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Leseprobe 1
Hans-Ulrich Weidemann
»Was von Anfang an war…«
Der Streit um Christus und die Taufe in den Gemeinden der Johannesbriefe

Es ist eine Postkarte mit weitreichenden Folgen: Mittels des auf ein einziges Papyrusblatt passenden zweiten Johannesbriefes fordert »der Presbyter« seine Adressaten auf, im Falle einer Lehrdifferenz das zwischen den frühchristlichen Haus- und Ortsgemeinden geknüpfte Netz von Wandermissionaren, Boten und Briefträgern zu zerschneiden: »Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht (mit)bringt, den nehmt nicht ins Haus auf und entbietet ihm keinen Gruß« (2 Joh 10). Worum es sich bei »dieser Lehre« handelt, formuliert der Presbyter kurz zuvor: es ist das Bekenntnis zu Jesus Christus als »im Fleisch kommend« (V. 7). Wer diese Homologie nicht mitzusprechen bereit ist, dem soll weder Gastfreundschaft noch Gruß gewährt werden.

Bemerkenswert ist, dass diese als dringliche Bitte formulierte Maßnahme von zwei Rekursen auf einen »Anfang (ἀρχή)« flankiert wird: noch bevor der Presbyter mit seiner eigentlichen Bitte an die als »Herrin« angeredete Adressatengemeinde herausrückt, betont er, ihr keineswegs ein neues Gebot zu schreiben, sondern eines, das sie »von Anfang an (ἀπ᾽ ἀρχῆς)« hatte (2 Joh 5): nämlich einander zu lieben. Dieses Gebot, so wiederholt er, haben sie »von Anfang an (ἀπ᾽ ἀρχῆς)« gehört (V. 6). Da das Liebesgebot gar nicht strittig gewesen sein dürfte, ist der betonte Rekurs darauf als Teil der Briefstrategie erkennbar: Evoziert wird die Gründungsphase der Gemeinde, zugleich aber auch der individuelle Beginn des Glaubensweges eines jeden Christen mit Taufkatechese und Taufe – mit dem Ziel, diesen für die eigene Position zu reklamieren. Dem entspricht die Abqualifizierung der Gegner als »Fortschrittliche«, die nicht in der Lehre Christi »bleiben«. Der Presbyter inszeniert damit die eigene, durch das »Bekenntnis « von V. 7 formulierte Position als eine, die dem »Anfang« der Gemeinde entspricht und charakterisiert sie programmatisch als »Bleiben« (μένειν).

Diese Strategie des Presbyters scheint bis heute aufzugehen: den attackierten »Irrlehrern « wird in der wissenschaftlichen Exegese des Textes »Neuerungssucht« unterstellt und die Auffassung, man müsse »über die Anfänge hinauskommen«. Die Gegner wollten – was im kirchlichen Kontext immer schlecht ankommt – »den überlieferten Glaubensgrund verlassen (die ›Lehre Christi‹) und eine veränderte/neue Lehre in die Gemeinschaft hineinbringen«. Bei einer solchen unkritischen Übernahme der Perspektive des Briefautors wird zu wenig beachtet, dass der Rekurs auf das, »was von Anfang an war«, zunächst Konsens mit den Adressaten herstellen, zugleich aber den »Anfang« für die eigene Position in Beschlag nehmen soll. Insbesondere mit dem 1 Joh hat der Verfasser dieses Anliegen zu einer umfassenden Operation ausgebaut. Der wiederholte Rekurs auf den »Anfang« in diesem Schreiben zeigt, dass gerade jener den Gegnern streitig gemacht werden musste. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass die Reklamierung des Anfangs für die eigene Position das Ziel, nicht der Ausgangspunkt der Operation ist.

Gerade der 2 Joh zeigt aber auch, dass Konflikte nie nur eine inhaltlich-diskursive Seite haben. Die ganz konkreten Maßnahmen, zu denen der Presbyter hier seine Adressaten aufruft, erinnern uns daran, dass die Krise in Raum und Zeit ausbrach, vor allem aber, dass sie sich sowohl innerhalb sozialer und frühkirchlicher Strukturen als auch in persönlichen und kollektiven Formationen abspielte und wiederum auf diese zurückwirkte.

Daher ist es eine glückliche Fügung, dass neben dem großen 1 Joh auch die beiden kleinen Johannesbriefe ihren, wenn auch zuweilen steinigen Weg in die Kanonverzeichnisse der allermeisten christlichen Kirchen fanden. Anstatt diesen Umstand durch eine Überprüfung ihrer Nähe zum »ursprünglichen Christusgeschehen« erneut anzufragen, nehmen wir sie im Folgenden zur Hilfe, um die ekklesiale Einbindung jener Gruppen zu rekonstruieren, in denen der Konflikt um die »richtige« Formulierung des Christusgeschehens ausbrach. Denn die Tatsache, dass sie im Kanon den 1 Joh flankieren, zeigt nicht nur, in wessen Windschatten sie dort hineingekommen sind, sondern erinnern auch an die Wechselwirkung zwischen christologischem Dissens und kirchlichem Zusammenleben. So ist die Behauptung des Briefautors, seine Position sei schlicht mit dem identisch, »was von Anfang an war«, als eine von mehreren Positionen in einem urchristlichen Konflikt erkennbar, deren Berechtigung erst noch zu erweisen ist.

1. »Freunde« und Ekklesien: zur ekklesialen Situation

Aus den beiden kleinen Johannesbriefen lässt sich zumindest umrisshaft erkennen, dass wir im Falle der johanneischen Christen mit einer komplexen ekklesialen Gemengelage rechnen müssen. Grundlegend ist dabei die sich v.a. aus dem 3 Joh, aber auch dem 2 Joh ergebende Einsicht, dass die johanneisch geprägten Christen einerseits als eine eigene Gruppe mit klarem theologischen wie sprachlichen Profil erkennbar sind, dass diese andererseits aber offenbar mit Christen anderer Prägung in unterschiedlichen Formen des Austausches standen. Der im Folgenden dargestellte Befund der kleinen Johannesbriefe spricht gegen die Annahme eines isolierten »johanneischen Gemeindeverbandes « (J. Becker), aber auch das Gegenmodell von »innerkirchlichen Sondergruppen « (G. Theißen) erfasst den Befund nicht vollständig.

