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Leseprobe 3
Bernd Jochen Hilberath / Andreas Odenthal
»Deus humanissimus«
Zum Tode von Edward Schillebeeckx OP
Edward Schillebeeckx gehört zu den Theologen, die die Menschlichkeit Gottes deshalb überzeugend als Zentrum ihrer Theologie wahrnehmen, weil sie ihre eigene Menschlichkeit annehmen. Sie bringen ihre Stärken kommunikativ und argumentativ statt mittels eines autoritativen Gestus ein; sie lassen sich in ihrer eigenen Geschichte auf Herausforderungen der Zeit (dh. der eigenen Biographie, der Kirche und der Gesellschaft) ein; mit Sorgfalt, aber ohne ängstliche Sorge suchen sie Identität im Wandel. Was dies für den Theologen Schillebeeckx hieß, lässt sich an der Entwicklung seines christologischen Denkens ablesen.

1. Wie der Jesuit Karl Rahner steht der Dominikaner Edward Schillebeeckx für die anthropologische Wende in der (dogmatischen) Theologie. Beide sind von pastoralen Motiven bestimmt: Man könne den Menschen von heute die Dogmen nicht mehr nach dem Motto vorlegen »Vogel, friss oder stirb!«. Anders als Kritiker unterstellen, geht es dabei nicht um den Ausverkauf des Glaubens, sondern um sein Ankommen beim Menschen (was ja das Ziel der göttlichen Selbstmitteilung darstellt) bzw. sein Aufgedecktwerden in den Erfahrungen der Menschen. Der Theologe selbst kann seinen Christusglauben zu dem christologischen Dogma von Chalkedon (451) in Beziehung setzen, weil er die Begrifflichkeit und ihren geistesgeschichtlichen Hintergrund ebenso kennt wie die Konziliengeschichte. Zeitgenossen sind jedoch schon die Schlüsselbegriffe des Dogmas (Natur, Person, Hypostase) fremd, in den Sprachwelten von heute werden sie entweder überhaupt nicht verstanden oder missverstanden. In übertriebener, möglicherweise oft an Kleinglauben grenzender Weise muss dabei um die Identität des Glaubens nur der fürchten, dem die Hermeneutik der »Identität im Wandel« von vornherein verdächtig ist bzw. wer sich nicht auf sie versteht. Edward Schillebeeckx dagegen wagt den Wandel und die Weiterentwicklung der theologischen Methoden. Seit den 1960er Jahren bildet nicht mehr Chalkedon den (methodologischen!) Ausgangspunkt seiner Christologie. Die Hinführung zum Christusglauben, das Anliegen, gegenüber (nach) aufklärerischen Bestreitern die Möglichkeit und Bedeutung des »universale concretum « (Gott selbst begegnet als Mensch) aufzuzeigen, verlangt einen anderen Start. So beginnt Schillebeeckx nicht bei Christus, dem Gott-Menschen, sondern bei dem eschatologischen Propheten Jesus von Nazareth. In methodologischer Hinsicht ist nicht das Dogma, sondern die Geschichte die erste Referenz. Es ist in der dogmatischen Theologie üblich geworden, dies den Übergang von einer »Christologie von oben« zu einer »Christologie von unten« zu nennen. Die erste setzt das kirchliche Bekenntnis voraus und beim Gottessohn als der »zweiten Person der Trinität« an. Die zweite geht der Entwicklung des Christusbekenntnisses in der Nachfolge Jesu (Emmaus-Jünger!) nach oder schlägt sogar, wie am deutlichsten bei Karl Rahner, erst ausgehend von menschlichen Erfahrungen den Weg zum »Gottmenschen« (dem »absoluten Heilbringer«) ein. Dieser methodologische Wandel kann als wissenschaftlicher Standard festgestellt werden. Allerdings wird die Diskussion um die historisch-kritische Methode immer wieder angefacht und die Methode selbst zuweilen angefochten. Aktuell macht sich ein gewisser Trend bemerkbar, der historisch-kritischen Methode ein relatives Recht zuzugestehen, zugleich aber ihre Ergänzungsbedürftigkeit zu betonen. So fordert etwa Benedikt XVI./Joseph Ratzinger in seinem Jesus-Buch die Integration in die Auslegung der Kirche, die ja Subjekt der Schriftlesung