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Leseprobe 2
Franz-Josef Bormann
Von der ›praktischen‹ zur ›öffentlichen‹ Vernunft?
Überlegungen zu einer aktuellen Kontroverse der politischen Ethik
Die FAZ unterrichtete ihre Leser am 24. März 2009 darüber, dass mehrere katholische Bruderschaften in Andalusien und anderen spanischen Regionen beabsichtigten, die Kampagne der dortigen Bischofskonferenz gegen die von der sozialistischen Regierung Zapatero geplante Reform der Abtreibungsgesetze durch ›symbolische Demonstrationen in der Karwoche‹ zu unterstützen. Während Gleichstellungsministerin Bibiana Aído die Katholiken davor warnte, »Religion und Politik zu vermischen«, wiesen Sprecher der Bruderschaften darauf hin, dass »die Verteidigung des Lebens« keine Einmischung in die Politik darstelle.

Der verbale Schlagabtausch zwischen der Ministerin und den Bruderschaften steht stellvertretend für eine ganze Reihe von Konflikten, die nicht nur die moralischen Grundlagen der Politik, sondern auch die politischen Implikationen der Religion betreffen. Die Liste der Streitthemen ist bekanntlich lang: Sie reicht von den allgemeinen Grundsätzen einer überzeugenden Wirtschafts-, Sozial-, Familien- und Forschungspolitik bis zu den ungleich spezielleren Problemen der Präsenz religiöser Symbole in öffentlichen Räumen, der Garantie eines konfessionell geprägten Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen oder der konkreten rechtlichen Ausgestaltung des Staats-Kirchen-Verhältnisses.

Alle diese Politikfelder werfen Fragen auf, deren Beantwortung innerhalb einer religiös-weltanschaulich zunehmend heterogenen Bürgerschaft ebenso umstritten ist wie zwischen gläubigen Bürgern und religionskritischen Politikern: Ist Religion Privatsache oder kommt ihr Bedeutung für das Verhandeln ›öffentlicher Dinge‹ zu? Welchen epistemischen Status haben religiöse Überzeugungen? Und welche Rationalitätsstandards sind zu beachten, wenn politische Fragen öffentlich diskutiert werden? Gibt es so etwas wie eine spezifisch ›öffentliche Vernunft‹? Und wenn ja, wie ist dann ihr Verhältnis zur ›praktischen Vernunft‹ zu bestimmen?

Natürlich ist es im Rahmen dieser Vorlesung unmöglich, alle diese den Zuständigkeitsbereich des Moraltheologen bei weitem übersteigenden Fragenkomplexe auch nur kursorisch zu behandeln. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich daher auf ein einziges, allerdings zentrales Element dieses Diskussionsfeldes, nämlich den Begriff der ›öffentlichen Vernunft‹, der seit geraumer Zeit im Mittelpunkt einer weitverzweigten Debatte innerhalb der politischen Ethik steht. Um zu verdeutlichen, dass sich hinter dieser modernen Wortschöpfung im Grunde ein ebenso altes wie dorniges Problem verbirgt, werde ich mich zunächst kritisch mit einigen zeitgenössischen Deutungsversuchen ›öffentlicher Vernunft‹ auseinandersetzen. Als Gesprächspartner wähle ich John Rawls, Jürgen Habermas und Gerald F. Gaus. Im Anschluss daran soll kurz die Bedeutung dieser Thematik für die theologische Ethik im Allgemeinen und das konfessionelle Profil katholischer Moraltheologie im Besonderen angedeutet werden.

1. Zeitgenössische Deutungsversuche ›öffentlicher Vernunft‹

Da der amerikanische Ethiker Gerald F. Gaus seine eigene Konzeption eines sog. ›rechtfertigungstheoretischen Liberalismus‹ in strikter Abgrenzung zu den Überlegungen von J. Rawls und J. Habermas formuliert, sei es gestattet, zunächst noch einmal einen Blick auf deren einschlägige Überlegungen zu werfen.