1.1 Der Presbyter

Der Verfasser der beiden kleinen Johannesbriefe bezeichnet sich selbst als »der Presbyter (ὁ Πρεσβύτερος)«. Weitere Attribute fehlen, zudem ist der Artikel auffällig. Da nicht zu erkennen ist, dass der Presbyter Teil eines Kollektivs von Presbytern (»Presbyterium«) ist, handelt es sich offenbar um eine individuelle, bei den jeweiligen Adressaten auch anerkannte, personengebundene Würdebezeichnung. Dass sein Anspruch die einzelne Ekklesia übersteigt, wird schon darin manifest, dass er mittels des 2 Joh einer anderen Ekklesia Ratschläge gibt bzw. Anweisungen erteilt; vor allem dokumentieren dies die drei Besuchsankündigungen in 2 Joh 12, in 3 Joh 10 sowie in 3 Joh 14.

1.2 Gaius und die »Freunde«

Der Presbyter wendet sich mit dem 3. Johannesbrief an Gaius, den er als eines »meiner (!) Kinder«, »die in der Wahrheit wandeln«, anredet (3 Joh 4). Bei Gaius handelt es sich also wohl um eine Art Schüler des Presbyters, der allerdings im Unterschied zu seinem Lehrer ortsgebunden zu sein scheint. Denn Gaius, der Name lässt auf einen Heidenchristen schließen, ist Hausbesitzer (V. 6.8). Weil er an ihm fremden Missionaren Gastfreundschaft erweisen hat, wird er in der Ekklesia des Presbyters gerühmt (3 Joh 5–8). Gaius wiederum gehört zu einem ortsansässigen Kreis von »Freunden« (3 Joh 15: φίλοι), die der Presbyter namentlich grüßen lässt, die also mit ihm und den um ihn versammelten »Freunden« verbunden sind. Er hat die Boten des Presbyters also deswegen aufgenommen, weil sie vom Presbyter kamen. Ob Gaius der Leiter einer »Hauskirche « ist, ist umstritten.

1.3 Ein doppeltes Zeugnis für Demetrios

Der 3 Joh ist zunächst ein Empfehlungsbrief für Demetrios (3 Joh 12), der ihn vermutlich überbringt. Dem Gaius versichert der Presbyter nun, »alle« hätten diesem Demetrios das Zeugnis ausgestellt (μεμαρτύρηται ὑπὸ πάντων). Vom Zeugnis »aller « hebt er dann aber das Zeugnis seiner eigenen Gruppe explizit ab (καὶ ἡμεῖς δὲ μαρτυροῦμεν). Diesem Zeugnis wird besonderes Gewicht beigelegt, indem nur hier spezifisch johanneisches Formelgut Anwendung findet. Diese Unterscheidung ist aufschlussreich: Demetrios ist offensichtlich von zwei Gruppen autorisiert, die in seinem Falle im Konsens handeln: von »allen« (πάντες), womit doch wohl die in 3 Joh 6 genannte Ekklesia gemeint ist, und von der Gruppe des Presbyters (καὶ ἡμεῖς), also von den um diesen versammelten »Freunden«, deren Grüße er dem Gaius und den dortigen »Freunden« ausrichtet (3 Joh 15).

Die Ekklesia und die »Freunde« sind also nicht identisch. Wenn der Presbyter in 3 Joh 6 dem Gaius allerdings berichtet, dass zurückkehrende Missionare »vor der Ekklesia Zeugnis ablegten« für dessen Gastfreundschaft, dann deutet das darauf hin, dass der Presbyter und sein Kreis in ihrer Ekklesia eine unbestrittene Stellung einnahmen und sie vermutlich theologisch prägten. Ob der Presbyter diese Ekklesia im Sinne eines Gemeindeleiters dauerhaft leitete, ist ungewiss, vermutlich spricht seine Reisetätigkeit dagegen.

1.4 Diotrephes und seine Ekklesia

Der Presbyter berichtet nun dem Gaius empört, dass Brüder in der Ekklesia, in der ein gewisser Diotrephes »der Erste sein will«, keine gastliche Aufnahme fanden – und das obwohl (oder weil?) sie offenbar einen Brief des Presbyters mit sich führten (3 Joh 9). Indem Diotrephes aber die Brüder nicht aufnimmt (3 Joh 10), »nimmt er uns nicht auf« (3 Joh 9)! In den Bahnen des antiken Gastrechts versteht der Presbyter die Ablehnung seiner Boten als Ablehnung seiner selbst – vermutlich hat dies auch Diotrephes so gesehen!

Ganz umstritten ist, ob Gaius zur Ekklesia des Diotrephes gehört. Dagegen spricht zunächst die Formulierung des Presbyters, Diotrephes wolle »unter ihnen der Erste sein« (3 Joh 9: ὁ φιλοπρωτεύων αὐτῶν). Da hier nicht »unter euch« steht, erstreckt sich der Anspruch des Diotrephes offenbar nicht auf Gaius. Außerdem muss dieser vom Presbyter erst über den Konflikt (und auch über Diotrephes) informiert werden. Andererseits rät die Formulierung von V. 9 doch zur Vorsicht: wenn der Presbyter erwähnt, er habe der (!) Ekklesia etwas geschrieben, so erhält man den Eindruck, es handle sich um die Ekklesia, der Gaius angehört hat oder angehört. Zumindest muss Gaius die Ekklesia so gut gekannt haben, dass er sie bei ihrer bloßen Erwähnung zu identifizieren vermag.

