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Leseprobe 2
Ottmar Fuchs
Gewaltanfälligkeiten im Gottesglauben
Einige Aspekte zur Ent-Zwingung des Glaubens
1. Glaube als Humanisierungsfaktor?

In der christlichen Botschaft wird Gott die Allmacht zugesprochen, und sie wird auch nicht angesichts des Dilemmas abgesprochen: Wenn Gott allmächtig und gut ist, könnte er das Böse und das Leid verhindern; da er es aber nicht tut, ist er entweder nicht allmächtig oder nicht gut. Im letzten Fall will er das Leid nicht verhindern und entpuppt sich dann als Satan, der allmächtig ist und als solcher alles geschaffen hat und ganz mit Absicht das Böse und das Leid mit hineingeschaffen hat, so dass alle Schöpfungen katastrophal zugrunde gehen und dieses Zugrundegehen zugleich auch ihr Schöpfungsziel ist. Will man daran festhalten, dass der allmächtige Gott zugleich ein guter Gott ist, dann muss es einen Grund, und zwar einen guten Grund für das Böse und das Leid geben. Aber kann es das geben? In der Theologie hat man diesen guten Grund in der Freiheit der Menschen gefunden. Es muss kräftige Alternativen geben, zwischen denen sich Menschen entscheiden können, damit sie frei sind. Allerdings steht diese Freiheit unter dem Zwang, richtig zu entscheiden. Denn wer sich gegen das Gute und damit gegen den guten Gott entscheidet, fällt in die allerletzte Kombination von Bösem und Leid, in die Hölle zurück. Für die Bösen also ist Gott der vernichtende, der katastrophale Gott. So bindet man den richtigen Gebrauch der Freiheit an einen ganz bestimmten Gehorsam, der die Freiheit reduziert. Mit der hintergründigen Drohung, dass nicht nur die Bösen, sondern auch die Ungehorsamen, also die Ungläubigen überhaupt, vom Heil Gottes wenig gestreift werden.

Das Freiheitsargument ist allerdings viel zu dünn, als dass es ernsthaft zur Verteidigung Gottes aufgerufen werden könnte. Wenn es stimmen sollte, dann müsste man annehmen, dass der Himmel, wo es diese Alternative nicht mehr gibt, ein Ort der Unfreiheit wäre. Und wenn es im Himmel eine neue Freiheit eigener Art geben wird, warum hat Gott dann diesen Himmel nicht von vornherein geschaffen, in einer Schöpfung ohne Leid, ohne das Böse und ohne den Tod? Außerdem: Im Erlebensfall des Leidens reicht das Freiheitsargument nicht aus, zu sagen: Ach, Gott lässt dies alles zu, weil ihm die Freiheit des Menschen wichtig ist. Das soll man einmal einem Menschen sagen, der gefoltert wird. Der Erklärungswert der Freiheit ist weit unterhalb des Niveaus dessen, was dieses Freiheitsexperiment Gottes mit den Menschen diese (und im Christentum auch Gott) kostet.

Überhaupt ist es schon für sich ein Problem, wenn die Menschen sich einbilden, Gott verteidigen zu müssen. In der biblischen Klage wird Gott nicht entschuldigt, sondern beschuldigt (vgl. Ps 22,16). Gott gegenüber steht vielmehr die Doxologie an, die Anerkennung als Gott, als Geheimnis über die Welt hinaus, und wenn es jene anklagende Doxologie ist, die Gott auch noch einmal in der Anklage durch den leidenden und auch den schuldigen Menschen Gott sein lässt, ihn größer sein lässt als das eigene Elend und die eigene Schuld, und als solchen beansprucht und zur Rechenschaft zieht.