und -interpretation sei. Hier stellt der Dogmatiker die Frage: Wer ist dieses Subjekt (in) der Kirche? Philip Kennedy ist der Meinung, Schillebeeckx sei »der erste römisch-katholische Theologe in diesem Jahrhundert …, der konsequent Ergebnisse der wissenschaftlichen Exegese in den Hauptstrom der Dogmatik eingebunden hat« (in: Philip Kennedy, Edward Schillebeeckx. Die Geschichte von der Menschlichkeit Gottes, Mainz 1994, 162). Diese Einschätzung trifft dann zu, wenn nicht nur die Rezeption der historisch-kritischen Methode (in der deutschen Theologie dürfte Hans Küng »der prominenteste Theologe, der so vorging« sein), sondern auch die Einbeziehung weiterer literaturwissenschaftlicher Methoden oder gar Methodologien im Blick ist. Im ersten Band der christologischen Trilogie (Edward Schillebeeckx, Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden, Freiburg i. Br. – Basel – Wien 1974) wendet Schillebeeckx das wissenschaftliche Rüstzeug, das er sich seit Mitte der 1960er Jahre, vor allem auch durch Aufenthalte in den USA, erarbeitet hatte, konsequent an. So lautet die Überschrift des ersten Teils »Fragen nach Methode, Hermeneutik und Kriterien«. Wann hat es das je gegeben, dass ein Dogmatiker 600 Seiten »Prolegomena « zur Christologie schreibt, in denen er sich in die einschlägige exegetische Forschung »eingräbt«? Im zweiten Band »Christus und die Christen. Die Geschichte einer neuen Lebenspraxis« (Freiburg i. Br. – Basel – Wien 1977) wird der Rückgriff auf literaturwissenschaftliche Methoden noch stärker. In inhaltlicher Hinsicht wird ein zweiter Schwerpunkt unübersehbar: Die politische (d. h. gesellschaftskritische wie in der Gesellschaft engagierte) Dimension christlicher Theologie. Der niederländische Originaltitel signalisiert dies deutlicher; demnach hätte die deutsche Ausgabe auch mit »Gerechtigkeit und Leben. Gnade und Befreiung« betitelt werden können. Die Konzentration der Christologie auf Jesus von Nazareth als das universale concretum führt zu einer Christologie der Nacherzählung (»narrative Christologie«) und der Nachfolge in der Praxis (reflektiert in einer »Befreiungstheologie für die westliche Welt«). Wer dies als eine Soziologisierung oder Politisierung des Evangeliums denunziert, übersieht, dass dieser mittlere Band der Trilogie in Wirklichkeit eine christologische Gnadentheologie präsentiert. Der Ausgangspunkt ist eindeutig, und der Zusammenhang wird veranschaulicht in dem dreistufigen Modell von Theologie: Die »Theologie ersten Grades« ist die Reich-Gottes-Verkündigung und -praxis des Jesus von Nazareth; das Bekenntnis zu ihm als dem Christus, ausgedrückt in vielen »Titeln«, bildet die »Theologie zweiten Grades«; schließlich erreicht die Theologie ihren dritten Grad in dem Bekenntnis zum Heilshandeln des dreieinigen Gottes. Schillebeeckx zufolge ist die Einsicht entscheidend, dass schon auf der ersten Stufe alles Entscheidende gesagt ist; es wird dann auf den weiteren Stufen lediglich entfaltet, reflektiert und in seiner Fundierung verdeutlicht, nämlich als »Heil von Gott her in Jesus«. Es ist konsequent, wenn der erst 1990 auf deutsch erschienene dritte Band »Menschen. Die Geschichte von Gott« (Freiburg i. Br. – Basel – Wien 1990; wörtlich übersetzt: Menschen als Erzählung/Geschichte von Gott) keine systematische Christologie vorlegt, sondern – ohnehin als Ekklesiologie geplant – brennenden Fragen in Kirche und Menschheit unter folgenden Überschriften nachgeht: Weltgeschichte und Heilsgeschichte, Offenbarungsgeschichte und Leidensgeschichte – Menschen auf der Suche nach Gott, Gott auf der Suche nach Menschen – Christen finden Gott vor allem in Jesus Christus – Für eine demokratische Leitung der Kirche als Gemeinde.