War mit »Ekklesia« in 3 Joh 6 eine konkrete Versammlung bezeichnet, so dürfte dieser Terminus in 3 Joh 9 f. bereits als Gruppenbezeichnung verwendet werden. Wichtiger ist die Frage, ob mit Ekklesia eine »Hausgemeinde« oder eine aus mehreren Hausgemeinden zusammengesetzte »Ortsgemeinde« gemeint ist, wie sich also Ekklesia und »Haus« (οἰκία 2 Joh 10) zueinander verhalten. Aus 3 Joh 10 ist aber zu schließen, dass zumindest zur Ekklesia des Diotrephes auch Christen gehörten, die selbst Häuser besaßen, in denen sie durchreisende »Brüder« beherbergen konnten. Das könnte darauf hindeuten, dass es sich bei der Ekklesia um eine Föderation von Hausgemeinden handelt, innerhalb derer Diotrephes über seine eigene Hausgemeinde hinaus Einfluss besitzt.

Nun ist der Presbyter zwar nicht erfreut über das Verhalten des Diotrephes, allerdings spricht er ihm weder den Glauben noch die Autorität ab, auch wenn er ihm üble Nachrede und ungerechte Disziplinarmaßnahmen vorwirft (3 Joh 10). Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Diotrephes vom Presbyter zu den im 1 Joh und 2 Joh anvisierten Gegnern gerechnet wird; er gehört aber offensichtlich auch nicht zum johanneischen Freundeskreis. Immerhin geht der Presbyter davon aus, auch in der Ekklesia des Diotrephes Sympathisanten zu haben, die seine Boten aufnehmen, wie es auch Gaius getan hat. Auffällig ist auch die Selbstsicherheit, mit der der Presbyter davon ausgeht, dass sein persönliches Erscheinen in der Ekklesia des Diotrephes den Konflikt zu seinen Gunsten entscheiden wird (3 Joh 10).

1.5 Die »Herrin« und ihre Kinder

Das aus dem 3 Joh gewonnene Bild kann durch den 2 Joh bestätigt und ergänzt werden. Mit dem 2 Joh wendet sich der Presbyter an eine als »auserwählte Herrin (ἐκλεκτὴ κυρία)« angeredete Adressatengemeinde, der er zugleich einen persönlichen Besuch ankündigt. Hintergrund ist der oben skizzierte christologische Konflikt. Das Wort Κυρία, mit dem der Presbyter in 2 Joh 1 (κυρία ἐκληκτή) und 5 (κυρία) seine Adressatengemeinde anredet, gehört ebenfalls zum Wortfeld ἐκκλησία: die κυρία ἐκκλησία ist nicht nur eine regel- und rechtmäßige Ekklesia, sondern auch eine herausgehobene unter den regelmäßigen Ekklesien. Sie kann auch einfach ἡ κυρία heißen und dürfte daher in 2 Joh als Ehrenbezeichnung fungieren.

Vermutlich benutzt der Presbyter diesen Begriff für einen Verband mehrerer (Haus-) Ekklesien (»Ortskirche«), dies bleibt aber letztlich ebenso unentscheidbar wie die Frage, ob sich das Verbot, die gegnerischen Wandermissionare ins Haus (εἰς οἰκίαν) aufzunehmen, auf die »Hauskirche« oder auf Häuser von Gemeindemitgliedern bezieht. Wenn der Presbyter am Ende seines Briefes die Grüße »der Kinder deiner auserwählten Schwester« bestellt (2 Joh 13), dann bezieht er damit die Ehrenbezeichnung »Herrin « indirekt auch auf die eigene Ekklesia. Wie im Falle der Autorisierung des Demetrios zeigen diese Grüße, dass der Presbyter und sein Kreis in der eigenen Ekklesia eine unangefochtene Stellung einnahmen und auch in ihrem Namen auftreten konnten.

1.6 »Diejenigen, die in der Wahrheit wandeln«

Im 2 Joh fällt nun eine auch im 3 Joh belegte Selbstbezeichnung ins Auge: »Diejenigen, die in (der) Wahrheit wandeln« (οἱ περιπατοῦντες ἐν [τῇ] ἀληθείᾳ: 2 Joh 4; 3 Joh 3 f.). Der Terminus »die Freunde« (3 Joh 15: οἱ φίλοι) ist als Bezeichnung des engsten Kreises um Jesus auch im Johannesevangelium belegt. Die Wendung »Diejenigen, die in der Wahrheit wandeln« ist dagegen »eine Stileigentümlichkeit der beiden kleinen Johannesbriefe«, was damit zusammenhängen dürfte, dass sich diese beiden Schreiben im Unterschied zum 1 Joh ad intra wenden, also an Adressaten, die der Presbyter als auf seiner Seite stehend ansieht. Zu diesen beiden Selbstbezeichnungen sind vermutlich auch noch »Mitarbeiter an der Wahrheit« (3 Joh 8: συνεργοὶ τῇ ἀληθείᾳ) und »Die, die die Wahrheit erkannt haben« (2 Joh 1: οἱ ἐγνωκότες τὴν ἀλήθειαν) hinzuzuziehen.

Aus 2 Joh 4 geht nun klar hervor, dass die angeschriebene Ekklesia mit »denen, die in der Wahrheit wandeln« nicht deckungsgleich ist: der Presbyter äußert seine Freude darüber, »unter deinen Kindern solche gefunden zu haben, die in der Wahrheit wandeln « (2 Joh 4). Das muss nicht unbedingt eine Kritik am Rest der Ekklesia implizieren; deutlich ist ja zunächst, dass der Presbyter offenbar Grund zur Annahme hat, innerhalb der angeschriebenen Ekklesia über eine Reihe von Anhängern zu verfügen, auch wenn diese »nur eine Teilmenge« aus ihr bilden. Wichtig ist: es ist der Presbyter selbst, der darüber entscheidet, wer »in der Wahrheit wandelt«, das spricht klar für einen von ihm dominierten Kreis. Der 2 Joh zeigt aller Wahrscheinlichkeit nach, dass in der angeschriebenen Ekklesia die Anhänger des Presbyters unbestritten und respektiert waren, vielleicht auch die Mehrheit stellten – im Unterschied zur Ekklesia, in der Diotrephes der Erste sein will.

