirchenleitung wechselseitig aufeinander verwiesen. Außerdem hatte das Konstanzer Konzil „verfügt, bestimmt, entschieden und verordnet“ durch einen „für immer gültigen Erlass, dass von jetzt an Generalkonzilien in folgender Weise gefeiert werden: Das erste fünf Jahre nach Beendigung dieses Konzils, das zweite sieben Jahre danach. Von da an wird in Zukunft alle zehn Jahre ein Konzil gefeiert, und zwar an Orten, die der Papst einen Monat vor Beendigung des jeweiligen Konzils mit Billigung und Zustimmung des Konzils, oder – falls er es versäumt – das Konzil selbst bestimmen und festsetzen muss. Auf diese Weise soll in gleichsam ununterbrochener Fortsetzung ein Konzil stets entweder gerade im Gange sein oder dank des bevorstehenden Termins in Aussicht stehen.“

Konstanz muss nicht gegen Vaticanum II ausgespielt werden – eine kecke Behauptung? Restaurative Kirchenhistoriker könnten sie als verrückt bezeichnen! Schon zweieinhalb Jahre vor dem eben zitierten Dekret Frequens hatte das Konzil in seiner 5. Sitzung am 6. April 1415 in dem Dekret Haec sancta beschlossen: „Die heilige Synode von Konstanz, die ein Generalkonzil bildet und zum Lob des allmächtigen Gottes im Heiligen Geist rechtmäßig versammelt ist zur Ausrottung des gegenwärtigen Schismas, zur Verwirklichung der Einheit und Reform der Kirche Gottes an Haupt und Gliedern, ordnet an, entscheidet, bestimmt, beschließt und erklärt zur leichteren, sichereren, freieren und nützlicheren Erlangung der Einheit und Reform der Kirche Gottes: … [Die Synode] hat ihre Gewalt unmittelbar von Christus. Ihr ist jeder, unabhängig von Stand oder Würde, wäre sie auch päpstlich, in dem, was den Glauben betrifft und die Ausrottung des besagten Schismas und die allgemeine Reform der Kirche Gottes an Haupt und Gliedern betrifft, zu Gehorsam verpflichtet.“

Papst Franziskus will die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern, und er nimmt dabei die Kurie besonders ins Gericht. Diese muss ja in jedem Fall dem Konzil zu- und untergeordnet werden. Aber auch das Papstamt wird in den angezielten Prozess der ‚Synodalisierung‘ ausdrücklich hineingenommen. Das kann z. B. durch eine Integration des Hauptes (Papst Franziskus: „Ich bin der Bischof von Rom“) des Kollegiums in dasselbe umgesetzt werden, was in kommunikativer Hinsicht sichtbar und in rechtlicher Hinsicht kreativ auszugestalten wäre.

Ein „Oberster Senat“ als ‚Arbeitgeber‘ der Kurie


Dann wäre Papst Franziskus nicht so weit von der Konstanzer Generalsynode entfernt. Dieses Konzil ist freilich in verschiedener Hinsicht nicht mit dem Zweiten Vatikanischen zu vergleichen, z. B. hinsichtlich Teilnehmerzahl und Zusammensetzung. Eine „ununterbrochene Fortsetzung“ des konziliaren Prozesses könnte nur in einem Gremium geschehen, das die Gemeinschaft der Ortskirchen, wie sie im Zweiten Vaticanum präsent war, repräsentiert und zugleich arbeitsfähig ist. Ein solches Gremium kann nicht mit dem Kardinalskollegium identisch sein, und die Kurienkardinäle sollten ‚nur‘ beratend teilnehmen. Im Gremium vertreten Bischöfe aus den regionalen und kontinentalen Konferenzen, unter ihnen gewiss auch Kardinäle, die Ortskirchen und nehmen zugleich ihre universalkirchliche Verantwortung wahr.

Auch in diese Richtung haben schon Redner in der Konzilsaula argumentiert. Am deutlichsten wurde der melkitische Patriarch von Antiochien, Maximos IV. Saigh, der für die Einrichtung eines „Obersten Senats der katholischen Kirche“ plädierte. Was er gleich eingangs zur Begründung anführt, scheint aktuell wie eh und je: „Wenn man um den römischen Bischof herum und um ihm zu helfen bei seinem primatialen Dienst an der Gesamtkirche nur die Kongregationen, Tribunale und Ämter im Blick hat, die zusammen das bilden, was man gemeinhin ‚die römische Kurie‘ nennt, so scheint mir das weder den wirklichen Bedürfnissen der Kirche in unserer Zeit noch der kollegialen Verantwortung des Episkopats für die Kirche zu entsprechen. – Deshalb sei mir gestattet, eine neue Lösung vorzuschlagen, die mir den Forderungen unserer Zeit und den gesunden theologischen Prinzipien besser zu entsprechen scheint.“ Und das schwebt dem Patriarchen vor: „Es ist selbstverständlich, dass alle Bischöfe der Welt nicht andauernd zum Konzil versammelt sein können. Deshalb sollte eine beschränkte Anzahl von Bischöfen, welche ihre Kollegen repräsentieren, wieder jenes konkrete Amt übernehmen, dem Papst bei der allgemeinen Leitung der Kirche zu helfen. Es ist diese Gruppe, die das wirkliche Heilige Kollegium der Gesamtkirche bilden könnte. Es würde die wichtigsten Bischöfe der Kirche umfassen … Jenes universelle Heilige Kollegium könnte vom Papst zu einer festen Zeit zusammengerufen werden, sowie wenn das Bedürfnis empfunden wird, die allgemeinen Angelegenheiten der Kirche zu besprechen.“