2. Wer ist das Subjekt (in) der Kirche? Wie die zuletzt genannte Überschrift über dem vierten Teil des dritten Bandes anzeigt, stellt sich diese Frage nicht nur hinsichtlich des Verhältnisses von Dogma und Heiliger Schrift, Exegese/Theologie und Lehramt. Sie ist darüber hinaus eine, wenn nicht die entscheidende Testfrage daraufhin, wie ernst es »die Kirche« mit den ekklesiologischen Intentionen des Zweiten Vatikanischen Konzils meint. Edward Schillebeeckx unterbrach für viele Jahre die Arbeit am dritten Band seiner christologischen Trilogie, um sich in den ekklesiologischen Auseinandersetzungen, die sich in der Amtsfrage zuspitzten, zu engagieren. So lesen wir dann im Vorwort: »Die Freude, zu dieser Kirche zu gehören, die während des Zweiten Vatikanischen Konzils und in den ersten Jahren danach stark zunahm, wurde in den letzten Jahrzehnten auf eine harte Probe gestellt (…). Ich kam zu der Einsicht, dass es besser sei, nach dem Kern des Evangeliums und der christlichen Religion zu suchen, nach dem Eigentlichen und Einzigartigen derselben, als mich in einer Periode kirchlicher Polarisierung unmittelbar mit innerkirchlichen, im Grunde zweitrangigen Problemen (…) zu beschäftigen. Denn ist es nicht die christliche Kernbotschaft, an der auch jede Ekklesiologie gemessen werden kann und muss? – Ich weiß: Wenn gerade diese Auffassung von dem – zwar nie für sich erhältlichen, aber doch nachweisbaren – Kern des Evangeliums und des Christentums nicht eine entsprechende institutionelle Gestalt in kirchenrechtlich garantierten, freien Raum atmenden und Raum gebenden Strukturen erhält (und alles weist darauf hin, dass dies vorläufig nicht der Fall ist), dann bleiben aufbauende Theologie und loyale innerkirchliche und theologische Kritik ziemlich fruchtlos (…). Gerade das, was im Zweiten Vatikanum ›neu‹ gegenüber dem nachtridentinischen Kirchenverständnis und der entsprechenden Ekklesiologie war, hat in den 70er und vor allem in den 80er Jahren von seiten der Amtskirche keine konsequenten institutionellen Strukturen erhalten. Im Gegenteil, einige kirchliche Strukturen, wie sie der neue Codex vorschreibt, sind gerade den tiefsten Intentionen des Zweiten Vatikanischen Konzils fremd« (Schillebeeckx, Menschen, 7–8). Dreimal (1968, 1979, 1984) setzte die Glaubenskongregation einen Prozess in Sachen Schillebeeckx in Gang; die Themen waren Säkularisierung, Christologie und das kirchliche Amt. Auf die Frage, ob er unter diesen Prozessen sehr gelitten habe, antwortete der Dominikanertheologe: »Ich würde nicht sagen ›sehr‹. Beim ersten Mal, als mir Rahner mitteilte, dass gegen mich ermittelt würde, war ich erschrocken. Ich erinnere mich, dass ich zu Rahner gesagt habe: ›Einen solchen Umgang pflegt man mit uns, die wir Tag und Nacht für die Kirche arbeiten!‹ Beim zweiten Prozess war ich etwas verärgert, aber ich fühlte mich viel freier gegenüber der römischen Glaubenskongregation, den inquisitorischen Theologen und gegenüber mir selber. (…) Ich fragte mich, wie das alles möglich sei in der Kirche. Wir sind als Theologen nicht unfehlbar, aber man kann mit Menschen so oder so umgehen (…) möchte ich sagen, dass ich bisher, und ich hoffe für immer, keinerlei Verurteilung erfahren habe, und dass ich – trotz aller Abenteuer – glücklich bin, dieser Kirche und dem Orden der Dominikaner anzugehören« (Edward Schillebeeckx im Gespräch, hrsg. von Francesco Strazzari, Luzern 1994, 85–87). Entscheidend war für Edward Schillebeeckx die Übereinstimmung von Theologie/Lehre und Praxis, und zwar im Leben der Kirche insgesamt. Erfahrung und Praxis des Reiches Gottes sind die Schlüsselbegriffe seiner Theologie, die sich in spezifischer Weise als theologia negativa versteht. Den klassischen Dreischritt – via affirmativa (Behauptung) – via negationis (Bestreitung) – via eminentiae (Überstieg in eine neue Affirmation) modifiziert er in bezeichnender Weise, insofern »die Erkenntnis der via eminentiae … nicht mehr aus der begrifflichen via negativa hervor[geht], sondern aus der Praxis und der Erfahrung« (Kennedy, Schillebeeckx, 210), mit Schillebeeckx formuliert: »Die ›via eminentiae‹ durch Affirmation und Negation hindurch lernen wir also nicht durch ein begriffliches Gedankenspiel kennen, sondern in und aus einer von Menschen gemachten Geschichte der Solidarität, der Gerechtigkeit und der Liebe in einer Welt des Egoismus, des Unrechts und der Lieblosigkeit « (Schillebeeckx, Menschen, 110).
[...]


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