1.7 Freundeskreis und Ekklesien

Tragen wir abschließend die Daten von 2/3 Joh zusammen, so ergibt sich ein plausibles Gesamtbild. Zunächst muss man die Ekklesien von dem eigentlichen Kreis um den Presbyter (»Freunde«) unterscheiden und in Anschlag bringen, dass das Verhältnis von Ekklesia und »Freundeskreis« jeweils verschieden ist. Die Ekklesia, von der aus der Presbyter den 2 Joh und wohl auch den 3 Joh schreibt, kann man als »die johanneische Ekklesia« bezeichnen, denn der Presbyter tritt in 2 Joh 1/13 als deren Repräsentant auf. Hinzu kommt, dass die mit ihm in enger Verbindung stehenden Boten bei ihrer Rückkehr ἐν ἐκκλησίᾳ die Gastfreundschaft des Gaius rühmen (3 Joh 6) und dass die Gesamt-Ekklesia (»alle«) Demetrios ein gutes Zeugnis ausstellt und ihn so legitimiert (3 Joh 12). In dieser Ekklesia wird vielleicht das Johannesevangelium liturgisch gelesen und als Gemeindebuch bearbeitet, hier wurden auch schon seine Quellenschriften überliefert. In den beiden anderen noch erkennbaren Ekklesien bilden die johanneischen Christen inner-ekklesiale Gruppen, die bald einen guten (2 Joh), bald einen schlechten (3 Joh) Stand haben.

Für diese (und vermutlich andere Ekklesien desselben Gebietes) dürfte Gerd Theißens Annahme von para-ekklesialen »Freundeskreisen«, also innerkirchlichen Sondergruppen, die untereinander eng vernetzt waren, zutreffen, sie muss allerdings im obigen Sinne modifiziert werden, da die kleinen Briefe unterschiedliche Konstellationen belegen.

Ganz entschieden gegen Jürgen Beckers Annahme eines in relativer Isolation befindlichen und ausschließlich »johanneisch« geprägten Gemeindeverbandes spricht ein von ihm selbst genanntes Argument, stellt er doch verwundert fest, dass wir »keine außerjoh Hinweise auf die Existenz joh Gemeinden« besitzen. Der Grund dürfte darin zu suchen sein, dass es einen isolierten »johanneischen Gemeindeverband« nie gab. Die aus der Synagoge ausgeschlossenen johanneischen Judenchristen dürften vielmehr in anderen, nichtjohanneischen Ekklesien Zuflucht gefunden und dort theologisches wie missionarisches Wirken entfaltet haben. Darauf deutet auch hin, dass »Ekklesia« eigentlich kein spezifisch johanneischer Begriff ist, zugleich aber ganz selbstverständlich gebraucht wird. Ein weiteres Argument gegen die Hypothese eines eigenständigen joh Gemeindeverbands ist das fast vollständige Fehlen kirchlicher Amtsstrukturen, das sich bei einer »para-ekklesialen«, auf charismatische Lehrer und Autoritätspersonen ausgerichteten Sondergruppe leicht erklären lässt.

Exkurs: Wie kamen die johanneischen »Freunde« in die Ekklesien?

Die Ursprünge des »johanneischen Christentums« liegen unbestritten im Judentum, vermutlich im Zusammenhang der frühen judenchristlichen Mission in hellenistischen Synagogen.

Die entscheidende Zäsur, die in zentralen Partien des nach 70 n. Chr. entstandenen vierten Evangeliums verarbeitet wird, stellt der Synagogenausschluss dar, eine spezifisch johanneische, korporative, aber wohl regional begrenzte Erfahrung des Ausschlusses aus der religiösen und sozialen Heimat. Da sich im vierten Evangelium »johanneische « Judenchristen von anderen »glaubenden Juden« unterscheiden lassen, die im Synagogenverband verbleiben, traf der Synagogenausschluss also nur »johanneisch« gesinnte Judenchristen.

Der weitere Weg dieser ausgestoßenen Judenchristen liegt für uns zunächst im Dunkeln. Eine Reihe von Textsignalen weist laut Jürgen Becker darauf hin, dass die Gruppe »den völkerchristlichen Weg« wählte, also sich »in den Hauptstrom der derzeitigen Entwicklung des Christentums« integrierte, was sich noch im vierten Evangelium niedergeschlagen hat. Insbesondere der vierte Evangelist als Verfasser der literarischen Hauptschicht des Buches stellt sich der Aufgabe, sowohl die eigene »kirchliche Identität abseits der Synagoge« zu entwerfen, als auch den völkerchristlichen Weg seiner Gruppe zu legitimieren.

Doch wie sah die soziale und ekklesiale Seite dieser »völkerchristlichen Orientierung « aus? Von dem oben skizzierten Befund der Johannesbriefe her ist davon auszugehen, dass die johanneischen Judenchristen in anderen, wohl schon mehrheitlich heidenchristlichen Ekklesien Aufnahme fanden und bald Teil dieser Ekklesien wurden. Diese befanden sich vermutlich in paganer Umgebung. Die Einbindung der johanneischen Judenchristen in nichtjohanneische Ekklesien zeigt, dass sie andere Formen des Christentums als legitim anerkannten und auch (teilweise) anerkannt wurden. Andererseits gingen sie keineswegs in diesen Ekklesien auf, sondern bewahrten sich ihre Gruppenidentität, nicht zuletzt durch die Produktion des eigenen Schrifttums. Sie bildeten innerhalb der Ekklesien interne Kreise (»Freunde«), die quer zu den Ekklesien untereinander Kontakt und Gemeinschaft hielten. Außerdem pflegten sie die eigenen Lehr- und Schultraditionen und entwickelten sie weiter. Sie missionierten auch selbst und rekrutierten »Freunde« unter Heiden (wie z. B. Gaius).