1.1 J. Rawls

Entgegen einer verbreiteten Einschätzung stellt das Interesse am Begriff der ›öffentlichen Vernunft‹ kein exklusives Kennzeichen der Rawls’schen Spätphilosophie dar. Vielmehr hat sich bereits der junge Rawls mit den Erfordernissen eines spezifisch öffentlichen Vernunftgebrauchs auseinandergesetzt, die dabei gewonnenen Einsichten jedoch vor allem in den 1980er und 1990er Jahren erheblich modifiziert, so dass man grob schematisierend von zwei verschiedenen Reflexionsphasen sprechen könnte, deren jeweilige Grundüberzeugungen in seinen beiden wichtigsten Monographien – »A Theory of Justice« von 1971 und »Political Liberalism« von 1993 – ihren Niederschlag gefunden haben. Rawls selbst beschrieb die Entwicklung seines Standpunktes rückblickend wie folgt:

»Die beiden Bücher stehen asymmetrisch zueinander, auch wenn beide eine Idee der öffentlichen Vernunft haben. Im ersten wird die öffentliche Vernunft durch eine umfassende liberale Lehre bestimmt. Im zweiten dagegen stellt die öffentliche Vernunft eine Art und Weise des Argumentierens über politische Werte dar, die von freien und gleichen Bürgern geteilt werden, die die Grenzen der umfassenden Lehren der Bürger nicht überschreitet, solange diese Lehren mit einem demokratischen Gemeinwesen verträglich sind.«

Um die Dramatik dieses Perspektivenwechsels richtig einzuschätzen, muss man sich klar machen, worum es Rawls ursprünglich gegangen war. Der Sache nach zielte seine Fairnesskonzeption auf einen Ausgleich zwischen klassischem Liberalismus und wohlfahrtsstaatlichen Überzeugungen. Auch auf vernunfttheoretischem Gebiet scheute sich Rawls nicht vor einer außerordentlich ambitionierten Positionsbestimmung: Mit den Mitteln eines raffinierten mehrstufigen Begründungsmodells, das kontraktualistische Elemente geschickt in einen kohärenztheoretischen Rahmen einfügt, präsentierte er ein Ergebnis, das den Anspruch erhob, für hochkomplexe Probleme der Verteilungsgerechtigkeit allgemein verbindliche Lösungen zu finden, die den strengen Rechtfertigungsstandards eines »reflektiven Gleichgewichts« genügen. Nach Auskunft des Autors verband sich mit der ›Theorie der Gerechtigkeit‹ die Hoffnung, »die strukturellen Merkmale einer solchen Theorie so darzustellen, dass diese sich als die beste Annäherung an unsere überlegten Gerechtigkeitsurteile erweist und so die angemessenste moralische Grundlage für eine demokratische Gesellschaft bietet«.

Genau diese Hoffnung sollte sich jedoch als trügerisch erweisen. Schuld daran waren seines Erachtens keineswegs bestimmte inhaltliche Eigenschaften seiner Fairnesskonzeption – wie z. B. der extreme Egalitarismus des berühmt-berüchtigten Differenzprinzips, an dem sich ein Großteil der Kritiker abarbeitete –, sondern vielmehr die Erkenntnis, »daß eine Pluralität vernünftiger und dennoch einander ausschließender umfassender Lehren das natürliche Ergebnis des Gebrauchs der menschlichen Vernunft innerhalb des Rahmens der freien Institutionen einer konstitutionellen Demokratie ist«. Dieses weithin ungelöste Stabilitätsproblem stellt nicht nur den eigentlichen Anlass für Rawls’ Wende zum ›politischen Liberalismus‹ dar, sondern bildet auch den entscheidenden Konstruktionspunkt für seine Neubestimmung des Begriffs der ›öffentlichen Vernunft‹.
[...]


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