Die Bibel kennt kaum unwidersprochene Kausalerklärungen für dieses Dilemma: Zwar gibt es die Vorstellung, dass erlittenes Leid mit vergangener Schuld (eigener oder der der Vorfahren) zu tun hat; aber diese Vorstellungen werden auch immer wieder aufgelöst und widerlegt, so dass man daraus keine generelle Einsicht machen kann. In der Bibel begegnet uns vielmehr das Bild des leidenden Gerechten, also gerade des Menschen, bei dem es in jeder Hinsicht unergründlich, unerklärbar und unbegründbar ist, warum er leiden muss. Und dann bleibt nichts anderes, als Gott die Frage entgegenzuschleudern und die Anklage, dass er, der in seiner Allmacht für alles verantwortlich ist, einen Menschen so im Stich lässt. Die Bedingung der Klage und Anklage Gottes ist ja gerade, dass der Mensch noch an einen guten Gott glaubt, denn sonst könnte er ihn nicht in dieser Form, nämlich dass er die Not wenden möge, ins Gebet nehmen. Im Klagegebet kommt also die Beziehung zum allmächtigen Gott, der auch noch gut ist, und zum guten Gott, der auch noch allmächtig ist, in die Krise und wird darin ausgehalten. Und heute fragt man sich, warum man denn diese Spannung noch aushalten sollte, warum man nicht einen solchen Gott, möge er existieren oder nicht, lieber verabschieden müsste. Und zwar um des Menschen willen.

Die in Psalm 22 angesprochene Frage bleibt also schmerzhaft offen und kann durch keine Erklärungsmätzchen in ihrer Radikalität eingeschränkt oder gar banalisiert werden. Lässt man sich überhaupt auf keine religiöse Hoffnung ein, dann ist diese Frage gar keine Frage, weil es keinen Adressaten gibt. Das atheistische Abwürgen der Warum-Frage erscheint mir nicht viel besser als das Abwürgen dieser Frage durch scheintheologische Erklärungsversuche. Wird dort die Evolution entschuldigt, so soll hier Gott entschuldigt werden. Beides wird dem, was Menschen erleiden, nicht gerecht.

Ein Teil der Religionen reagiert auf diese Problematik derart, dass sie das Problem über das Ende der Welt hinaus verlängern, nämlich in die Spaltung zwischen Himmel und Hölle. Dadurch wird Gottes angebliches Freiheitsprojekt mit der Vernichtung beziehungsweise mit dem ewigen Leid und der ewigen Bosheit eines je nach Religion größeren oder kleineren Teils der Menschheit verbunden. Für diese Menschengruppe wird Gott zum Satan. Wo allerdings in einer Religion die inhaltliche Abgrenzung gegenüber anderen Religionen gerade darin liegt, dass das Heil gegenüber allen, auch den ganz anderen Menschen und Religionen im Sinne des Unendlichkeitsdimension der Gottesvorstellung (einschließlich seiner Prädikate) zu entgrenzen ist, ist das Leid und das Böse mit dem »guten« Gott auszuhandeln. Genau dies ist die biblische Spur. Wo das Böse aus Gott exkludiert wird, muss es auch zwischenmenschlich sortiert und exkludiert werden. Wo Gott sauber gehalten wird, muss auch die eigene Religion reingehalten werden. Mit immer wieder ebenso von solchem Glauben legitimierten wie destruktiven Folgen für die nicht Dazugehörigen.

Die an gegenwärtigen Humanitätsstandards orientierte Prämisse dürfte indes sein, dass religiöse Offenbarungstexte keine menschliche Gewalt motivieren, legitimieren und verschärfen dürfen. Das Kriterium der Menschlichkeit, wie es im besten Selbstbewusstsein menschlicher Gesellschaften mit und ohne Aufklärung vorhanden ist, ist als jener theologische Ort zu anzusehen, an dem sich die Offenbarung zu bewähren hat. Das Kriterium der Menschenwürde bleibt also ein »Zeichen der Zeit«, in dessen kritischem Horizont die christliche Botschaft und darin besonders die Bibel Autorität gewinnen oder aber an Bedeutung verlieren.

Abgesehen davon, dass humanistische Plausibilitäten zumindest zum Teil die Spiegelung der christlichen Botschaft und christlicher Existenz in der Geschichte darstellen, ist ohnehin davon auszugehen, dass nach dem Kolosserhymnus (1,16) Christus auch in der Schöpfung und damit in den kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten gegenwärtig ist und gegenwärtig sein kann. Hier wird also nicht der Zeitgeist zur Maxime über die Offenbarung erhoben, sondern von der Offenbarung (als Begegnung zwischen dem Glauben der Schrift und dem Glauben des je jetzigen Gottesvolkes) selbst her wird ein bestimmter Zeitgeist als Geist des lebendigen Gottes ausgewiesen. Derart verstärken sich die humanisierenden Anteile der Bibel im Kontakt mit den humanisierenden Anteilen der Gesellschaft und umgekehrt.
[...]


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