Diese Verankerung in heidenchristlichen Ekklesien wie auch das Hinzukommen von Heidenchristen zum »Freundeskreis« dürfte nun aber Folgen für die interne theologische Entwicklung des Kreises gehabt haben. Es liegt daher nahe, die Wurzeln für die in den Johannesbriefen erkennbare Krise (s. u.) in dieser Entwicklung zu sehen. Einer der Hauptfaktoren dürfte also die jüngere »völkerchristliche« Geschichte des Kreises und seine damit einhergehende soziale Veränderung sowie das Verschwinden der antijüdischen Front des Evangelisten sein. Klar ist, dass die aus den hellenistischen Heimatsynagogen des joh Kreises »mitgebrachten« joh Theologoumena sowie dann die im Evangelium überlieferten Textkomplexe in neue Kontexte gestellt und auch von Christen mit anderem »background« rezipiert und transformiert wurden.

2. »Von uns sind sie ausgegangen«: Der Konflikt

2.1 Die Spaltung des Kreises


Vor dem Hintergrund der geschilderten sozialen und ekklesialen Situation ist nun der in den Johannesbriefen erkennbare Konflikt zu rekonstruieren, der zu einer Zeit ausbrach, in der die johanneischen »Freunde« schon längst Teil von »völkerchristlich orientierten « Ekklesien waren (s. o.) und sich ihnen weitere Heidenchristen angeschlossen hatten. Unsere Informationen sind dürftig, aber dennoch wird Folgendes erkennbar:

(1.) Die Briefe lassen eine zunächst interne Krise des johanneischen Kreises erkennen, Hinweise auf Fremdmissionare oder auf Verfolgung fehlen. Auf den Vorgang schaut der 1 Joh wie der 2 Joh bereits zurück, beide Briefe reagieren auf ihn. »Von uns sind sie ausgegangen«, schreibt der Verfasser des 1 Joh, viermal klingt das offenbar schockierende ἐξ ἡμῶν durch das Satzgefüge von 2,19. »Wir«, das sind aller Wahrscheinlichkeit nach die joh »Freunde« selbst. Nicht leugnen kann der Autor die vorausliegende gemeinsame Geschichte, die längere Phase des Miteinanders in ein und derselben Gemeinschaft und vermutlich die gemeinsame religiöse Überlieferungsbasis (das vierte Evangelium, zumindest in seinem Grundbestand), auch wenn er diese gemeinsame Geschichte explizit bestreitet: Zwar »sind sie von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns. Denn wenn sie von uns gewesen wären, wären sie bei uns geblieben« (2,19). Auch in literarisch jüngeren Partien des Johannesevangeliums dürfte diese interne Krise noch Spuren hinterlassen haben.

(2.) Weiter ist zu erfahren, dass sich die »Sezessionisten« verhalten wie vor dem Bruch, d.h. sie suchen Ekklesien auf, sie verkündigen – und sie haben wohl auch Erfolg (1 Joh 2,8, 4,5; 2 Joh 7). Damit stellt sich das Problem, dass die Adressaten von »ihnen« überzeugt werden könnten, anstatt »auf uns zu hören« (1 Joh 4,4–6). Erst durch die oben gewonnene Einsicht, dass es neben den beiden »innerjohanneischen« Konfliktparteien noch andere Christen gibt, wird das Dilemma des Presbyters erkennbar. Es ist zudem zu befürchten, dass die »Sezessionisten« die gesamte johanneische Traditionslinie diskreditieren und so auch den Presbyter und seinen Kreis in den Ekklesien in Verruf bringen.

(3.) Die Anweisung an die »Herrin« in 2 Joh 7 und jene Passagen der Briefe, die den Konflikt direkt thematisieren (1 Joh 2,18–27; 4,1–3; 5,5–8 sowie 2 Joh 7–11), zeigen, dass die Einheit des johanneischen »Freundeskreises« über einem christologischen Konflikt zerbrochen ist. Allerdings ist die genauere Bestimmung des Konfliktpunkts – und damit auch die Rekonstruktion der Position der anvisierten Gegner – ein schwieriges Unterfangen, da die direkt kontroversen Formulierungen unklar bleiben und erst geklärt werden muss, wie weit die Polemik der Johannesbriefe reicht.

2.2 »Im Wasser allein?« Der Inhalt des Konflikts

Wir nähern uns der Frage durch eine Analyse des christologischen Formelguts in den Johannesbriefen. Überblickt man dieses Formelgut in 1/2 Joh, so lassen sich zwei Gruppen unterscheiden:

(1.) Einmal finden wir zwei Formeln, die nicht spezifisch johanneisch sind, sondern die die Joh-Briefe mit anderen frühchristlichen Traditionen teilen: Es handelt sich dabei um die beiden Formeln:
- »Jesus ist der Christus« (1 Joh 2,22; 5,1)
- »Jesus ist der Sohn Gottes« (4,15; 5,5).

(2.) Hiervon zu unterschieden sind Formeln, die ausschließlich in 1/2 Joh belegt sind, für die sich also keine direkten Parallelen in anderen urchristlichen Texten finden lassen. Diese lauten:
- »Jesus Christus (ist) im Fleisch gekommen«.
- »Dieser ist es, der durch Wasser und Blut gekommen ist, nicht allein im/durch Wasser, sondern im Wasser und im Blut«.

In diesen spezifisch johanneischen Formeln geht es um das »Kommen« (ἔρχεσθαι) Jesu Christi, also sein Heilshandeln. Dieses erfolgt ἐν σαρκὶ bzw. ἐν τῷ ὕδατι καὶ ἐν τῷ αἵματι. In diesen Formeln ist also das aus dem johanneischen »Soziolekt« stammende christologisch-soteriologische ἔρχεσθαι um das modale ἐν σαρκί bzw. ἐν τῷ ὕδατι καὶ ἐν τῷ αἵματι ergänzt. Das ἔρχεσθαι Jesu kann dabei im Aorist (1 Joh 5,6), im Perfekt (4,2) oder im Präsens stehen (2 Joh 7).

Bemerkenswert ist zunächst, dass diese beiden Formelgruppen auf christologischer Ebene sozusagen die oben rekonstruierte ekklesiale Situation widerspiegeln, was deren Plausibilität erneut bestätigt: Formeln, die von allen in den Ekklesien geteilt werden, stehen Formeln gegenüber, die sich offenbar im Inneren der johanneischen »Freundeskreise « entwickelt haben und über die es dann innerhalb des Kreises zur Spaltung gekommen ist.