Ähnlich gelagerte Vorschläge zur Einrichtung eines „ständigen Obersten Rates der Universalkirche“ kamen von Vertretern der Konzilsmehrheit. Neben den Kardinälen Liénart, König, Alfrink und Bea sprach auch Erzbischof Schäufele im Namen des deutschsprachigen Episkopats, der sogar „einen eigenen Paragraphen über den zu errichtenden Bischofsrat, in den der Papst vor allem Diözesanbischöfe als Vertreter der gesamten Weltkirche berufen sollte“, anregte. Es gab zum Teil erbitterten Widerstand seitens der Minorität, dazu Kompromissvorschläge, die in der Regel den Vorrang des Primats schützen wollten. Unter diesen Umständen kam es nicht zu einem konstruktiven Prozess; eine Abstimmung wurde gefordert, aber nicht durchgeführt, die von Kardinal Lercaro vorgeschlagene Kommission nicht eingerichtet. „Der Papst zog es vor, Kardinal Marella zu bitten, in aller Eile die Textvorlage für ein Motu proprio zu erstellen, durch das dann im September 1965 die Bischofssynode institutionalisiert wurde, ein Organ, das weit entfernt war von dem Vorschlag des Kardinals von Bologna und den Erwartungen der Konzilsmehrheit.“

Papst Franziskus hebt die Bedeutung dieser synodalen Struktur hervor und will diese in ihrer Eigenständigkeit – auch gegenüber der Kurie – fördern. Klar ist aber vermutlich auch ihm, dass es noch einer anderen Form der kollegialen Verantwortung bedarf, um einen Primat innerhalb synodaler Strukturen auszuüben, eben nicht nur im Abstand mehrerer Jahre (während deren die Kurie wieder ‚regieren‘ könnte), sondern in engem Anschluss an das ‚alltägliche Regieren‘. Auch dieses Erfordernis war auf dem Konzil schon präsent, was die von Walter Kasper vor bald dreißig Jahren formulierte Einschätzung als ‚up to date‘ bestätigt: „Mehr an Kollegialität, an Mitsprache und Mitverantwortung, ein Mehr an Durchlässigkeit der Informationen und Transparenz der Entscheidungsprozesse, als es in unserer Kirche gegenwärtig der Fall. In dieser Hinsicht sind nach dem II. Vaticanum auch nicht alle legitimen Erwartungen erfüllt worden. Nochmals: Die Rezeption des Konzils steht erst am Anfang!“

Patriarch Maximos IV. vertrat jedenfalls auf dem Konzil die Auffassung, dass das, was er das „Heilige Kollegium“ nennt, „natürlich [nicht] genügt“, denn: „Es müsste ständig in Rom das da sein, was die orientalische Kirche die ‚synodos endemousa‘ nennt, d. h. einige Mitglieder jenes apostolischen und universellen Heiligen Kollegiums, die einander ablösen, um dem Papst, ihrem Haupt, zur Seite zu sein, der auf Grund seines primatialen Rechtes immer das letzte Wort hat [wenn er es denn immer haben will, Franziskus wohl nicht!]. Hier also wird der oberste Rat der Kirche sein, die ‚Suprema‘, der entscheidende und ausführende Oberste Rat der Gesamtkirche. Alle römischen Büros müssten ihm unterstellt sein.“

In diesem Obersten Senat sieht Maximos IV. die Pluralität (= Katholizität) der Kirche gewahrt: „Da sie [die Suprema] nicht in einem in sich geschlossenen Zentrum eingesperrt sein wird, wird es ihr nicht einmal in den Sinn kommen, alles an sich reißen, alles bestimmen, alles beherrschen zu wollen [vgl. Pastor Bonus von 1988] in gleichförmiger und manchmal kleinkrämerischer Weise. Sie wird verstehen, dass die Probleme der Völker geregelt werden müssen von ihnen selbst und mit ihnen selbst, aber niemals ohne sie selbst.“

Römische Bischofssynode und die „synodos endemousa“ ließen sich auch als den großen und den kleinen („obersten“) Senat bezeichnen. „Die Probleme der Völker nicht ohne sie regeln“ bedeutet freilich auch, dass die Aufgaben der Weltkirche nicht allein durch Bischöfe (mit dem Papst) bewältigt werden können. Damit wird ein weiteres Reformelement genannt, das Kardinal Frings schon in den Konzilsdebatten angeführt hatte; es kann hier nur erinnernd angekündigt werden. „Die Probleme der Völker regeln“ erfordert nicht nur die ‚Internationalisierung‘ der Kurie, sondern auch eine repräsentative und wirksame Mitarbeit von Frauen und Männern in den kurialen Gremien, besonders da, wo sie, denen „der Weltcharakter in besonderer Weise zu eigen ist“ (Lumen gentium 31), ihre einschlägigen Erfahrungen einbringen können. Aber auch in der Synode und zumindest beratend im „Obersten Senat“ sind sie erforderlich; eine Synode zum Thema Ehe und Familie ohne ausreichende Beteiligung der am meisten ‚Betroffenen‘ darf es nicht mehr geben! Papst Franziskus könnte dem zustimmen; wollen das die Bischöfe auch? Noch einmal: Dezentralisierung betrifft nicht nur Papst und Kurie, auch wenn eine entsprechende Reform der Curia Romana ein deutliches Signal gäbe.

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