Hat man die beiden Aussagenreihen voneinander unterschieden, stellt sich die für die Interpretation der Johannesbriefe entscheidende Frage, wo genau der Konflikt zu verorten ist, wo genau also die christologische Demarkationslinie zwischen den gegnerischen Lagern verläuft. Die Antwort, die der Verfasser des 1 Joh gibt, ist eindeutig und zugleich verdächtig: die »von uns weggegangenen« Gegner leugneten nicht nur die zweite, sondern auch die erste der Aussagenreihen. So in 2,22: Ein Lügner und Antichrist sei, wer leugne, »dass Jesus der Christus ist«. Das Stichwort »Antichrist« verbindet 1 Joh 2,22 mit 4,1–3 und 2 Joh 7; so insinuiert der Autor, dass seine Gegner jeden christologischen Konsens aufgekündigt haben, was sogar den »Abfall« vom Basisbekenntnis »Jesus ist der Christus« impliziert.

Aus 1 Joh 2,22 schließt jüngst beispielsweise Udo Schnelle, die Gegner leugneten aus Sicht des Briefschreibers »die soteriologische Identität zwischen dem irdischen Jesus und dem himmlischen Christus«. Dies zeige ihre »doketische« bzw. »monophysitische« Christologie. Dass Schnelle für 4,1–3 dann einen leicht anders gelagerten Konflikt annehmen muss, macht diese Konstruktion noch unplausibler.

Daher tun wir gut daran, dem Verfasser bei dieser Inszenierung seiner Gegner nicht allzu unbesehen zu folgen. Offensichtlich sollen diese auch in den Augen möglicher »nichtjohanneischer« Adressaten als Apostaten und »Antichriste« diskreditiert werden. Denn wenn die Gegner tatsächlich von den unter (1.) genannten christologischen Grundaussagen »abgefallen« wären, hätte es genügt, die Aufnahme in die Häuser bzw. in die Hausgemeinden an dieses allgemein-christliche Grundbekenntnis zu binden. Doch fordert der Presbyter in 2 Joh 7–11 von der von ihm angeschriebenen Ekklesia, gerade jenen Wandermissionaren Gastfreundschaft und Gruß zu verweigern, die nicht eine Lehre mitbringen, die das explizite Bekenntnis zu Jesus Christus als im Fleisch kommend enthält. Es ist also präzise das Kommen Jesu Christi ἐν σαρκί, das zur Debatte steht; das Bekenntnis zu dieser Aussage entscheidet über Aufnahme oder Ablehnung. Für den Briefautor impliziert die Ablehnung dieser Formel zugleich die Leugnung der anderen – was dem Selbstverständnis der Gegner doch wohl nicht entsprochen hat.

Es darf also stark bezweifelt werden, ob die Gegner das Bekenntnis »Jesus ist der Christus« ebenso wie »Jesus Christus ist der Gottessohn« offen verworfen haben. Methodisch ist es demnach geboten, den Konfliktpunkt wie auch die Position der Gegner zunächst von den umstrittenen Aussagen her zu rekonstruieren – und eben diese sind zugleich die spezifisch johanneischen, d.h. nur in den Johannesbriefen belegten Aussagen.

2.3 »Gekommen im Wasser«: Die mutmaßliche Position der Gegner

Bei der Rekonstruktion der mutmaßlichen Position der Gegner sind die folgenden methodischen Parameter in Anschlag zu bringen: da wir einen Konflikt innerhalb des johanneischen Kreises vor uns haben (s. o.), ist es geboten, die vom Verfasser der Johannesbriefe angegriffene gegnerische Position »unter johanneischen Vorzeichen« zu rekonstruieren. Die Positionen der Gegner müssen sich also m.E. von johanneischen Texten (also dem vierten Evangelium als dem mutmaßlichen gemeinsamen Bezugspunkt) her erklären lassen. Denn nur so kann man tatsächlich versuchen, die gemeinsame Basis von Briefautor und Gegnern zu rekonstruieren, die das Dilemma des ersteren deutlich macht.

Was war also die christologische Position der Gegner? Aus 2 Joh 7 wird klar, dass die Gegner das Bekenntnis zu Jesus Christus als im Fleisch Gekommenen nicht mitsprechen können. Noch aufschlussreicher ist 1 Joh 5,6–8, denn hier formuliert der Autor nicht nur seine eigene Grundüberzeugung (Jesus Christus, gekommen durch Wasser und durch Blut), sondern hier scheint auch noch die Position der Gegner, vielleicht gar deren Formulierung durchzuschimmern: gekommen im/durch Wasser (ὁ ἐλθών ἐν τῷ ὕδατι). Diese Position teilt der Autor des 1 Joh, er hält sie aber für unvollständig.

Für eine historische Auswertung des Befundes von 1 Joh 5,6 gibt es nun zwei Möglichkeiten: Entweder setzt der Wortlaut der »rechtgläubigen« Formel (»Gekommen in Wasser und in Blut!«) die »gegnerische« (»Gekommen im Wasser [allein]!«) voraus, dann ist diese die ältere und mit jener reagiert der Kreis um den Presbyter auf sie. In diesem Fall hätte also ein Teil der johanneischen »Freunde« die Christusprädikation »Der im/durch das Wasser Gekommene« formuliert, dann aber die vom Kreis um den Presbyter als unbedingt notwendig angesehene Erweiterung dieser Formel mit »… und durch das Blut (καὶ ἐν τῷ αἵματι)« bzw. ihre Transformation in »Der im Fleisch Gekommene (ὁ ἐλθὼν ἐν σαρκί)« explizit bestritten.

Wahrscheinlicher ist aber, dass erst der Presbyter im Zuge einer internen Diskussion die Position seiner Gegner in die genannte Formel goss und sie damit – im Vergleich zu seiner eigenen Formel – als christologisch defizitär bzw. deviant charakterisierte. Vermutlich hat er mit diesem Manöver eine ursprüngliche Auseinandersetzung um die sündenvergebende Wirkung der Taufe zu einem christologischen Streit verschärft (s.u.). In diesem Falle läge die sprachliche »Innovation« auf Seiten des Presbyters vor, seine explizite Betonung von »Fleisch« und »Blut« des Christus und seine über das vierte Evangelium hinausgehende Verbindung von Kreuzestod und Sündenvergebung hätte dann die Spaltung des Kreises verursacht oder zumindest beschleunigt und zementiert.

Fragt man zunächst, worauf die den Gegnern zugeschriebene Formel anspielt, so wird man durch das Stichwort »Wasser« unwillkürlich auf die »Taufe« gelenkt. Nun wird sich die Wendung ἐν τῷ ὕδατι auch auf die Taufe der Gläubigen beziehen (i. S. v. »Jesus Christus kam zu uns durch unser Taufwasser«), doch dürfte zunächst die Taufe Jesu im Blick sein. Anders als in den synoptischen Evangelien wird eine Wassertaufe Jesu durch Johannes den Täufer im vierten Evangelium zwar nicht erzählt, war aber im joh Kreis sicher bekannt. Zu Beginn des Evangeliums findet sich immerhin dreimal die Wendung ἐν ὕδατι – bezogen auf die Tätigkeit Johannes des Täufers. Bei der Schilderung der Begegnung Jesu mit Johannes stehen in Joh 1,29–34 dann aber ganz die Herabkunft des Geistes und sein Bleiben auf Jesus im Fokus. An diesem visionären Vorgang erkennt der zum Taufen ἐν ὕδατι gesandte Johannes Jesus als den Geisttäufer (1,32 f.) und Gottessohn (1,34), und er identifiziert ihn als das Gotteslamm (1,29.36). Vom Geistempfang Jesu, einem Fundamentaldatum johanneischer Christologie, sprechen weitere wichtige Texte des vierten Evangeliums. Weil der irdische Jesus Geistträger ist und weil »der Geist lebendig macht« (6,63), sind seine Worte »Geist und Leben « (6,68).

Wenn die vom Briefautor attackierten Gegner demnach meinten, Jesus Christus sei »im« bzw. »durch das Wasser« gekommen, dann werteten sie die Taufe Jesu offenbar als christologisches und ihre eigene Taufe als soteriologisches Grunddatum. Dass sie gerade nicht formulierten: »Der im/durch den Geist Gekommene (ὁ ἐλθών ἐν τῷ πνεύματι)«, könnte darauf hindeuten, dass sie Χριστός und πνεῦμα eng miteinander assoziierten bzw. identifizierten.

Vor allem aber wird durch das Stichwort »Wasser« Jesu Taufe mit der Taufe der Gläubigen parallelisiert: jener »kam im Wasser«, diese werden »aus Wasser und Geist geboren« (Joh 3,5). Durch Jesu Heilshandeln wird das (Tauf)Wasser zum entscheidenden soteriologischen Medium. Die vom vierten Evangelisten noch in soteriologischer Absicht evozierte Analogie zwischen Christus und dem Getauften wurde vermutlich von den Gegnern des Briefautors in Richtung einer Taufchristologie neu gewichtet: hatte der Evangelist die Taufe der Gläubigen mit Parametern aus der Präexistenz- Christologie soteriologisch als Neugeburt formuliert, so glichen die Gegner des Briefautors umgekehrt die Christologie an eine exklusiv auf Taufe und Geistbegabung ausgerichtete Soteriologie an.

Neuralgischer Punkt war dabei – wie der Briefautor und sein Kreis erkannt haben dürften – die Frage nach der Reinigung von den Sünden. Wahrscheinlich haben die Gegner das Wort vom Wegschaffen der Sünde der Welt durch das Gotteslamm (Joh 1,29) konsequent im Gefälle der Qualifikation Jesu als Geisttäufer gelesen: seine bleibende Geistbegabung ermöglicht es Jesus, die Sünde der Welt fortzuschaffen. Somit werden den Gläubigen bei der Taufe ihre Sünden durch die Gabe des Hl. Geistes vergeben. Dass diese Vorstellungen durchaus nicht unjohanneisch sind, belegt Joh 20,21–23, wo die Verbindung von Geistgabe und Sündenvergebung ebenfalls begegnet: die mit heiligem Geist angehauchten und dadurch mit göttlichem Leben erfüllten Jünger (vgl. Gen 2,7 LXX) werden von Jesus »gesandt, wie mich der Vater gesandt hat«, und sie erhalten mit der Geistgabe (!) die Vollmacht, Sünden zu erlassen oder zu behalten, was sich in der, ja durch die Taufe vollzieht (vgl. dazu auch Apg 2,38–40; 22,16).

An dieser Stelle ist in der Konzeption des vierten Evangeliums eine Leerstelle erkennbar, die der Briefautor und seine Gegner wohl unterschiedlich gefüllt haben. Denn dass die Wegnahme der Sünden durch den Tod Jesu, durch das Vergießen seines Blutes geschieht, steht so in keinem Text des Evangeliums. Was daher Jens Schröter für das Evangelium reklamiert, dürfte zumindest für dessen Lektüre durch die Gegner des 1 Joh gelten: »Die Bedeutung, die Johannes dem Tod Jesu beimisst, ist somit nicht an der Sündenvergebung und damit am Heil des einzelnen Glaubenden, sondern am Bestand und der Gestalt der Gemeinschaft, also ekklesiologisch, ausgerichtet«. Dass der 1 Joh gleich zu Beginn explizit vom Blut Jesu spricht, das uns von jeder Sünde reinigt (1 Joh 1,7), zeigt im Lichte von 5,5–8 deutlich, dass hier der eigentliche neuralgische Punkt liegt.

Den Tod Jesu dürften die Gegner also primär in den vom Evangelium bereitgestellten Parametern einer Weg-Christologie verstanden haben: er bedeutet das Ende des Weges des Offenbarers und seine Rückkehr zum Vater. Diese Grundidee hat im vierten Evangelium einen pneumatologischen Überbau: Tod und Auferstehung Jesu sind die Voraussetzung für die Gabe des Geistes an diejenigen, die an Jesus glauben (7,39). Durch den in der Taufe verliehenen Geist wird der aus Fleisch geborene und wesenhaft Fleisch seiende Mensch von neuem geboren und dadurch zu einem Geistgeborenen (vgl. 3,3–8). Der Tod Jesu begründet und ermöglicht die nachösterliche Situation der Glaubenden, die durch Geistempfang, Sündenvergebung und Neugeburt in ihrer Taufe, Schrifterkenntnis und die ewige Präsenz des Parakleten gegenüber der Zeit des irdischen Jesus grundsätzlich neu qualifiziert ist.

Vermutlich haben die Gegner also die johanneische »Christologie der Aspekte« im Sinne von 6,63 (vgl. 3,6) einseitig gewichtet: der irdische Jesus (»Fleisch«), in dem die göttliche Herrlichkeit des vom Himmel herabgestiegenen Menschensohnes sichtbar wurde (1,14), ist zwar als Träger des Geistes und Verkündiger der Worte ewigen Lebens von Bedeutung. Da die Sündenvergebung aber an den Geistempfang bei der Taufe und die Neugeburt aus Wasser und Geist und nicht an den Kreuzestod Jesu gebunden ist, bleibt der Tod Jesu in soteriologischer Hinsicht neutral.

Das muss (noch) nicht in die Richtung des späteren Doketismus gegangen sein! Dass sich der himmlische Christus nur mit einem Scheinleib umgeben habe, ist nicht zu erkennen. Vielleicht haben die Gegner mit den von einem vulgärplatonischen Leib- Seele-Dualismus bereitgestellten Kategorien den Tod Jesu als Trennung von »Seele« (ψυχή bzw. πνεῦμα, vgl. Joh 19,30) und Leib (vgl. Joh 19,38.40) verstanden, wobei sie sich durchaus auf das Evangelium selbst berufen konnten. »Ostern« bedeutet dann die »Wiedervereinigung« des am Karfreitag dem Vater übergebenen πνεῦμα Jesu mit seinem σῶμα und dessen »Aufstieg« zum Vater als »Zeichen« einer mit dem Karfreitag angebrochenen Wirklichkeit.

Ausblick: Der Presbyter im Kampf um die Ekklesien

Erst auf dem Hintergrund der geschilderten ekklesialen Situation der johanneischen »Freunde« sowie ihrer Spaltung ist der 1 Joh mit seinen inhaltlichen wie formalen Eigenheiten angemessen verstehbar. Angesichts des geschilderten Konflikts führt der Presbyter gewissermaßen einen »Dreifrontenkrieg«: er muss (1.) seinen verbliebenen Kreis »nach innen« zusammenhalten und weitere Abwanderung verhindern, zugleich muss seine Stellung in den Ekklesien gesichert werden. Inhaltlich muss er hierfür die Neubildung und Fortschreibung des Christusbekenntnisses als etwas vermitteln, »was von Anfang an war«. Dafür muss er (2.) die Gegner in jeder Hinsicht zu »outsidern« machen: er muss sie inhaltlich bekämpfen und ihnen zugleich die Türen zu den Häusern und Ekklesien verschließen. Er muss aber gleichzeitig (3.) auch potentielle andere, »nichtjohanneische« Christen, die nicht zu seinem Kreis, aber auch (noch) nicht zu den Gegnern gehören, auf seine Seite ziehen, bevor sie von den gegnerischen Missionaren überzeugt werden. Weil er sich auch an solche Leser wendet, verzichtet der 1 Joh auf das klassische Briefpräskript und wendet sich allgemein an »euch«, denen »wir das verkündigen, was wir von Anfang an gehört und gesehen haben«. Der »Kampf um die Ekklesien« und die »Kontrolle des Anfangs« gehören also unlösbar zusammen.

Weder für den Verfasser der Johannesbriefe noch für seine Gegner innerhalb des johanneischen Kreises waren die »alten« und »allgemeinen« Formeln »Jesus ist der Christus« und »Jesus ist der Sohn Gottes« ausreichend, obwohl diese auch von anderen, »nichtjohanneischen« Christen geteilt wurden. In der Logik des Verfassers von 1 Joh und 2 Joh ist das Bekenntnis zum im Fleisch bzw. in Wasser und Blut gekommenen Christus notwendig, um die älteren Formeln »richtig«, d.h. in seinem Sinne zu verstehen. »Jesus ist der Christus und der Gottessohn« ist demnach präzise so zu verstehen, dass er »im Fleisch bzw. in Wasser und Blut gekommen« ist – und nicht »im Wasser«, wie die Gegner behaupteten. Dass dies gerade keine »Neuerung« ist, sondern dem entspricht, »was ihr von Anfang an gehört habt« – davon muss der Presbyter seine Adressaten in den Ekklesien erst noch überzeugen.

Summary

Faced with an internal crisis in his Johannine circle, the author of the three Johannine letters is forced to employ a multidimensional strategy of consolidation, demarcation, and persuasion. By constantly referring to »what was from the beginning« he claims that his own position is in accordance with the beginnings of faith in general and thereby wants to gain legitimacy against his opponents. In order to comprehend the Presbyter’s approach, one has to take into account the social and ecclesiastical situation of the Johannine Christians as well as the precise reasons for their internal division. As a preliminary study for the exegesis of 1 John, this essay argues that the ecclesiastical situation of the Johannine Christians is complex (see 1.): the analysis of 2 and 3 John disproves the theory of an isolated »Johannine community« at the margins of Early Christianity. Instead, the Johannine Christians seem to have formed circles (»friends«) within initially non-Johannine ekklesiai – accepted by and even influential in some of them (2 John), yet rejected by others (3 John). It is this multifaceted relationship between »friends« and ekklesia that forms both the background of the split over Christological and soteriological issues regarding baptism (see 2.) and the occasion for 1 John with its many peculiarities.


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